Anti-Stalking-Gesetz und mehr Klimaschutz

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, M) gibt eine Regierungserklärung zum bevorstehenden EU-Gipfel bei der Sitzung des Deutschen Bundestags ab.  Foto: dpa

In einer Rekordsitzung hat der Bundestag unter anderem strengere Regel gegen Extremismus, Missbrauch und Zwangsprostitution erlassen. Die weiteren Beschlüsse im Überblick.

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BERLIN. In der vorletzten regulären Sitzung der laufenden Wahlperiode ist dem Bundestag ein Rekord gelungen: Die Plenarsitzung, die am Donnerstag um 9 Uhr begonnen hatte, ging dank einer äußerst umfangreichen Tagesordnung erst am Freitagmorgen um 2.30 Uhr zu Ende. Sie war damit 18 Minuten länger als die bisherige Rekordsitzung der laufenden Legislaturperiode vom Juni 2019. Eine noch längere Sitzung wurde dadurch vermieden, dass zahlreiche Reden lediglich schriftlich zu Protokoll gegeben wurden. Einige Abgeordnete, die im September nicht mehr für den Bundestag kandidieren, bestanden aber darauf, bei ihrem letzten Auftritt im Parlament ans Rednerpult zu treten.

Die Beschlüsse im Überblick:

Strengere Regeln gegen Extremismus, Missbrauch und Zwangsprostitution Fahnen der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas werden in Deutschland ebenso verboten wie sogenannte Feindeslisten mit den Namen und Daten politischer Gegner. Ein entsprechendes Gesetzespaket hat der Bundestag am frühen Freitagmorgen verabschiedet. Bislang musste ein Vereinsverbot vorliegen, um die Verwendung von Kennzeichen einer bestimmten Organisation unter Strafe zu stellen. Jetzt reicht es bereits aus, dass die Organisation auf der EU-Terrorliste steht - wie etwa die Hamas oder die kurdische PKK.

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Ausdrücklich verboten ist in Zukunft auch das Verbreiten von "Feindeslisten", wie sie vor allem in rechts- und linksextremen Kreisen kursieren. Wer personenbezogene Daten verbreitet und die Betroffenen damit in Gefahr bringt, muss demnach mit bis zu drei Jahren Gefängnis rechnen.

Härter bestraft werden darüber hinaus verhetzende Beleidigungen gegen Juden und Muslime sowie gegen Homosexuelle und Behinderte. Herabwürdigende Briefe oder Mails gelten bislang nicht als Volksverhetzung, weil sie nicht öffentlich verbreitet werden - diese strafrechtliche Lücke wurde nun geschlossen.

Mit dem Gesetzespaket werden ferner die Verbreitung und der Besitz von Anleitungen zum sexuellen Kindesmissbrauch zur Straftat gemacht. Wer die Texte aus dem Internet oder geschlossenen Chatgruppen runterlädt, muss mit Haftstrafen von bis zu zwei Jahren rechnen, für deren Verbreitung drohen sogar drei Jahre Gefängnis. Zur Bekämpfung der Zwangsprostitution wird darüber hinaus die "Freier-Strafbarkeit" ausgeweitet: Künftig machen sich Freier strafbar, wenn sie offensichtliche Anzeichen für die Zwangslage einer Prostituierten - etwa Verletzungen am Körper - einfach ignorieren.

Zweiter Prozess bei schwersten Straftaten Bei schwersten Straftaten wie Mord, Völkermord oder Kriegsverbrechen kann Verdächtigen künftig ein zweites Mal der Prozess gemacht werden, wenn neue Beweise auftauchen. Diese Änderung der Strafprozessordnung hat der Bundestag am frühen Freitagmorgen verabschiedet. Wegen des Verbots der sogenannten Doppelbestrafung darf eigentlich niemand für dieselbe Tat mehrfach zur Verantwortung gezogen werden. Davon konnte bislang nur in eng begrenzten Ausnahmefällen abgewichen werden - etwa wenn der Freigesprochene später ein glaubwürdiges Geständnis ablegt.

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Die Liste der "Wiederaufnahmegründe" wird nun um schwere Straftaten erweitert, die nicht verjähren können. Dazu gehören Mord, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gegen eine Person.

