Warum der Wahlkampf so stark auf Personen zugeschnitten ist

Begrüßung der Kanzlerkandidaten vor dem ersten Triell: Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz wollen Nachfolger von Angela Merkel werden. Wahlforscher Matthias Jung rechnet fest mit einem Dreierbündnis nach der Wahl.  Foto: dpa

Im Interview erklärt der Wahlforscher Matthias Jung, die Gründe für einen personenbezogenen Wahlkampf zur Bundestagswahl.

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WIESBADEN. Der Pfälzer Mattias Jung kennt den Wahlbetrieb. Ihn kann nicht viel schrecken, so ordnet er den Wahlkampf 2021 unter vielen anderen ein, kann erdrutschartige Bewegungen nicht entdecken.

Was ist das Besondere an dieser Bundestagswahl, Herr Jung?

Man neigt dazu, die aktuelle Wahl als etwas Besonderes zu sehen, aber im Grunde gilt das für jede Wahl. Wahlkämpfe sind sehr abwechslungsreich und im Ergebnis nicht vorhersehbar. Allerdings wird es spannender, weil wir weniger Wählerinnen und Wähler haben, die sich schon früh auf eine Partei festgelegt haben. Es gibt also mehr Wechselwähler.

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Können wir erst hinterher von einer besonderen Wahl sprechen?

Die Konstellation deutet derzeit darauf hin, dass womöglich nur Dreier-Koalitionen möglich sind. Das kann wie schon 2017 zu besonderen Schwierigkeiten bei der Regierungsbildung führen.

Wie ist Ihr Eindruck vom Triell?

Aus meiner Sicht war es eher ein Gleichstand. Einen klaren Sieger oder Verlierer konnte ich nicht erkennen. Laschet hat sich vielleicht etwas überraschender präsentiert, Scholz hat das Erwartete geboten. Mancher Kandidat hat fahrlässig Punkte liegenlassen.

Nennen Sie ein Beispiel.

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Als Annalena Baerbock fälschlicherweise behauptet hat, teure E-Autos würden höher subventioniert als preiswerte, hätte zum Beispiel Laschet einspringen müssen. Jeder weiß doch, dass die billigsten Fahrzeuge am stärksten bezuschusst werden.

Sie haben TV-Duelle Konfirmationsveranstaltungen genannt, weil Zuschauer sich dabei ihre Entscheidung nur bestätigen lassen wollten.

Erstmal schauten jetzt mit fünf Millionen Zuschauern nur eine überschaubare Gruppe der 60 Millionen Wahlberechtigten zu. Die hat meist schon eine Meinung und nimmt das Geschehen sehr selektiv wahr. Die Schwächen des eigenen Favoriten werden gerne übersehen, und die Pannen des Gegners überdeutlich wahrgenommen. Das heißt, viele ändern nach solchen Sendungen ihre Meinung nicht mehr, Überraschungen sind eher selten.

Wie entscheidend ist das Echo auf die Sendungen?

Diese Wirkung ist ganz entscheidend. Denn dann wird weit über die fünf Millionen Zuschauer hinaus öffentlich debattiert, wie die Kandidaten abgeschnitten haben. Auch von solchen, die gar nichts gesehen haben. Allerdings haben wir dieses Mal angesichts des wenig spektakulären Verlaufs nicht so ein großes Medienecho erlebt.

Hat Olaf Scholz geholfen, dass er so früh nominiert wurde?

Das hat sich für uns so nicht dargestellt. Er hat eher vom Fehlstart seiner Mitbewerber profitiert. Baerbock mit den Rückschlägen nach der Nominierung und die Union, die viel zu lange gebraucht hat, bis sie sich um den Wahlkampf gekümmert hat.

Hat die Union zu spät begonnen?

Sie hat sich coronabedingt lange mit der Frage des Vorsitzes und des Kanzlerkandidaten beschäftigt. Man kann fast sagen, dass die Union bis heute einen vollwertigen Wahlkampfmodus noch nicht gefunden hat. Das ist extrem spät, auch angesichts der Tatsache, dass wir mit einer hohen Briefwahlquote rechnen. Das heißt, viele Bürger entscheiden sich deutlich vor dem 26. September.

Was macht Armin Laschet falsch?

Er hat sich zu lange mit der innerparteilichen Befriedung in Richtung Friedrich Merz beschäftigt. Er müsste wissen, dass ein Vorsitzender dann in der Union als erfolgreich gilt, wenn er ein gutes Wahlergebnis einfährt. Gerade die Union ist besonders kritisch, wenn ihr durch einen Spitzenkandidaten die Machtoption vermasselt wird. Er hätte sich viel früher und intensiver um die Gunst der Wähler als um die Gunst der Parteimitglieder kümmern müssen. Das ist nach meiner Ansicht ein viel größerer Fehler als irgendwelche Flops in Talkshows oder dem Lachen bei einer TV-Aufnahme im Flutgebiet. Allerdings kann man sich solche medialen Fehler nicht mehr leisten.

Sind also die Medien schuld an Laschets Abwärtsspirale?

Das würde ich so nicht sagen. Aber wenn kritisiert wird, dass zu wenig auf Themen und zu viel auf Personen geachtet werde, fällt das auch auf die Medien zurück. Sie hätten es in der Hand, nach Inhalten zu fragen. Klar ist aber auch, dass sich das Interesse des Publikums verändert hat. Und darauf reagieren die Medien. Wir beobachten vor allem die dramatische Verkürzung von Inhalten bei Sendungen, wenn der Politiker oft nur noch mit einem kurzen Satz auf eine komplizierte Fragestellung antworten darf. Alles muss für das Massenpublikum kurzweilig gehalten werden.

Gibt es entscheidende Themen?

Dazu gehören die Diskussion über Corona, der Klimawandel nach den heißen Sommern der vergangenen Jahre und den Starkregenereignissen dieses Jahres. Das unrühmliche Ende des Afghanistaneinsatzes zähle ich dazu. Dadurch haben die klassischen Themen, die in den Wahlprogrammen breit abgehandelt werden, noch keine große Rolle gespielt.

Aber der Wähler wählt, was für ihn selbst das Beste ist.

Sicherheit in jeder Hinsicht ist wichtig, also ökonomische, soziale, innere, aber auch äußere Sicherheit. Das sind die Basics. Wer vermitteln kann, dass diese Themen bei ihm in guten Händen sind, hat große Vorteile. Wenn aber in den letzten Wochen tagtäglich Bilder über die Dramen rund um den Hindukusch vor einem flimmern, stellen sich die Menschen schon die Frage nach Regierungsversagen. Das beschädigt Politiker. Und diese Nachrichten blockieren die Medienkanäle für andere Themen, die in der Wahl wichtig sein könnten.

Von Stefan Schröder