Corona zeigt: Der Föderalismus kann funktionieren. Aber nach der Krise ist eine grundlegende Reform nötig. Schreibt unser Gastautor Andreas Rödder.
. Nichts Neues unter der Sonne. Schon Aristoteles wusste: Es ist wahrscheinlich, dass das Unwahrscheinliche geschieht. Aber auch er hätte wohl nicht vorhergesehen, dass jetzt geschieht, was wir alle vor vier Wochen noch für undenkbar gehalten hätten: dass Bundesliga-Spieltage abgesagt werden. Und im größeren Maßstab: Die ganze Moderne, die seit 200 Jahren auf immer umfassendere technische Beherrschung der Welt angelegt ist, wird durch ein Virus lahmgelegt, das man nicht sieht. Und wir reagieren wie im Mittelalter – mit Berührungsverboten und Quarantäne. Und es geht. Die erste Lehre aus der Krise lautet also: Das Undenkbare ist möglich.
Zweite Lehre: Durchregieren ist möglich, und Politik ist handlungsfähig. Die Naherfahrung von Politikern ist die der Ohnmacht – man könne in hocharbeitsteiligen, überkomplexen Gesellschaften mit ihren vielen Veto-Spielern und Lobby-Gruppen eigentlich kaum etwas bewegen, nicht einmal den Soli vollständig abschaffen. Jetzt fahren Anordnungen der Bundesregierung und der Ministerpräsidenten das ganze Land herunter, wie es nicht einmal im Krieg der Fall war.
Damit sind wir bei der dritten Lehre: Auch der Föderalismus ist handlungsfähig. Das gilt allerdings nur unter einer Bedingung, dass nämlich nicht nur jeder für sich und alle wild durcheinander handeln, sondern koordiniert und kooperativ. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten ist das gelungen.
Aber warum gelingt in der Corona-Krise, was in der Bildungspolitik nicht möglich ist? Dort können sich die Länder nicht einmal auf eine vernünftige Abstimmung der Ferien einigen, geschweige denn auf verbindliche Leistungsanforderungen oder eine funktionierende Lehrerversorgung.
Vielleicht liegt es daran, dass es genügend Druck braucht. Und daran, dass in ruhigen Zeiten 16 Länder, dann doch zu viele sind – und zu disparat, wenn Nordrhein-Westfalen als größtes Bundesland mehr als 26 Mal so viele Einwohner hat wie Bremen als kleinstes (und mehr als 18 Mal so viele wie das Saarland als kleinstes Flächenland).
Wenn die Krise aber hilft, die Dinge neu zu sehen, wenn sie zeigt, dass der deutsche Föderalismus gut funktionieren kann (und zwar besser als ein Zentralismus wie in Frankreich) – wäre nach der Krise dann nicht die richtige Zeit, um den Föderalismus bei den Hörnern zu packen, um seine Stärken für unser Land stark zu machen und seine Schwächen zu beheben? Und wenn die Krise beweist, dass das Undenkbare möglich ist – wäre nach der Krise dann nicht die Zeit, eine echte Föderalismusreform anzupacken und alte Zöpfe einer zufälligen nachkriegsbedingten Gliederung der Länder abzuschneiden?
Wie wäre es, endlich einmal Ernst damit zu machen, weniger handlungsfähige Länder von ähnlicher Größe zu schaffen? Mal als Idee: NRW, Baden-Württemberg und Bayern, die drei größten, könnten bleiben wie sie sind. Ansonsten ließen sich aus Niedersachsen, Bremen und Hamburg sowie aus Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Brandenburg zwei Bundesländer von knapp über 10 Millionen Einwohnern bilden. Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen kämen auf zusammen 8,4 Millionen – und dann blieben noch gut elf Millionen im Saarland, in Rheinland-Pfalz und in Hessen. Wären summa summarum sieben Bundesländer zwischen achteinhalb und 18 Millionen Einwohnern, wobei die Fantasie an den bisherigen Ländergrenzen auch nicht stehen bleiben müsste. Das aber mal als pragmatischer Vorschlag für handlungsfähige Länder, deren Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten dann alle so viel zu sagen haben könnten wie der Söder Markus.
Ach, könnte das schön und funktional sein. Und sage keiner: Das geht nicht. Geht nicht gibt’s nach Corona nicht mehr. Die Krise eröffnet ungeahnte Chancen. Es ist an uns, sie zu nutzen.
Von Andreas Rödder