Bundestag verschärft Anti-Stalking-Gesetz Wer einer anderen Person regelmäßig auflauert oder sie wiederholt belästigt, soll künftig schneller vor Gericht landen. Um das sogenannte Stalking konsequenter verfolgen zu können, hat der Bundestag am frühen Freitagmorgen die Strafbarkeitsschwelle abgesenkt. Bisher musste den Tätern "beharrliches" Nachstellungsverhalten nachgewiesen werden, das das Leben des Opfers "schwerwiegend" beeinträchtigt. In Zukunft reicht es schon aus, jemanden "wiederholt" zu belästigen und dessen Leben damit "nicht unerheblich" zu beeinträchtigen.

Verschärft wird außerdem das Strafmaß: Konnten bisher wegen Stalkings maximal drei Jahre Gefängnis verhängt werden, sind in besonders schweren Fällen künftig bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe möglich. Darüber hinaus steht in Zukunft auch das digitale "Cyberstalking" ausdrücklich unter Strafe - etwa wenn jemand durch spezielle Apps auf die Social-Media-Konten oder die Bewegungsdaten seines Opfers zugreift und so dessen Sozialleben ausspäht.

Bundestag verabschiedet neues Klimaschutzgesetz Der Bundestag hat das neue Klimaschutzgesetz mit schärferen Regelungen beschlossen. Darin ist das neue nationale Ziel verankert, bis 2045 treibhausgasneutral zu werden - also nur noch so viele Treibhausgase auszustoßen wie wieder gebunden werden können. Ursprünglich hatte sich Deutschland die Klimaneutralität erst bis 2050 vorgenommen. Für das Gesetz stimmten am Donnerstag 352 Abgeordnete, dagegen 290. Es gab 10 Enthaltungen.

"Wir wollen 2045 treibhausgasneutral wohnen, wir wollen treibhausgasneutral wirtschaften und mobil sein", sagte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) in der Debatte. Dafür müsse der Ausbau der erneuerbaren Energien Vorrang bekommen und die Infrastruktur endlich modernisiert werden.

Das Gesetz schraubt auch das Emissionsziel bis 2030 hoch. Deutschland soll nun bis dahin seine Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 um mindestens 65 Prozent senken. Das bislang geltende Klimagesetz sah noch mindestens 55 Prozent weniger Treibhausgase bis 2030 vor. Auch neue Ziele über das Jahr 2030 hinaus legt das geänderte Gesetz fest. Demnach soll bis zum Jahr 2040 bereits ein Rückgang des klimaschädlichen Ausstoßes um 88 Prozent erreicht sein.

Nötig wurde die Gesetzesänderung nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hatte das bislang geltende Recht Ende April für teilweise verfassungswidrig erklärt. Die Richter in Karlsruhe trugen der Bundesregierung auf, die Emissionsziele nach 2030 näher zu definieren, um die Freiheit künftiger Generationen nicht durch klimabedingte Einschränkungen zu gefährden.

Bundestag beschließt Insektenschutzgesetz Zum Schutz von Insekten soll der Pestizid-Einsatz in der Landwirtschaft weiter eingedämmt werden. Das sieht ein Gesetz von Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) vor, das der Bundestag am Donnerstagabend beschlossen hat. Unter anderem sollen mehr Gebiete wie Wiesen mit verstreut stehenden Obstbäumen oder artenreiche Weiden unter besonderen Schutz gestellt werden. In vielen Schutzgebieten soll der Einsatz insektenschädlicher Chemikalien wie Holzschutzmitteln eingeschränkt werden. Weitere Vorgaben sollen verhindern, dass nachtaktive Insekten von Beleuchtung angelockt werden und sterben.

Zu dem Paket gehört außerdem eine Verordnung von Agrarministerin Julia Klöckner (CDU), die auch ein Verbot des besonders umstrittenen Unkrautvernichters Glyphosat regelt. Darüber soll der Bundesrat an diesem Freitag entscheiden. Als Ausgleich für Mehraufwand durch weniger Pflanzenschutzmittel will der Bund zusätzlich 65 Millionen Euro zweckgebunden für betroffene Höfe zur Verfügung stellen.

Reisebeschränkungen auch ohne Pandemie-Lage Coronabedingte Einreisebeschränkungen können weiter greifen, auch wenn die Pandemie-Lage nationaler Tragweite ausläuft. Eine entsprechende Änderung des Infektionsschutzgesetzes hat der Bundestag am späten Donnerstagabend beschlossen.

Am 25. März 2020 hatten die Abgeordneten erstmals eine "epidemische Lage" festgestellt und diese zuletzt bis maximal Ende September verlängert. Sie gibt dem Bund das Recht, direkt ohne Zustimmung des Bundesrates Verordnungen zu erlassen - etwa zu Tests, zu Impfungen, zum Arbeitsschutz oder zur Einreise. Bei der nun beschlossenen Regelung geht es aber nur um Einreisebeschränkungen, die auch ohne diese rechtliche Grundlage weiter gelten können sollen - wenn auch nur maximal für ein Jahr nach Aufhebung der Lage.

