Im Finale der NFL-Saison treffen die Los Angeles Rams auf die Cincinnati Bengals. Eine klare Sache, oder doch nicht? Was für die Rams spricht und was für die Bengals.
LOS ANGELES/MAINZ. In der Nacht zum Montag (0.30 Uhr deutsche Zeit) ist es so weit: In Los Angeles steigt der Super Bowl. Das Endspiel um den Titel der us-amerikanischen Football-Liga NFL stellt eines der größten Football-Ereignisse der Welt dar – und erfreut sich auch in Deutschland großer Beliebtheit. Noch in diesem Jahr werden erstmals Spiele der NFL in einem deutschen Stadion ausgetragen: 2022 hat die NFL ein Spiel in München angesetzt, 2023 ist die Rhein-Main-Region mit Frankfurt Austragungsort.
Besondere Brisanz bekommt das NFL-Finale dieses Jahr auch durch die beiden Finalteilnehmer: Die Los Angeles Rams spielen gegen die Cincinnati Bengals. Zwar zählten die Rams vor der Saison durchaus zum erweiterten Favoritenkreis, allerdings wurden von vielen Experten mindestens die Teams aus Green Bay und Tampa Bay höher eingeschätzt. Die Kalifornier genießen übrigens das Privileg, den Super Bowl im heimischen SoFi Stadium spielen zu dürfen. Der Austragungsort steht allerdings seit mehreren Jahren fest. Kurios: Auf dem Papier gilt Cincinnati als „Heimmannschaft“, was unter anderem dazu führt, dass die Bengals die Heimkabine nutzen und die Rams sich in ihrem eigenen Stadion im Gästretrakt umziehen. Dass die Bengals, vor zwei Jahren noch das schlechteste Team der Liga, nun eine Chance auf den Titel haben, hätte außerhalb von Ohio wohl kaum jemand für möglich gehalten. Die Buchmacher in Las Vegas sehen das ähnlich: Die Los Angeles Rams sind mit 4.5 Punkten Vorsprung Favorit auf den Titel.
Doch bekanntlich muss jedes Spiel erst gespielt werden. Wir haben uns das Aufeinandertreffen der beiden Titelanwärter mal genauer angesehen. Hier kommen unsere Argumente für einen Sieg der jeweiligen Seite.
Drei Gründe, warum die Rams gewinnen
von Max Schirp
Dominanz an der Line: Ganze neun Mal lag Bengals-Quarterback Joe Burrow in der Divisional Round im Dreck. Das ist ein Play-off-Rekord. Die Offensive Line der Bengals, eigentlich damit beauftragt, den Quarterback zu schützen, offenbarte in dem Play-off-Spiel gegen Tennessee, was bereits über weite Strecken der Saison zu beobachten war: Gegen gute NFL-Defensiven ist sie mit dem Quarterback-Schutz überfordert. Nun wartet aber nicht Tennessee, sondern Los Angeles – und damit eine vielleicht noch dominantere defensive Front. Zu erwarten ist ein Spiel, in dem Burrow den Ball sehr schnell passen muss. Sollte das nicht gelingen, wird es für den jungen Quarterback ein langer Abend. Zu groß ist der individuelle Vorteil der Rams. Insbesondere der während der Saison verpflichtete Passrusher Von Miller sollte regelmäßig seine Eins-gegen-eins-Duelle gegen die Passblocker der Bengals gewinnen. Dass ihm diese Gelegenheiten geboten werden, ist wahrscheinlich. Denn in der Mitte wartet kein Geringerer als der beste Verteidiger der Liga: Defensive Tackle Aaron Donald. Der 30-Jährige ist eine Naturgewalt. Jahr für Jahr dominiert und terrorisiert er gegnerische Offensive Lines. Donald zieht häufig zwei Blocker auf sich und schafft es trotzdem, Druck auf den Quarterback auszuüben. Die durchschittliche Offensive Line der Bengals wird hier an ihre Grenzen stoßen – und Donald könnte den offensiven Plan von Bengals-Trainer Zac Taylor torpedieren.
Ramsey meldet Chase ab: Sollte es die D-Line der Rams einmal nicht schaffen, Joe Burrow unter Druck zu setzen, kommt eine Stärke der Bengals zu tragen. Das Passspiel mit drei guten Passempfängern. Insbesondere Rookie Ja’Marr Chase, der bereits am College mit Burrow harmonierte, spielte eine herausragende Saison. Chase ist ein Receiver, der gerne tief angespielt wird und sich mit einer Mischung aus Physis und Geschwindigkeit durchsetzt. Und Burrow weiß, wie er seine Lieblings-Anspielstation einsetzen muss. An dieser Stelle werden die Rams einen weiteren defensiven Superstar einsetzen: Cornerback Jalen Ramsey. Ramsey schafft es nicht nur, die Bewegungen eines Wide Receivers nachzuahmen und so eine enge Manndeckung zu spielen. Er ist auch ein Cornerback, der einen harten, physischen Spielstil pflegt. Er bringt die Eigenschaften mit, die es braucht, um nicht von Ja’Marr Chase abgekocht zu werden. Hier erwartet uns ein spannendes Duell – und Ramsey bringt alles mit, um es zu gewinnen.
