Das Coronavirus hat die Nachfrage nach Hygieneartikeln sprunghaft ansteigen lassen. Die Hersteller versuchen zu reagieren.
WIESBADEN/MAINZ. Sonderschichten, Produktionsumstellung, leer geräumte Lager – die Hygieneartikelindustrie versucht mit allen Mitteln, die durch das Coronavirus angeheizte Nachfrage zu stillen. Führende Anbieter wie Essity, Wepa, Werner und Mertz oder Sagrotan, Vileda und Mewa, die mit Werken oder Unternehmenszentralen in der Rhein-Main-Neckar-Region vertreten sind, haben ihre Produktion hochgefahren. Die Branche geht davon aus, dass der Trend zu stärkerer Hygiene auch nach der unmittelbaren Corona-Krise und den damit verbundenen Hamsterkäufen anhalten wird.
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„Der Bereich Hygiene wird aus unserer Sicht in der Zukunft eine noch wesentlichere Rolle spielen als bisher“, berichtet der Vorstandsvorsitzende von Wepa, Martin Krengel. Das gestiegene Hygienebewusstsein der Menschen werde langfristig bestehen bleiben. Die Wepa-Gruppe (Arnsberg) ist nach eigenen Angaben mit 3700 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 1,3 Milliarden Euro der drittgrößte Hersteller der Branche in Europa. Auf 22 Papiermaschinen werden jährlich 800 000 Tonnen Toilettenpapier, Küchen- und Taschentücher, Servietten, Industrierollen und Handtuchpapier hergestellt. Im früher zu Hakle gehörenden Wepa-Werk in Mainz produzieren 197 Mitarbeiter Toilettenpapier. „Wir haben unsere Produktion – so weit es geht – der Nachfrage angepasst“, sagt Werksleiter Jürgen Birk. Derzeit konzentriere man sich auf die Herstellung von Standardartikeln und verzichte beispielsweise auf individuelle Prägungen.
„Wir arbeiten gerade mit vereinten Kräften ein Wahnsinnspensum ab“, stimmt Thorsten Becherer, Leiter des Essity-Papierwerks in Kostheim, zu. „Das ist sehr kräftezehrend.“ Der Standort mit 570 Mitarbeitern produziert jährlich 152 000 Tonnen Falthand- und Rollenhandtücher sowie Putzrollen für Werkstätten, Arztpraxen und Hotels. Im Mannheimer Werk stellen 2000 Mitarbeiter im Jahr 283 000 Tonnen Toilettenpapier, Taschen- und Haushaltstücher her. Deutschland ist mit einem Umsatz von 1,3 Milliarden Euro für die im Jahr 2017 vom SCA-Konzern abgespaltene Essity (München-Ismanning) der größte Markt. Zu den bekanntesten Marken des Konzerns gehören Tempo und Zewa. Neben Toilettenpapier werden auch Papierhandtücher, Handseife, Spender, Reinigungs- und Wischprodukte hergestellt. Weltweit sieht sich Essity als zweitgrößten Hygieneartikelproduzenten.
Auch bei Vileda herrscht Hochkonjunktur. Die Tochter des Weinheimer Mischkonzerns Freudenberg registriert eine deutliche Steigerung bei der Nachfrage nach Handschuhen und Mikrofasertüchern, Topf- und Bodenreinigern. „Die Menschen verbringen aufgrund der notwendigen Kinderbetreuung und des Home-Offices mehr Zeit zu Hause“, heißt es zur Begründung.
Das Mainzer Familienunternehmen Werner und Mertz arbeitet bei der Produktion von Seifen- und Desinfektionsmitteln ebenfalls an der Kapazitätsgrenze. „Die Eindämmung der Pandemie hat für uns momentan oberste Priorität“, betont Inhaber Reinhard Schneider. Deshalb werde die Produktion von Desinfektionsmitteln bevorzugt. Die Herstellung von nicht unbedingt notwendigen Produkten wie Glasreiniger werde dagegen etwas zurückgestellt. „Wir stellen Produkte her, die das Infektionsrisiko verringern.“ So zählen die Mainzer, zu denen Marken wie Frosch und Erdal gehören, zu den drei größten zentraleuropäischen Herstellern von Handseifen.
Eine „exponentielle Zunahme“ der Aufträge verzeichnet der Sagrotan-Hersteller RB Hygiene Home in Heidelberg. „Wir arbeiten unermüdlich daran, die Nachfrage zu erfüllen“, teilt das Unternehmen mit, welches sich als zweitgrößten Produzenten von Oberflächenreinigern und als „Nummer 1 in der Bakterienbekämpfung“ einstuft.
Bereitstellen, Holen, Waschen und Wiederanliefern – das ist das Geschäftsmodell des Textildienstleisters Mewa. Eine deutlich höhere Nachfrage von Großmetzgern im Lebensmitteleinzelhandel spürt das Wiesbadener Familienunternehmen mit 5600 Mitarbeitern, das 188 000 Vertragskunden aus Industrie, Handel und Handwerk in 14 europäischen Ländern zählt. „Wir arbeiten alles ab, was kommt“, berichtet Vorstandsmitglied Ulrich Schmidt. Neben der von rund einer Million Beschäftigten getragenen Berufs- und Schutzkleidung gehören Putztücher zur Angebotspalette. Inzwischen wäscht Mewa jährlich mehr als eine Milliarde Putztücher für Unternehmen. Allein am Standort Rodgau mit 364 Mitarbeitern werden jährlich für 10 000 Vertragskunden 360 000 Teile Berufskleidung, 9,9 Millionen Putztücher, 13 000 Fußmatten und 4100 Handtuchrollen gewaschen. „Die Bundesregierung muss in Krisenzeiten auch die zweite Ebene der systemrelevanten Unternehmen im Blick haben“, betont Schmidt. Dazu gehörten Zulieferunternehmen wie Mewa. Denn ohne Berufskleidung und Maschinen-Putztücher müssten viele Infrastrukturunternehmen wie Kraftwerksbetreiber den Betrieb einstellen.