Nach dem Schlag gegen die „Vereinten Patrioten“: Hat sich das Land zu einem Schwerpunkt entwickelt? Welche Rolle die Corona-Proteste spielen.
MAINZ. Bundesweite Razzia gegen die rechtsextreme Chatgruppe „Vereinte Patrioten“ – ein Gemisch aus „Reichsbürgern“, Verschwörungstheoretikern und radikalen Gegnern der Corona-Regeln. Mitglieder planten offenbar die Entführung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Anschläge auf das Stromnetz. Fünf der 21 Verdächtigen stammen aus Rheinland-Pfalz, ein Hauptverdächtiger ist ein 55-Jähriger aus Neustadt an der Weinstraße. Was die Frage aufwirft, wie groß die „Reichsbürger“-Szene in Rheinland-Pfalz inzwischen ist – und ob hier eine Hochburg ist.
Laut dem jüngsten Verfassungsschutzbericht 2020 werden im Land insgesamt rund 700 Personen dem Spektrum der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ zugerechnet. Ihnen gemein sei „die fundamentale Ablehnung der Legitimität und Souveränität des Staates sowie der bestehenden Rechtsordnung“. Die „Reichsbürger“ streben an, „das Deutsche Reich in historischen Grenzen wieder handlungsfähig zu machen“. „Selbstverwalter“ wiederum „leugnen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und proklamieren einen eigenen Staat“. Beiden gemein ist laut Verfassungsschutzbericht eine besondere Affinität zu Waffen.
Großteil ist männlich und über 50 Jahre alt
Erstmals wurde ihre Zahl im Land Anfang Mai 2017 erfasst, damals sprach man noch von rund 400; Ende 2019 waren es dann rund 650. Seit Ende 2020 sei nun wiederum von einem Anstieg auszugehen, erklärt das Innenministerium auf Anfrage. Der Anteil der „Gewaltorientierten“ sei mit rund 100 hingegen konstant geblieben. Die endgültigen Zahlen werden laut Ministerium im Sommer im neuen Verfassungsschutzbericht veröffentlicht. Im bundesweiten Vergleich der „Reichsbürger“- und „Selbstverwalter“-Szene steche Rheinland-Pfalz allerdings nicht hervor, sagt das Ministerium. Dies hatte auch Innenminister Roger Lewentz (SPD) bei früheren Anlässen betont – der Anstieg in Rheinland-Pfalz verlaufe parallel zum übrigen Bundesgebiet. Der Großteil der Szene, in Rheinland-Pfalz rund 70 Prozent, sind laut Verfassungsschutz Männer; fast 70 Prozent sind über 50 Jahre alt, nur vier Prozent unter 30.
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Im Zuge der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen sind „Reichsbürger“ immer öfter öffentlich in Erscheinung getreten, die Szene hat sich mit anderen radikalen Gegnern, Rechtsextremisten und Verschwörungstheoretikern vernetzt. Damit einher geht eine Radikalisierung im Internet – dies ist nun auch ein Ergebnis der Ermittlungen gegen die „Vereinten Patrioten“.
Radikalisierung im Netz mit Folgen
Die Radikalisierung im Netz spielt auch eine Rolle bei der bislang bekanntesten Straftat im Zusammenhang mit dem Protest gegen Corona-Maßnahmen – auch diese wird in Rheinland-Pfalz verhandelt. In Bad Kreuznach ist ein 50-Jähriger wegen Mordes angeklagt, im September hat er in Idar-Oberstein einen Tankstellenmitarbeiter nach einem Streit um die Maskenpflicht erschossen. Zum Prozessauftakt wurde bekannt, dass die Generalstaatsanwaltschaft in einem anderen Verfahren auch mögliche Verbindungen des Mannes zur „Querdenker“-Szene prüft.