Flughafen Hahn ist zahlungsunfähig. Diese Meldung vom Dienstagmittag ruft nun die Politik auf den Plan. Streit bahnt sich an – die Opposition pocht auf Aufklärung.
BERLIN. Absturz. Der Flughafen Frankfurt-Hahn ist zahlungsunfähig, der Flugbetrieb läuft aber vorerst weiter. Ob der seit Jahren finanziell angeschlagene Regionalflughafen sich allerdings auf Dauer halten kann, ist nach verlustreichen Jahren ungewiss.
Der Insolvenzantrag sei beim Amtsgericht Bad Kreuznach eingereicht worden, berichtet Hahn-Betriebsleiter Christoph Goetzmann. Betroffen sind neben der Flughafen Frankfurt-Hahn GmbH auch vier weitere Gesellschaften am Hunsrück-Airport. Das Gericht prüft nun deren Anträge. „Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bedeutet nicht automatisch die Einstellung des operativen Betriebs, vor allem dann nicht, wenn entsprechendes Geschäft vorhanden ist“, betont das rheinland-pfälzische Innenministerium in Mainz. Am Zug ist nun als vorläufig eingesetzter Insolvenzverwalter der Frankfurter Anwalt Jan Markus Plathner aus der Kanzlei Brinkmann & Partner, der die Lage der Gesellschaften nun untersuchen muss. Der operative Betrieb wird damit zunächst weiter geführt. Plathner kennt die Materie, da er bereits im Jahr 2014 als Insolvenzverwalter der Flughafen Zweibrücken GmbH tätig war.
Zuletzt Zuwächse verbucht
Der Flughafen Hahn gehört zu 82,5 Prozent dem chinesischen Luftfahrt- und Tourismuskonzern HNA, 17,5 Prozent hält das Land Hessen. Der chinesische Konzern hatte zuvor bereits Insolvenz angemeldet. Dessen Gläubiger forderten eine Neuausrichtung der Unternehmensgruppe. Am Flughafen Hahn wurde aber betont, dass das keine Auswirkungen auf den Betrieb vor Ort haben wird.
Hahn-Betriebschef Goetzmann berichtet noch Anfang Oktober, den Flughafen erfolgreich ohne Kurzarbeit durch die Corona-Pandemie gesteuert zu haben. Wie viele Flughäfen verbucht Hahn aktuell Zuwächse im Frachtgeschäft. Beim Passagiergeschäft dagegen sah es schon vor der Corona-Krise nicht gut aus. Von den einst vier Millionen Passagieren ist nur ein Bruchteil geblieben. Hauptkunde Ryanair hat Flüge aus dem Hunsrück abgezogen.
"Ein Schock für die Mitarbeiter des Flughafens"
Der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Kirchberg, Harald Rosenbaum, ist sprachlos. Die Lage scheine ernst zu sein, da nicht nur die Flughafen Hahn GmbH, sondern auch vier weitere für den Betrieb des Flughafens wichtige Firmen Insolvenz angemeldet hätten, sagt er in einem SWR-Interview. Am Flughafen hingen viele Arbeitsplätze und Firmen. Die Opposition im rheinland-pfälzischen Landtag kritisiert unterdessen die Landesregierung scharf und zeigt sich überrascht. Im Innenausschuss am 7. Oktober sei auf den Antrag der Freien Wähler noch berichtet worden, dass durch die Festnahmen des Vorstands- und des Verwaltungsratschefs des chinesischen Betreibers HNA die Fortführung des Flughafens nicht beeinträchtigt werde. „Nach dieser vor zwölf Tagen übermittelten Entwarnung stellt sich jetzt die Frage: Was wurde dem Innenministerium seitens des Flughafenbetreibers verschwiegen? Oder hat die Landesregierung die Lage am Hahn schlichtweg falsch eingeschätzt? Das Innenministerium muss nun dringend Antworten liefern!“, teilt Stephan Wefelscheid, Parlamentarischer Geschäftsführer der Freien Wähler mit.
„Die Nachricht ist ein Schock für die Mitarbeiter des Flughafens und die Region. Die Insolvenz ist der vorläufige traurige Höhepunkt einer völlig vermurksten Flughafenpolitik der Landesregierung unter Frau Dreyer“, erklärt CDU-Generalsekretär Jan Zimmer. Schon vor der Corona-Krise sei der Airport in starker Schieflage gewesen. „Nun holen die Ereignisse die Landesregierung wie ein Bumerang ein. Frau Dreyer muss sich unverzüglich zur Situation erklären“, fordert die CDU.
