Nach Lewentz-Vernehmung: Noch viele Fragen offen

Der Innenminister des Landes Rheinland-Pfalz Roger Lewentz (SPD) kommt zum zweiten Mal als Zeuge zum Untersuchungsausschuss des Landtags zur Flutkatastrophe im Ahrtal.  Foto: Sascha Kopp

Am Freitag stellte sich der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz dem U-Ausschuss zur Ahr-Flut. Immer wieder drängte ihn die Opposition hierbei mit Fragen in die Enge.

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MAINZ. Roger Lewentz ist sichtlich geschafft, als er am Freitag nach 22.30 Uhr in die Lobby des Landtags tritt. Hinter dem SPD-Politiker liegen dreieinhalb Stunden Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags. Dreieinhalb Stunden, in denen er sich den Fragen des Parlaments gestellt hat, ob sein Haus und er in der Flutnacht 2021 nicht früher hätten erkennen müssen, dass sich an der Ahr eine Katastrophe abspielt.

Lewentz‘ Linie

Lewentz‘ Argumentationslinie war früh erkennbar. Immer wieder legte der Minister Wert darauf, dass er bis in die Nacht lediglich „Einzelereignisse“ von der Ahr berichtet bekommen habe. Bei diesen punktuellen Ereignissen sei es vor allem um wenige Dörfer am Oberlauf des Flusses gegangen. Ein „vollständiges Lagebild“ über eine flächendeckende Katastrophe, die habe ihm zu keiner Zeit vorgelegen.

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Lewentz war außerdem in den Anfangsstunden des Hochwassers persönlich in den Katastrophenstab des Kreises Ahrweiler gefahren. Bei diesem Besuch hätten auf ihn „Stab und Führung nicht so gewirkt, als seien sie überfordert mit der aktuellen Hochwasserlage“, teilte der Minister mit.

Lesen Sie dazu unseren Kommentar: Druck auf Lewentz bleibt

Hinzu sei an diesem Abend erschwerend gekommen, dass in gleich mehreren rheinland-pfälzischen Kreisen schwere Hochwasser entstanden waren, etwa im Raum Trier oder der Vulkaneifel. Lewentz: „Es gab für mich die ganze Zeit über keine Anzeichen dafür, dass sich die Lage an der Ahr derart schrecklich abheben würde von den anderen Einsatzgebieten.“

Offene Fragen

Auffällig war, dass Lewentz vor allem dann souverän argumentierte, wenn er seine vorbereiteten Ausführungen vortrug. Oder auf Vorlagen der SPD-Fraktion antwortete. Ausweichend wurde er hingegen, wenn die Opposition ihn mit Fragen in die Enge trieb. Unklar blieb zum Schluss etwa, wieso er Malu Dreyer (SPD) erst kurz vor 1 Uhr nachts über die Entwicklung an der Ahr per SMS informierte.

Lewentz schrieb der Ministerpräsidentin damals: „Liebe Malu, die Lage eskaliert. In [...] Schuld sind wohl 6 Häuser eingestürzt. Weitere Einstürze drohen. Es kann Tote geben/ gegeben haben. Unsere Hubschrauber flogen drüber, bekamen Lichtzeichen mit Taschenlampen, konnten aber nicht runter gehen. Es gab wohl ganz traurige Szenen.“

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Allerdings: Die meisten dieser Informationen haben laut Einsatztagebuch des Innenministeriums bereits um 21.22 Uhr vorgelegen. Also mehr als dreieinhalb Stunden, bevor sie an Dreyer weitergegeben wurden. Lewentz selbst erfuhr erstmals gegen 23 Uhr von den eingestürzten Häusern und vermissten Personen. Also, noch rechtzeitig, um womöglich einen Krisenstab in der Landesregierung zu bilden.

Auf die Frage, wieso er trotzdem bis fast 1 Uhr nachts wartete, bis er Dreyer kontaktierte, antwortete Lewentz: „Wir hatten nur Hinweise auf eine Ortsgemeinde, auf Schuld. Noch mal: Das sind Informationen aus einer Gemeinde, ein vollständiges Lagebild hatte ich nicht.“ Allerdings ist auch belegt, dass Lewentz um 23.45 Uhr Luftbilder erhielt, auf denen drei komplett geflutete Dörfer an der Ahr zu sehen waren. Wieso er der Ministerpräsidentin in der SMS von den anderen beiden Gemeinden nicht berichtet hatte, wusste er nicht schlüssig zu beantworten.

Lewentz hatte außerdem bei seiner Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft Koblenz zu Protokoll gegeben, dass er in der Unglücksnacht den Schwerpunkt des Hochwassers vor allem in der Westeifel gesehen habe – und nicht im Ahrtal. Wieso er aber dann Dreyer per SMS über die Entwicklungen an der Ahr informierte und nicht über die Westeifel, blieb ebenfalls offen.

Konfrontiert wurde Lewentz vonseiten der Opposition außerdem damit, dass er an Dreyer von „wohl“ eingestürzten Häusern in Schuld geschrieben hatte. Denn: Aus früheren U-Ausschuss-Vernehmungen ist nachweislich bekannt, dass die Informationen über die eingestürzten Häuser von Augenzeugenberichten der Polizei im Ahrtal stammen – und bereits Stunden zuvor an das Innenministerium übermittelt wurden. Brisant: Auch das Lagezentrum des Innenministeriums stufte die Augenzeugenberichte der Polizei im Ahrtal laut Tagebuch als unbestätigte Informationen ein. Warum? Auch das blieb offen.

Hubschraubervideos

Nicht-öffentlich wurden am Freitag zwei Hubschraubervideos abgespielt. Die Aufnahmen waren in den späten Abendstunden der Flut von Fliegern der rheinland-pfälzischen Polizeistaffel im Ahrtal aufgenommen worden. Den Ausschluss der Öffentlichkeit begründete der Ausschussvorsitzende Martin Haller (SPD) mit: „Auf den Videos sind Personen im Notfall zu sehen, die anhand der Bilder identifiziert werden könnten.“ Nach einer Beratung des Ausschusses kündigte die Landesregierung allerdings an, zu prüfen, ob die Videos so bearbeitet werden können, dass sie in einer der kommenden Sitzungen doch öffentlich abgespielt werden dürfen.

Die 20-minütigen Aufnahmen sollen dramatische Szenen zeigen: bis unter die Dächer geflutete Dörfer. Verzweifelte Menschen auf Hausdächern, die Taschenlampensignale an die Piloten senden, um auf sich aufmerksam zu machen. Wie Vernehmungen im U-Ausschuss ergaben, soll die Existenz dieser Videos bis zur vergangenen Woche unbekannt gewesen. Sowohl dem Innenminister als auch im Innenministerium. Aufnahmen, die ein flächendeckendes Lagebild von der Ahr ermöglicht hätten. Also jenes Bild, das dem Innenminister an diesem Abend laut eigener Aussage gefehlt hatte.