Ex-Musikmanager Stein warnt vor der Arroganz alter Industrien
Mit dem Internet kam der Absturz: Raubkopierer, Downloads und schließlich das Streamen von Musik – das Monopol der stolzen Plattenfirmen zerbröselte im digitalen Nichts
Von Karl Schlieker
Redakteur Politik / Wirtschaft
Der ehemalige Musikmanager Thomas Stein warnt vor der Ignoranz gegenüber der digitalen Revolution.
(Foto: Volker Watschounek)
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WIESBADEN - Es schien kaum Grenzen zu geben. Anderthalb Millionen Dollar für ein Video? Klar, machen wir. Die Musikindustrie war vor ihrem Absturz in jubilierender Hochstimmung. „Das Geld wurde nur so rausgeschmissen“, erinnert sich der ehemalige Musikmanager Thomas M. Stein beim Innovationsforum der ESWE Versorgung in Wiesbaden. Die Musikkonzerne hatten mit der CD eine Goldgrube entdeckt. Die Wiedervereinigung mit dem Nachholbedarf im Osten bescherte der Branche eine Sonderkonjunktur. „Wir waren unglaublich arrogant“, berichtet der 69-Jährige. Mit dem Spruch „Die CD muss so teuer wie ein gebundenes Buch werden“ als damaliger Präsident des Bundesverbands der Phonographischen Wirtschaft hatte Stein das überbordende Selbstvertrauen der Branche auf den Punkt gebracht.
Dann kam der abrupte Absturz. Innerhalb von fünf Jahren halbierte sich der Umsatz der früher CD-Gold schürfenden Musikbranche. Was war geschehen? Mit der Digitalisierung kamen Raubkopierer, Downloads und schließlich das Streamen von Musik. Das Monopol der einst stolzen Plattenfirmen zerbröselte im digitalen Nichts. Stein, der in den goldenen Zeiten der Popmusik rasant aufgestiegen war, erinnert sich mit Grausen an den Umbruch. „Wir haben die CD groß gemacht und sind mit ihr klein geworden.“ 55 Milliarden WhatsApp-Nachrichten am Tag lügen nicht. Die Zeiten ändern sich, der Kunde ändert sich.
Alte Geschäftsmodelle lösen sich in Rauch auf
Es gibt kein Halten im digitalen Strudel, der alte Geschäftsmodelle mit sich reißt. Stein selbst bekommt schließlich im Jahr 2004 vom Bertelsmann-Konzern den Stuhl vor die Tür gesetzt. Da hilft es auch nichts, dass er zuvor die Verbreiterung des Geschäfts gepredigt hatte. „Die Plattenfirmen, die früher alles für den Aufbau der Künstler gezahlt haben, aber nur einen Anteil der CD-Erlöse erhielten, müssen zum Manager der Band werden.“ Bei der Popband N’Sync verdient BMG unter Steins Regie nun auch an verkauften Merchandising-Produkten wie T-Shirts. Doch gegen die Wucht des digitalen Wandels hilft das nicht. Die alten Manager-Dinosaurier treten ab.
Und das ehemalige Jury-Mitglied bei der TV-Show „Deutschland sucht den Superstar“ präsentiert sich noch heute als Wegbereiter, Starmacher, Revolutionär, Wundermanager. Aber er ist auch so offen, die Kniffe und schmutzigen Tricks zu erzählen. So zahlte er einem Taxifahrer Geld, damit er pausenlos Protestanrufe gegen den Song „Jeanny“ von Falco platziert. So schafft es der vermeintliche Skandal in die TV-Nachrichten und die Umsätze sprudeln. „Man muss Grenzen überschreiten“, prahlt Stein beim ESWE-Forum in Wiesbaden.
Der ehemalige Verlagsangestellte und ZDF-Redakteur kommt 1982 aus ihm noch heute unerklärlichen Gründen als Geschäftsführer zur Schallplattenfirma Teldec. Da der Mutterkonzern pleite ging, saß er nun täglich „desinteressierten Bankenvertretern“ gegenüber. „Sie wissen gar nicht, wie scheiße das Leben sein kann, wenn sie einen Bankenpool über sich haben“, erinnert er sich. Also Augen zu und durch. Musikalisch schreckt Stein, der 1988 zum Bertelsmann-Konzern wechselt, vor nichts zurück. So setzt er die Veröffentlichung der „Wildecker Herzbuben“ gegen den erbitterten Widerstand der eigenen Mitarbeiter durch. Nach zwei Millionen verkauften Einheiten weiß er: Der Kunde zählt und zahlt. „Klar konnte ich damit nicht meine Frau beeindrucken. Aber wir haben ja noch die Backstreet Boys, Pink und Peter Maffay groß gemacht.“
Zu viel Skrupel sollte man als Manager ohnehin nicht haben. Dass die Gesangsdarsteller Milli Vanilli keinen Song selbst gesungen haben? „Da muss man schon mal großzügig sein“, sagt Stein und fügt hinzu: „Wer glaubt schon, dass heute Britney Spears live auf der Bühne singt?“