Fruchtbarer Boden ist wie sauberes Wasser keine unendliche Ressource. Durch den Ausbau des Straßennetzes und die Erschließung neuer Wohn- und Gewerbegebiete verlieren die...
BRAUNFELS/Leun. Fruchtbarer Boden ist wie sauberes Wasser keine unendliche Ressource. Durch den Ausbau des Straß;ennetzes und die Erschließ;ung neuer Wohn- und Gewerbegebiete verlieren die Landwirte immer mehr Anbauflächen.
Nach Angaben der Landwirte bedeute der Flächenverbrauch für sie einen Ertragsverlust sowie den Rückgang ihrer Einkommensgrundlage. Als Beispiel nennen sie unter anderem den Ausbau der B 49 auf der Strecke Limburg–Wetzlar.
Die Bundesstraß;e ist eine wichtige Verbindung zur Autobahn und verbindet den Groß;raum Koblenz und Wetzlar-Gieß;en. Sie führt mitten durch die Lahnaue, in der auch Olaf Zipp aus Biskirchen seine Äcker hat. Der weitere Ausbau der Bundesstraß;e von zwei auf vier Spuren wird ihn und anderen Landwirten vermutlich Produktionsflächen kosten. Es sind Flächen, die sie, wie sie sagen, zum Anbau von Lebens- und Futtermittel bräuchten. "Die Streckenführung wird noch einmal ungefähr 26 Meter breiter und geht genau an meinen Lahnwiesen vorbei", sagt Olaf Zipp. Das seien mitunter seine fruchtbarsten Böden und die einzigen, die bei der Hitze und Dürre dieses Jahres noch grün waren. Diese Flächen wird der Landwirt im Fall eines Ausbaus der Straß;e höchstwahrscheinlich abgeben müssen.
Bauernverband kritisiert: "Die Wertschätzung für die landwirtschaftlichen Flächen fehlt"
Durch Bauarbeiten, wie die Erweiterung von Straß;en, werden nicht selten Lebensräume und Artenvielfalt in der Natur zerstört. Sogenannte Ausgleichsflächen sollen deshalb den Verlust kompensieren. Oft geht den Landwirten so nochmals produktives Agrarland zugunsten des Naturschutzes verloren.
"Dazu kommen noch die Ausgleichsmaß;nahmen, für die oft auch landwirtschaftlich nutzbare Böden verwendet werden. Im Endeffekt verliere ich doppelt an Fläche. Das sind bestimmt 60 bis 70 Rundballen Heu im Jahr", erklärt er.
Die Landwirte im Braunfelser Umkreis betonen, dass sie nicht gegen den Naturschutz oder den Straß;en- und Wohnungsbau seien. Doch könnten sie nicht begreifen, weshalb dies immer auf die Kosten der guten Agrarflächen geschehen müsse. Olaf Zipp sagt: "Gewerbe- und Wohnflächen sind sehr wichtig, aber müssen nicht auf die besten Böden gebaut werden. Man kann zuerst die leerstehenden Bauplätze in der Stadt nutzen, bevor neue Wohngebiete ausgewiesen werden." Er findet es toll, dass die Stadt Wetzlar Ikea auf die Baufläche des alten Buderus-Geländes gebaut hat und nicht auf eine grüne Wiese. Eine weitere Idee für Ausgleichsmaß;nahmen wäre seiner Meinung nach, unfruchtbare Gebiete, wie etwa alte Müllkippen, aufzuarbeiten anstatt Obstbäume auf wirtschaftliche Flächen zu pflanzen.
Der Rückgang der landwirtschaftlichen Flächen lässt sich auch mit Zahlen belegen: 2015 wurde nur noch ein Drittel aller Bodenflächen des Lahn-Dill-Kreises (36 122 Hektar) landwirtschaftlich genutzt.
1991 waren es noch 38 594 Hektar und somit drei Prozent mehr. So steht es zumindest im Bericht "Flächeninanspruchnahme in Hessen 1991 – 2015" des Statistischen Landesamtes Hessen.
Das entspricht einem Verlust der landwirtschaftlichen Fläche von 3462 Fuß;ballfeldern, während die Siedlungs- und Verkehrsfläche in der gleichen Zeit um 1483 Hektar (2077 Fuß;ballfelder) und die Waldfläche um 1069 Hektar (1497 Fuß;ballfelder) zugenommen hat. Laut des hessischen Bauernverbandes gehen hessenweit fünf Hektar landwirtschaftliche Fläche pro Tag verloren, 70 Hektar sind es bundesweit. Der Geschäftsführer des Bauernverbandes, Hans-Martin Sames, findet die Zahlen besorgniserregend. Er setzt groß;e Hoffnungen in den neuen hessischen Landesentwicklungsplan, der den Flächenverbrauch auf 2,5 Hektar pro Tag begrenzen soll.
Zusammen mit dem Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland hat der Hessische Bauernverband Sofortmaß;nahmen zur schnellstmöglichen Reduktion des Flächenverbrauchs erarbeitet und der hessischen Landesregierung vorgelegt. Dies sind unter anderem: Einkaufsmärkte mit integrierten Parkmöglichkeiten, also mehr- und untergeschossig zu bauen, Baulücken in den Städten zu erfassen und bereits versiegelte Flächen auf ihre Wieder- und Umnutzung zu prüfen.
Als einen zentralen Grund für den alarmierenden Landverbrauch sieht der Hessische Bauernverband auch die fehlende gesellschaftliche Wertschätzung für die landwirtschaftlichen Nutzflächen. Den Menschen werde das Problem erst bewusst, wenn es keine Lebensmittel mehr im Supermarkt zu kaufen gebe.
Den Städten und Gemeinden im Lahn-Dill-Kreis ist das Problem des landwirtschaftlichen Flächenverbrauchs bekannt, doch sehen sie es nicht als akutes Problem. Beispielsweise Braunfels: "Das Problem ist bekannt, aber es trifft bei uns nicht zu", sagt Katrin Dauer, Pressesprecherin der Stadt Braunfels. Die Kurstadt hatte in den vergangenen zwei Jahren einen Zuwachs von nur 93 Einwohnern und hat keine Gewerbe- oder Siedlungsgebiete erschlossen. Demnach seien keine landwirtschaftlichen Flächen verbraucht worden.
Von Désiree Schneider