Ahrflut: Innenministerium bleibt bei seiner Linie

Eine Luftaufnahme des Dorfes Insul zeigt die Flutzerstörungen am 14. und 15. Juli 2021 an der Ahr.

Im rheinland-pfälzische U-Ausschuss haben am Freitag erneut Mitarbeiter des Innenministeriums ausgesagt. Wie kam es zu Kritik an ihren Kollegen des Polizeipräsidiums Koblenz?

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Mainz. Ab wann ist eine Katastrophe aus der Ferne als Katastrophe erkennbar? Im Lagezentrum des rheinland-pfälzischen Innenministeriums in Mainz sind während des Flutunglücks 2021 im Ahrtal massenhaft Informationen eingegangen. Darunter drastische Lageschilderungen in einem schriftlichen Bericht von Piloten der rheinland-pfälzischen Polizeihubschrauberstaffel, die über die Ahr geflogen waren. Es gab zudem mindestens drei Luftfotos von gefluteten Dörfern, ebenfalls aufgenommen durch die Besatzung des Polizeihubschraubers. Und es fand ein Telefonat statt, mit teils dramatischen Auskünften über die Zustände an der Ahr.

Dennoch sind Mitarbeiter des polizeilichen Lagezentrums am Freitag bei ihren Vernehmungen vor dem Untersuchungsausschuss des Landtages bei ihrer Linie geblieben, in den Stunden der Flut kein vollständiges Lagebild von der Ahr gehabt zu haben. Ein Mitarbeiter sagte aus: „Wir hatten am späten Abend drei Bilder vom Hochwasser an der Ahr erhalten, das waren punktuelle Ereignisse, in manchen Dörfern hat man Häuser gesehen, die bis unters Dach unter Wasser stehen.” Daraus aber eine großflächige Katastrophe abzuleiten, das sei anhand der vorliegenden Informationen nicht möglich gewesen.

Erster belastbarer Bericht erst um 4.57 Uhr?

Das polizeiliche Lagezentrum des Innenministeriums ist - knapp erklärt - das rheinland-pfälzische Drehkreuz für größere Polizeieinsätze. Wenn es irgendwo im Land einen solchen Einsatz gibt, gelangen Information von vor Ort in das Lagezentrum zwecks Bewertung und Weiterleitung. Aber seit Wochen sehen sich die Mitarbeiter im Lagezentrum mit Vorwürfen konfrontiert, eingehende Informationen zur Ahr damals falsch interpretiert zu haben. Die anhaltende Kritik gipfelte im Oktober im Rücktritt von Roger Lewentz (SPD) als Innenminister. Auch Lewentz hatte bis zum Schluss seiner Amtszeit beharrlich ausgesagt, am Abend und in der Nacht der laufenden Katastrophe kein umfassendes Lagebild von der Ahr gehabt zu haben. Ein Mitarbeiter des Lagezentrums erklärte im U-Ausschuss dazu: „Erst um 4.57 Uhr erreichte uns der erste belastbare Bericht, durch die mehrseitige Lagefortschreibung des Polizeipräsidiums Koblenz. Bis dahin waren sämtliche Informationen nur stichpunktartig.” Und somit nicht belastbar.

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Kritik gab es im U-Ausschuss von den Mitarbeitern des polizeilichen Lagezentrums in diesem Zusammenhang an ihren Kollegen des Polizeipräsidiums Koblenz. Eine Koblenzer Polizistin hatte vor Monaten bei ihrer Vernehmung vor dem U-Ausschuss ausgesagt, unmittelbar nach Dienstantritt am Abend der Flut erkannt zu haben, dass sich an der Ahr eine Katastrophe abspiele. Diese Informationen habe sie anschließend zeitnah gebündelt an das Innenministerium telefonisch weitergegeben und entsprechende Gegenmaßnahmen vor Ort eingeleitet. Eine Aussage, die im Lagezentrum anscheinend nicht gut angekommen ist. Ein Mitarbeiter des Lagezentrums sagte aus, er könne sich nicht vorstellen könne, dass die Polizistin wirklich wusste, „was da passiert. Ansonsten müsste sie sich einige Fragen gefallen lassen, eventuell auch von der Staatsanwaltschaft”.

Eine komplizierte Ordnerstruktur im E-Mail-Eingang

Die Polizisten des Lagezentrums stellten sich im U-Ausschuss außerdem den Vorwürfen, dass ihr Haus womöglich versucht hatte, mutmaßliches Fehlverhalten rund um die Flut zu vertuschen. Hintergrund: In den vergangenen Wochen sind immer wieder E-Mails, Videos oder sonstige Daten an die Beweisakten des U-Ausschusses nachgeliefert worden. Beweise, die dort vor Monaten hätten eingegangen sein müssen. Darunter auch Beweismittel, die den Verdacht nahelegen, dass das Innenministerium früher über ein vollständiges Lagebild von der Ahr hätte verfügen müssen.

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Ein Mitarbeiter erklärte im U-Ausschuss, dass im E-Mail-Postfach des Lagezentrums ein verschachteltes Netz an Ordnern und Unterordnern vorliege. Eine E-Mail werde stets nach ihrer Bearbeitung in einen dieser insgesamt 81 Ordner verschoben. „Bei diesem Verfahren kann es zu Fehlern kommen. Wenn man eine Sekunde zu früh den Finger von der Maus nimmt, kann eine Mail in einem Ordner verschwinden”, erklärte er, wie es womöglich zu Problemen bei der Vollständigkeit der Beweisaktenlieferung gekommen sein könnte. Als die Mitarbeiter des Lagezentrums am Tag nach der Flut gemerkt hätten, „welche Dimension dieses Ereignis hat, hat man einen neuen Unterordner gebildet”, speziell für dieses Ereignis. Später sei noch ein weiterer Ordner für den U-Ausschuss hinzugekommen. Beim Verschieben sämtlicher E-Mails in diesen, sei es vielleicht passiert, „dass nicht alle E-Mail erfasst wurden”.