Das rheinland-pfälzische Innenministerium verweist dagegen darauf, dass das Land seit mehreren Jahren nicht mehr an der Flughafen Frankfurt-Hahn GmbH beteiligt ist. Im Rahmen der vertraglichen Vereinbarungen aus dem Verkauf der Geschäftsanteile habe das Land gleichwohl im Sinne der dort Beschäftigten und der Region auch nach der Privatisierung die Flughafen-Gesellschaft finanziell unterstützt, sofern die entsprechenden Fördervorschriften nachgewiesen werden konnten. „Es wurden in den letzten zwei Jahren keine Anträge auf Auszahlungen mehr gestellt“, teilt das Ministerium in Mainz weiter mit. An die Flughafen-Gesellschaft sind vom Land Rheinland-Pfalz für die Geschäftsjahre 2017 und 2018 gemäß Verkaufsvertrag insgesamt 10,2 Millionen Euro für Betriebsbeihilfen und knapp 5,2 Millionen Euro für Sicherheitskosten wie Brandbekämpfung und medizinischer Dienst ausgezahlt worden. Darüber hinaus gab es laut Ministerium seitdem keine weiteren Zahlungen.
Gezwungenermaßen. Denn gegen die Beihilfen hatte Ryanair-Konkurrent Lufthansa geklagt, der sich im Wettbewerb benachteiligt fühlte. Ein EU-Gericht hatte am 19. Mai 2021 dann die von der EU-Kommission genehmigten Betriebsbeihilfen des Landes für den Flughafen für nicht zulässig erklärt. Während die EU-Kommission die Entscheidung akzeptierte, hatte das Land Rechtsbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof eingelegt. Dabei geht es um insgesamt 25,3 Millionen Euro Betriebsbeihilfen, zu deren Zahlung sich die Rheinland-Pfalz beim Verkauf im Jahr 2017 bis längstens 2024 verpflichtet hatte. Das Land Hessen will als Minderheitsaktionär die „konkreten Auswirkungen der Insolvenzanmeldung“ zunächst prüfen, bevor es Stellung nimmt.
Reiserechtler rät: Fluggäste sollten Ruhe bewahren
Trotz allem rät Reiserechtler Paul Degott aus Hannover Betroffenen : bloß keine Panik. "Am besten wenden sich die Passagiere an ihre Fluggesellschaft oder den Reiseveranstalter, bevor sie einsame Entscheidungen treffen", sagt der Experte. Wer den gebuchten Flug einfach storniert, bekommt in der Regel nur die Steuern und Gebühren für das Ticket zurück.
Degott rät dazu, Ruhe zu bewahren und die Lage zu beobachten. Ohnehin sei es wahrscheinlich, dass der Flugbetrieb erst einmal weiter laufe. Der Insolvenzverwalter verschaffe sich ein Bild der finanziellen Lage des Flughafens und müsse dann entscheiden, wie es weiter geht. All dies kann sich einige Zeit hinziehen - bei laufendem Betrieb. Irgendwann müssen laut Degott die Fluggesellschaften entscheiden, ob sie ihre Flüge auf andere nahe Airports umlegen. Hier ist dann die Frage, wie zumutbar die Maßnahme für davon betroffene Reisende ist. Bei Unzumutbarkeit kann sich der Kunde das Ticket erstatten lassen. Das hängt dem Reiserechtsexperten zufolge vom Einzelfall ab.
Geschäftsführung plante bis 2024 positives Konzernjahresergebnis
Die vier weiteren Gesellschaften, die einen Insolvenzantrag gestellt haben, sind unter anderem für Sicherheit, Technik, Tanklager und Betrieb von Parkplätzen und Gastronomie zuständig: Jet Fuel Hahn GmbH, HHN Aviation Security GmbH, HNA Airport Services GmbH sowie HHN Airport Technology GmbH. Laut Ankunfts- und Abflugplan ging der Betrieb am Flughafen am Dienstag zunächst planmäßig weiter.
Goetzmann betonte Anfang Oktober, den Hahn ohne Beihilfen und ohne Kurzarbeit durch die Corona-Pandemie gesteuert zu haben. Die Flughafen-Geschäftsführung erwartete laut ihrem im Bundesanzeiger veröffentlichten Bericht für 2020 nichtsdestotrotz einen Fehlbetrag. Je nach Verlauf der Pandemie plane man, "dass bis zum Jahr 2024 ein positives Konzernjahresergebnis erreicht werden kann", hieß es darin. Danach dürfen Flughäfen gemäß EU-Recht generell keine staatliche Subventionen mehr bekommen.
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Ein Rechtsstreit um Steuergeld in Millionenhöhe für den Flughafen Frankfurt-Hahn war in diesem Sommer entschieden worden. Seinerzeit wies der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine Klage von Lufthansa zurück. Der EuGH bestätige damit ein vorangegangenes Urteil. In dem Streit ging es um staatliche Beihilfen seit 1997 für den Hunsrück-Flughafen und um Verträge mit Ryanair über Flughafenentgelte.