Bei AfD, FDP und Linken stieß dies allerdings auf Ablehnung. Eine derart massive Einschränkung von Grundrechten sei nicht hinnehmbar, wenn keine epidemische Lage mehr vorliege. Für Empörung sorgte zudem die Tatsache, dass diese Regelung kurzfristig an eine Reform des Stiftungsrechts angehängt wurde, um die Änderung des Infektionsschutzgesetzes noch in der letzten Sitzungswoche durch den Bundestag bringen zu können. Dies kritisierten die Oppositionsfraktionen als Missachtung des Parlaments.

Corona-Regeln für den Bundestag verlängert Trotz sinkender Infektionszahlen bleibt der Bundestag vorsichtshalber im Corona-Modus. Das Parlament verlängerte am frühen Freitagmorgen die Regelung, wonach das Parlament bereits mit mehr als einem Viertel seiner Abgeordneten beschlussfähig ist. Normalerweise muss dafür die Hälfte der Abgeordneten anwesend sein - doch wegen der pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen hatte der Bundestag diese Marke im Frühjahr des vergangenen Jahres abgesenkt und die Sonderregelung seitdem mehrmals verlängert.

Zusätzliche Corona-Hilfe für den Nahverkehr Wegen fehlender Fahrgäste in der Corona-Krise gibt es eine weitere staatliche Finanzspritze für Busse und Bahnen. Der Bundestag beschloss am frühen Freitagmorgen, dem öffentlichen Personennahverkehr erneut eine Milliarde Euro zukommen zu lassen. Schon im vergangenen Jahr hatte der Bund 2,5 Milliarden Euro zusätzlich für den Nahverkehr bereitgestellt - über die jährlichen Regionalisierungsmittel hinaus, die in diesem Jahr ohnehin auf knapp 9,3 Milliarden Euro steigen. Die Länder, die dem Gesetz im Bundesrat noch zustimmen müssen, sollen Finanzhilfen in gleicher Höhe wie der Bund bereitstellen.

Neuer Straftatbestand gegen illegale Internet-Geschäfte Der Internethandel mit Waffen, Drogen und Kinderpornografie soll konsequenter bestraft werden. Dieses Ziel verfolgt ein Gesetz, das der Bundestag am frühen Freitagmorgen verabschiedet hat. Damit können Betreiber einer kriminellen Handelsplattform künftig mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden. Es dürfe sich "niemand herausreden, er habe nur die Plattform bereitgestellt und nichts gewusst", erklärte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD).

Schon bisher machten sich Betreiber grundsätzlich der Beihilfe schuldig, wenn ihre Online-Marktplätze für illegale Geschäfte genutzt wurden. Wenn ihnen aber keine Kenntnis von den konkret gehandelten Waren nachgewiesen werden konnte, blieben sie in der Regel unbehelligt. Deshalb steht nun das Betreiben krimineller Handelsplattformen als neuer Straftatbestand im Strafgesetzbuch.

Update-Pflicht für digitale Geräte Bei Geräten mit digitalen Elementen wie Tablets oder Smartwatches gilt künftig eine Update-Pflicht. Ein Gesetz, das der Bundestag am frühen Freitagmorgen verabschiedet hat, verpflichtet den Verkäufer zur regelmäßigen Aktualisierung seines Produkts. Damit sollen die Funktionsfähigkeit und die IT-Sicherheit der erworbenen Geräte langfristig gewährleistet bleiben.

Für welchen Zeitraum die Update-Pflicht gilt, ist allerdings nicht ausdrücklich festgeschrieben. Im Gesetz ist nur von einem Zeitraum die Rede, die der Kunde "aufgrund der Art und des Zwecks" des erworbenen Geräts erwarten könne.

Rechtlich besser gestellt werden Verbraucher ferner im Fall eines beschädigten Produkts. Bislang lag ein Gewährleistungsfall nur in den ersten sechs Monaten nach dem Kauf vor. In Zukunft gilt hingegen zwölf Monate lang grundsätzlich die Vermutung, dass der Mangel bereits beim Kauf vorlag.

