Merz und die „Sozialtouristen“

aus Krieg in der Ukraine

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Wegen seiner – später relativierten – Aussage über ukrainische Flüchtlinge steht CDU-Chef Friedrich Merz mächtig in der Kritik. Foto: dpa

Der CDU-Chef rudert nach seiner Aussage über Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet zurück, doch der Ärger bleibt.

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BERLIN. CDU-Chef Friedrich Merz hat sich für seinen Vorwurf eines „Sozialtourismus“ von Ukraine-Flüchtlingen entschuldigt, zugleich aber auf zunehmende Probleme bei der Unterbringung von Flüchtlingen hingewiesen. „Ich habe dieses Wort Sozialtourismus verwendet, nicht in der Absicht, irgendjemandem da zu nahe zu treten oder auch persönlich etwas vorzuwerfen“, sagte der Unionsfraktionsvorsitzende. „Wenn ich da jemanden verletzt habe, dann bedauere ich das sehr“, ergänzte er.

Der Hintergrund nach Merz‘ Darstellung: Anfangs hatten Geflüchtete aus der Ukraine Anspruch auf Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz – seit Juni erhalten sie Grundsicherung, also die gleichen Leistungen wie etwa Hartz-IV-Empfänger, und sind damit besser gestellt. Das Wort „Sozialtourismus“ wurde von Sprachwissenschaftlern 2013 zum „Unwort des Jahres“ bestimmt.

SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese etwa warf Merz eine populistische Stimmungsmache gegen Geflüchtete vor, auch nach dessen Entschuldigung. „Der Wahlsieg der Rechten in Italien scheint Friedrich Merz zu Kopf gestiegen zu sein“, sagt Wiese. „Er scheint zu vergessen, dass die Bürgerinnen und Bürger aus der Ukraine nicht wegen der Sozialleistungen zu uns kommen, sondern weil sie Schutz suchen, weil in ihrem Land ein schrecklicher und völkerrechtswidriger Krieg herrscht. Es ist erschreckend, dass Friedrich Merz diese Klaviatur gegen Flüchtlinge wieder anstimmt.“

Wie sind die Zahlen? Fast zwölf Millionen Ukrainer haben nach Angaben des UNHCR seit Kriegsausbruch ihr Land verlassen, fast sieben Millionen Menschen sind innerhalb der Ukraine auf der Flucht. Inzwischen gibt es allerdings eine verstärkte Rückkehrbewegung in die Ukraine. Der UNHCR spricht von rund 5,3 Millionen Menschen, die die Grenze in Richtung Ukraine inzwischen überquert haben.

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In Deutschland sind seit Kriegsausbruch bis zum Stichtag 5. September insgesamt mehr als eine Million Menschen (1.008.635) aus der Ukraine im Ausländerzentralregister erfasst worden, wie das Bundesinnenministerium (BMI) auf Nachfrage mitteilte. Die tatsächlichen Zahlen der Ukrainer, die nach Deutschland geflohen sind, können davon abweichen, denn es gilt Freizügigkeit in der EU und es gibt keine stationären Grenzkontrollen. Zahlenmäßig erfasst werden also nur diejenigen, die sich nach ihrer Ankunft bei den Behörden registrieren. Und nur registrierte Geflüchtete können in Deutschland auch Sozialleistungen beanspruchen – sie haben Anspruch auf Arbeitslosengeld II (SGB II). Nach der vorläufigen Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) gab es im August rund 546.000 Leistungsberechtigte im SGB II mit ukrainischer Staatsangehörigkeit.

Konkrete Zahlen, wie viele Menschen Deutschland in Richtung Ukraine wieder verlassen haben, nachdem sie hierzulande Sozialleistungen beantragt haben, liegen in den zuständigen Ministerien nicht vor, weder im Innen- noch im Arbeitsministerium. Der Bezug von Sozialleistungen werde nicht im Ausländerzentralregister erfasst. Man verweist darauf, dass ausländerrechtlich keine Verpflichtung zur Abmeldung bestehe. Der Migrationsexperte Gerald Knaus hält es allerdings für unwahrscheinlich, dass in größerem Ausmaß Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland Leistungen beantragen, um danach wieder in die Ukraine zurückzureisen. „Die Mühen und Kosten der Flucht sind hoch“, sagt Knaus. Natürlich gebe es Menschen, die zurückgehen, um ihre Familien zu treffen. „Abgesehen davon, dass diese soziale Unterstützung eine sehr effiziente Hilfe für Ukrainer in Not wäre, es wäre also kein verschwendetes Geld“, betont Knaus.

Von Kerstin Münstermann und Jana Wolf