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Der Hahn ist nicht der erste deutsche Flughafen, der zum Insolvenzgericht ziehen muss. Der Standort Paderborn hat die von Corona beschleunigte Insolvenz überstanden, und auch am Bodensee-Airport Friedrichshafen zeigte sich Sachwalter Alexander Hubl optimistisch, dass die noch ausstehende Genehmigung durch die EU-Kommission das Eigenverwaltungsverfahren zu einem glücklichen Ende bringen werde.
Den kleinen Flughäfen fehlt schlichtweg auch deswegen Geld, weil sich Bund und Länder bei ihrer Rettungsaktion zu Jahresbeginn auf die 15 größeren Flughäfen in Deutschland konzentriert haben. Die kleinen Regionalflughäfen sollten mit 20 Millionen Euro bei den Flugsicherungskosten entlastet werden, was allerdings erst im kommenden Jahr so richtig durchschlägt und dem Hunsrück-Standort nicht mehr geholfen haben dürfte.
Umweltschützer halten Hahn für verzichtbar
Den Flughäfen insgesamt gehe es bescheiden, sagte der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands ADV, Ralph Beisel. "Die Flughäfen haben im vergangenen Jahr 2,1 Milliarden Euro Verlust vor Steuern gemacht und in diesem Jahr werden es 1,5 Milliarden Euro sein." Die Bilder von langen Warteschlangen in den Sommer- und Herbstferien vermittelten ein falsches Bild. "Unsere Terminals sind immer noch viel zu leer bei Passagierzahlen um die 50 Prozent im Vergleich zum Vorkrisen-Niveau", meinte Beisel.
Umweltschützern waren die vielen regionalen Flughäfen schon vor der Pandemie ein Graus. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) setzte den Hahn in einer großangelegten Studie mit auf eine Liste von sieben sofort verzichtbaren Standorten. Sie leisteten nur geringe Beiträge zur Konnektivität, seien dauerhaft von Beihilfen abhängig und hätten sinkende Passagierzahlen verzeichnet, lautete die Kritik in dem Report, der im August 2020 veröffentlicht worden ist. Zustimmung kam unter anderem vom Verkehrsclub VCD, den Linken und den Grünen.
Nach Insolvenzantrag von Airport Frankfurt-Hahn Aufklärung gefordert
Nach der Insolvenzanmeldung der Flughafen Frankfurt-Hahn GmbH pocht die Opposition im rheinland-pfälzischen Landtag auf Aufklärung. Die AfD-Fraktion beantragte, dass die rot-grün-gelbe Landesregierung über das am Dienstag bekanntgewordene Thema im Innenausschuss des Mainzer Landtags informieren solle. Die rheinland-pfälzische Freie-Wähler-Fraktion zeigte sich erstaunt. Noch am 7. Oktober habe das Innenministerium in Mainz im Innenausschuss berichtet, dass mit den Festnahmen der Führungsspitze des angeschlagenen chinesischen Konzerns HNA als Haupteigentümer des Hunsrück-Flughafens der Weiterbetrieb nicht beeinträchtigt werde. "Das Innenministerium muss nun dringend Antworten liefern", hieß es.
Die CDU-Landtagsabgeordnete Karina Wächter kritisierte mit Blick auf den Hunsrück-Flughafen, es sei auffällig, dass sich seit langem kein Vertreter der Landesregierung mehr dort habe blicken lassen. "Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ihre Familien sowie die zahlreichen vom Hahn abhängigen Betriebe, die Menschen im Rhein-Hunsrück-Kreis stehen nun vor einer großen Ungewissheit. Sie sorgen sich um Arbeitsplätze, um ihre Zukunft", betonte Wächter. Der rheinland-pfälzische CDU-Generalsekretär Jan Zimmer sprach von einem "vorläufigen traurigen Höhepunkt einer völlig vermurksten Flughafenpolitik der Landesregierung".
HNA hält 82,5 Prozent der Anteile am Airport Hahn und Hessen 17,5 Prozent. Die hessische Landtagsfraktion der Linken forderte von der schwarz-grünen Landesregierung in Wiesbaden, "sich nun in ihrem Interesse in das anstehende Insolvenzverfahren einzubringen. Es braucht einen Sozialplan, der den Betroffenen Sicherheit und eine Perspektive bietet." Hessen sei als Hahn-Miteigentümer in der Verantwortung.
Das Mainzer Innenministerium betonte: "Das Land Rheinland-Pfalz ist seit mehreren Jahren nicht mehr an der Flughafen Frankfurt-Hahn GmbH beteiligt." Gleichwohl habe es ihr für die Geschäftsjahre 2017 und 2018 noch insgesamt 10,2 Millionen Euro Betriebsbeihilfen und fast 5,2 Mio Euro für Sicherheitskosten überwiesen. Ein Insolvenzverfahren bedeute nicht automatisch einen Stopp des Betriebs. Der vorläufige Insolvenzverwalter werde die Geschäfte gemäß den rechtlichen Regelungen führen.