In den vergangenen Monaten haben sich die Speicher schneller gefüllt als erhofft. Doch reicht das nicht, um einen Notstand im Winter zu vermeiden. Was jetzt noch passieren muss.
REGION. Die gute Nachricht zuerst: Die Gasspeicher haben sich in den vergangenen Monaten viel schneller gefüllt als erwartet. Ist damit die Gasversorgung für den Winter gesichert? Leider nein. Die Gefahr einer „Gasmangellage“ ist weiterhin real. Die Folge wären Zwangsabschaltungen von Betrieben und schlimmstenfalls Versorgungsausfälle für alle. Ein Blick auf den Stand der Dinge, auf Risiken und Unwägbarkeiten.
Aktueller Füllstand Für Montagmittag (12. September) meldet die Bundesnetzagentur einen Füllstand der Speicher von 87,95 Prozent; der größte in Rehden, der im Frühjahr noch leer war, ist inzwischen zu 74,06 Prozent gefüllt. Damit werden die gesetzlichen Vorgaben deutlich übererfüllt; die angestrebten 95 Prozent zum 1. November sind in Sichtweite. Die beiden Speicher in Südhessen (Stockstadt und Alsbach-Hähnlein) melden aktuell 97 Prozent Füllung.
Die Bundesnetzagentur betont, dass auch nach dem kompletten Lieferstopp Russlands vergangene Woche Gas eingespeichert werden konnte. Das war möglich, weil die Importe aus Norwegen, Belgien und den Niederlanden konstant hoch sind. Außerdem ist der Verbrauch derzeit noch vergleichsweise niedrig.
Puffer für wenige Monate Allerdings reicht die Menge des eingespeicherten Gases auch bei 100 Prozent nicht für den ganzen Winter. In den 45 Gasspeichern können maximal 23,3 Milliarden Kubikmeter gebunkert werden, der Verbrauch lag 2021 bei rund 90 Milliarden Kubikmeter. Die Reserve reicht rechnerisch für zwei, maximal drei kalte Monate. Konzipiert sind die Speicher weniger als strategische Reserve, sondern eher als Puffer, die saisonale Schwankungen zwischen Verbrauch und Zustrom ausgleichen soll.
Es muss also in jedem Fall im Winter kontinuierlich neues Gas im deutschen Netz ankommen. Deshalb ist es so wichtig, dass die Flüssiggasterminals in Brunsbüttel und Wilhelmshaven wie geplant ab Januar betriebsbereit sind. Für den Südwesten spielt zudem das Terminal im belgischen Zeebrugge eine wichtige Rolle. Dass Russland seine Lieferungen wieder aufnimmt, glaubt niemand mehr.
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Verbrauch muss sinken Die große Unbekannte in der Rechnung, ob es reichen wird oder nicht, ist (neben dem Wetter) der Verbrauch. Alle Szenarien der Bundesnetzagentur gehen von 20 Prozent Einsparung gegenüber dem Vorjahr aus. Wird dieses ambitionierte Ziel gerissen, sieht es düster aus, dann wird die Gasmangellage spätestens im Februar wahrscheinlich.
Sind die 20 Prozent zu schaffen? Zahlen aus dem Sommer legen nahe, dass das Ziel zumindest in Reichweite ist: Von Januar bis Juli betrug das Minus mehr als 13 Prozent, Tendenz steigend. Allerdings gab es im Juli wieder ein Plus beim Verbrauch. Aus der Industrie mehren sich Meldungen über die Umstellung oder Stilllegung gasintensiver Produktion. So hat der Stahlkonzern Arcelor-Mittal angekündigt, einen Hochofen in Bremen und eine weitere Anlage in Hamburg einzumotten.
Die Stunde der Wahrheit schlägt mit dem Beginn der Heizsaison. Erst dann wird sich zeigen, ob die Bürger bereit sind, ihre Thermostate spürbar herunterzuregeln und kürzer zu duschen. Ohne diese Sparbeiträge wird das 20-Prozent-Ziel nicht zu schaffen. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zeigte sich deshalb vor einigen Tagen höchst beunruhigt, als private Gasverbrauch bei etwas kühlerer Witterung wieder nach oben ging. Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, wird nicht müde zu betonen, wie wichtig Sparen ist.
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Die Preise bleiben hoch Auch wenn es bitter ist: Die nach wie vor extrem hohen Preise könnten dabei helfen, den Verbrauch im nötigen Umfang zu senken. So werden Millionen Gaskunden in den nächsten Wochen über ihre neuen Abschläge informiert – Preisschock garantiert.
Im Großhandel gibt es keine Anzeichen für eine Entspannung. Zuletzt bewegte sich der Preis für eine Megawattstunde Gas sowohl im Tageshandel wie im Terminmarkt (dort werden die mittelfristigen Erwartungen gehandelt) deutlich über 200 Euro.
Offen erscheint derzeit, ob sich die EU in dieser Woche auf einen Preisdeckel für russisches Gas verständigen wird. Bei einigen Staaten, die noch Gas aus Russland bekommen, gibt es Widerstand gegen den Vorschlag der EU-Kommission. Die Befürchtung: Russland könnte mit einem EU-weiten Lieferstopp reagieren. Das würde einigen Länder Probleme bereiten und auch den Gaspreis weiter nach oben treiben.
Baustelle Gasumlage Unklar ist weiterhin, wie genau die Bundesregierung bei der bereits beschlossenen Gasumlage Mitnahmeeffekte verhindern will. Über die Umlage (2,41 Cent pro Kilowattstunde) werden alle Gaskunden ab Oktober Importeure stützen, die derzeit große Verluste einfahren, weil sie früher geordertes billiges russisches Gas durch teure Ersatzimporte ersetzen müssen. Allerdings haben auch Importeure Anspruch angemeldet, deren Konzernmütter satte Gewinne einfahren. Das hat für Empörung gesorgt. Habeck arbeitet fieberhaft an einer rechtssicheren Novellierung seiner erst wenige Wochen alten Gasumlage.
Gasimporteure in Not Dass es bei einigen Importeuren wirklich um die Existenz geht, haben die vergangenen Tage gezeigt. Nach dem Marktführer Uniper hat nun der Versorger VNG Staatshilfe beantragt. Er beliefert 400 Stadtwerke vor allem in Ostdeutschland und gilt als „systemrelevant“. Da die beantragten Zahlungen aus der Umlage die Schieflage nicht ausgleichen werden, dürfte der Bund nun wie schon bei Uniper mit direkten Hilfen einspringen. Auch Uniper hat weiteren Bedarf angemeldet. Eine Alternative gibt es kaum: Gehen die Importeure bankrott, droht eine Kaskade von Pleiten bei den städtischen Versorgern – mit unabsehbaren Folgen für Millionen Verbraucher.
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