Mietspiegel-Pflicht in größeren Städten Städte und Gemeinden mit mehr als 50.000 Einwohnern müssen künftig einen Mietspiegel erstellen. Diese Pflicht ist Teil einer umfassenden Reform, die der Bundestag am frühen Freitagmorgen verabschiedet hat. Damit sollen Mieter besser vor überzogenen Mieterhöhungen geschützt werden. In mehr als 80 der 200 größten deutschen Städte gebe es derzeit keinen gültigen Mietspiegel, sagte der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Johannes Fechner. Ohne Mietspiegel sei die Mietpreisbremse aber "faktisch unwirksam".

Mietspiegel werden genutzt, um die ortsübliche Vergleichsmiete zu ermitteln. Damit werden Mieterhöhungen begründet und bei einem Umzug in ein Gebiet mit Mietpreisbremse zulässige Höchstmieten errechnet. Fehlt jedoch ein Mietspiegel, steht die Bestimmung der maximal erlaubten Miethöhe rechtlich auf wackeligen Füßen.

Die Mietspiegel-Pflicht für größere Städte war erst während der parlamentarischen Beratungen in den Gesetzentwurf aufgenommen worden. Unverändert bleiben hingegen die Fristen für die Überarbeitung der Mietspiegel, die ursprünglich verlängert werden sollten. Nun bleibt es jedoch dabei, dass Mietspiegel nach zwei Jahren aktualisiert und nach vier Jahren neu erstellt werden müssen. Der CDU-Rechtsexperte Jan-Marco Luczak erklärte, eine Verlängerung hätte dazu geführt, dass die Daten von Mietspiegeln veraltet und wenig aussagekräftig geworden wären.

Neues Gesetz gegen lange Vertragslaufzeiten Die Vertragslaufzeiten für Handytarife, Streamingdienste oder Fitnessstudios werden gesetzlich beschränkt, um den Wechsel zu einem anderen Anbieter zu erleichtern. Der Bundestag hat am frühen Freitagmorgen ein entsprechendes Gesetz verabschiedet, das Verbrauchern auch die Kündigung ihrer Verträge erleichtern soll. "Lange Vertragslaufzeiten und lange Kündigungsfristen beschränken die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher und hindern sie an einem Wechsel zu attraktiveren und preisgünstigeren Angeboten", erklärte Justizministerin Christine Lambrecht (SPD).

Künftig dürfen Verträge in der Regel nur noch ein Jahr lang laufen. Längere Laufzeiten von bis zu zwei Jahren sind nur noch erlaubt, wenn der Kunde gleichzeitig auch ein Angebot über einen Ein-Jahres-Vertrag bekommt, der im Monatsdurchschnitt maximal 25 Prozent teurer ist. Wenn ein Unternehmen Verträge um mehr als drei Monate automatisch verlängern will, muss es von sich aus auf die Kündigungsmöglichkeit hinweisen. Die Kündigungsfrist wird grundsätzlich von drei Monaten auf einen Monat verkürzt. Im Internet muss es künftig außerdem einen "Kündigungsbutton" geben, damit Verträge dort genauso einfach beendet werden können wie sie geschlossen wurden.

Gesetz zur Einbürgerung von NS-Verfolgten und Nachfahren Die Verfolgten des Nazi-Regimes und deren Nachkommen haben künftig einen gesetzlichen Anspruch auf einen deutschen Pass. Der Bundestag verabschiedete am frühen Freitagmorgen eine entsprechende Reform des Staatsangehörigkeitsrechts mit großer Mehrheit. Nachfahren von NS-Opfern, die vor den Nazis ins Ausland geflüchtet waren, können damit ohne weitere Auflagen die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben.

Entsprechende Erlasse des Innenministeriums aus dem Jahr 2019 werden damit auf eine gesetzliche Grundlage gestellt und großzügiger ausgestaltet als bisher. So war eine erleichterte Einbürgerung bisher nur möglich, wenn mindestens ein Elternteil vor dem 1. Januar 2000 geboren war. Diese Einschränkung fällt künftig weg. Damit reagiert die Politik auf entsprechende Forderungen von Betroffeneninitiativen.

Der Antrag auf Einbürgerung ist kostenlos, andere Staatsangehörigkeiten darf man behalten. Betroffene müssen lediglich nachweisen, dass ihre Vorfahren zwischen 1933 und 1945 in Deutschland verfolgt wurden oder zu Gruppen gehörten, die damals verfolgt wurden. Das kann Nachfahren von Juden oder von Sinti und Roma ebenso betreffen wie von psychisch Kranken oder politischen Gegnern der Nationalsozialisten.

Von dpa