Vielseitige Offensive: Ein Grund, warum die Bengals im AFC Championship Game die Favoriten aus Kansas City rausgeworfen haben, war die defensive Leistung der zweiten Halbzeit. Die Defensive von Cincinnati schaffte es, Chiefs-Receiver Tyreek Hill aus dem Spiel zu nehmen und Quarterback Patrick Mahomes war auffallend häufig vergeblich auf der Suche nach freien Anspielstationen. Gegen die Rams wird den Bengals das nicht gelingen. Denn auch wenn Rams-Passempfänger Cooper Kupp eine herausragende Saison spielte, ist die Offensive auf mehr Schultern verteilt als die der Chiefs. Neben Kupp findet Wide Receiver Odell Beckham immer mehr zu alter Stärke. Cheftrainer Sean McVay versteht sich gut darin, auch Spielzüge für seine Rotationsspieler zu entwerfen. Der junge Wide Receiver Van Jefferson spielte in dieser Saison eine gute Rolle und auch unbekannte Namen wie Ersatz-Tight End Kendall Blanton oder Rookie-Receiver Ben Skowronek werden in den Playoffs gezielt eingesetzt. McVay entwickelt vielseitige Konzepte – und sein Quarterback Matthew Stafford ist in der Lage, die Spielzüge umzusetzen.
Drei Gründe, warum die Bengals gewinnen
von Marwin Plän
Eiskalter Joe Burrow: Wird es im Super Bowl eng, gewinnt oft das Team mit dem besseren Quarterback – oder zumindest das Team mit dem Quarterback, der seine Nerven besser im Griff hat. Und „Die Nerven im Griff behalten“ ist schon jetzt so etwas wie die Parade-Disziplin des erst 25-jährigen Joe Burrow in seiner ersten vollständig gespielten NFL-Saison: Je größer der Druck, desto abgeklärter spielt Burrow. In der Hitze des Gefechts präsentiert er sich derart eiskalt, dass die Fans ihn inzwischen „Joe Brrrr“ getauft haben. Eine besonders bemerkenswerte Kostprobe dieser Eigenschaft lieferte er jüngst im Conference Championship Game der AFC: 3:21 lagen seine Bengals bei den favorisierten Kansas City Chiefs schon zurück. Doch während Superstar-Quarterback Patrick Mahomes vor heimischer Kulisse plötzlich das Nervenflattern bekam, führte Burrow seine Cincinnati Bengals (unter maßgeblicher Unterstützung seiner Defensive) in einem der lautesten Stadien der NFL mit akkuraten Pässen doch noch zum Sieg.
Wie sich die Szenarien ähneln: In der Nacht auf Montag gelten die Bengals wieder als Außenseiter, wieder im Stadion des Gegners, wieder könnte es bis zum Schluss eng bleiben, wieder könnte die Nervenstärke der Quarterbacks eine spielentscheidende Rolle spielen. Auf der einen Seite steht dann ein unter Druck mitunter zu Aussetzern neigender Matthew Stafford, auf der anderen Seite: Joe Brrrr.
Offensiv viel mehr als „nur“ Chase: Wann immer in den vergangenen Wochen und Monaten die Offensive der Bengals thematisiert wurde, standen Joe Burrow und Rookie-Receiver Ja’Marr Chase (21) im Vordergrund. Das Duo, das sich bereits aus gemeinsamen College-Zeiten kennt, legt seit Saisonbeginn sensationelle Zahlen auf: In den 17 Spielen der regulären Saison fing Chase 81 Pässe Burrows für fast 1500 Yards und 13 Touchdowns. In beiden Statistiken liegt Chase ligaweit in der absoluten Spitze. Das wissen natürlich auch die Rams – und werden Chase häufiger doppelt decken oder mit Jalen Ramsey ihren besten Cornerback auf ihn ansetzen. Dadurch ergeben sich aber Möglichkeiten für all die weiteren Trumpfkarten in der Bengals-Offensive, die bei allen Chase-Lobeshymnen wahrlich keine One-Man-Show ist. Der erst 22-jährige Tee Higgins ist schon jetzt einer der besten Nummer-zwei-Receiver der Liga. Hinzu kommen mit Tyler Boyd ein exzellenter Slot-Receiver und mit Joe Mixon ein zuverlässiger Runningback. Möglicherweise kehrt zudem der zuletzt verletzte Tight End C.J. Uzomah zurück. Selbst wenn Burrow den Ball häufiger schnell loswerden muss und nicht den tiefen Pass auf Chase suchen kann, bieten sich ihm viele Optionen.
Bates & Co. bremsen Rams aus: Viel haben wir bis zu dieser Stelle über die Offensive der Bengals gesprochen. Doch bei aller offensiven Feuerkraft war es vor allem die Defensive, die das Team aus Cincinnati bislang durch die Playoffs getragen hat. Sie war es auch, die dank guter Deckungsarbeit und cleveren Verwirrspielchen Chiefs-Quarterback Mahomes im Conference-Finale zunehmend verzweifeln ließ. Im gesamten zweiten Durchgang brachte die zuvor wie entfesselnd punktende Chiefs-Offensive nur noch ein jämmerliches Field Goal zustande – die Grundlage für das sensationelle Comeback der Bengals. Getragen wird diese Defensive von einer guten Offense-Line um Trey Hendrickson, mehr noch aber von dem bärenstarken Safety-Duo Jessie Bates und Vonn Bell. Selbst wenn speziell ein Cooper Kupp nie ganz auszuschalten ist, hat die extrem flexible und daher schwer ausrechenbare Bengals-Defensive das Zeug dazu, die Rams-Offensive immer wieder ins Stocken zu bringen. Der Rest liegt dann bei „Joe Brrrr“ und Konsorten.
Einige Erklärungen zu den Positionen im American Football finden Sie hier:
So setzt sich eine Offensive zusammen.
So setzt sich eine Defensive zusammen.