Leitartikel von Uwe Röndigs zur Europawahl: Alternativlos

Kranführer und Youtube-Star Ronny Schäfer kann schon mal richtig ausrasten. Auch wenn es um Europa geht. Warum die Norweger nicht in der EU sind? Ganz einfach: „Weil die am Leben vorbeilaufen“, zetert Ronny Schäfer auf seinem Kranplatz. Der Mann des Volkes könnte auch die Briten meinen. Oder Europagegner in vielen Mitgliedstaaten der Union.

Natürlich macht es sich Kranführer Ronny ganz schön einfach. Aber würden alle so selbstverständlich von Europa reden wie er, wir müssten nicht vor jeder Wahl nach Sinn und Nutzen der EU fragen. Mit unseren nationalen Gebilden tun wir dies ja – in aller Regel – auch nicht. So aber braucht es ständig der Rechtfertigung. Gerade in Zeiten des Brexit, der den Fokus in der Europawahrnehmung katastrophal einengt auf eine scheinbare Geschichte des Scheiterns. Das Gegenteil ist doch gerade der Fall!

Was waren die Erfolgsfaktoren der europäischen Konstruktion? Erstens war die Integration ein Friedensprojekt, indem es für eine kontrollierte Öffnung von Gesellschaften und Märkten in Zeiten der aufziehenden Globalisierung sorgte. Die Konsequenzen der negativen Alternative – der Rückzug in Nationalismus und Abschottung – hatte Europa zur Genüge erlitten. Zweitens war die Integration Europas vom Konzept der begrenzten Machtübertragung geprägt. Das nennt sich Supranationalität.

Unter parlamentarischer Kontrolle

Genau dies machte zu allen Formen internationaler Politik den entscheidenden Unterschied: Klare Kompetenzen wurden Europa übertragen und einer eigenen parlamentarischen Kontrolle unterworfen. Ein Novum. Und drittens installierte die europäische Integration ein funktionierendes Mehrebenensystem am Anfang mit Europarat, Nato, Montanunion, EWG und Euratom. Das sorgte für hohe Agilität. Pläne zu einer immer engeren politischen Union wurden als Sicherungsinstrument im Zuge der deutschen Einheit mobilisiert, zeitgleich musste die EU immer mehr Staaten aufnehmen. Die europäische Vision verengte sich. Der Ansatz „immer mehr, immer tiefer“ bei immer differenzierteren Interessenlagen führte regelmäßig in Sackgassen.

Was hilft aus der Sackgasse?

Wer hilft aus der akuten heraus? Der Einzige, der wenigstens einen Plan hat und nicht nur Nostalgie pflegt, ist der französische Präsident Emmanuel Macron. Seine Initiativen für Europa erreichen sicher nicht die Flughöhe der Gründungsväter, aber sie sind ein Versuch, heutige Probleme – Sicherheit, Migration, Digitalisierung, Wirtschaft- und Sozialpolitik – auf europäischer Ebene zu lösen. Nimmt man die Herausforderungen des Umweltschutzes und der Sicherung des Binnenmarktes dazu, kommt ein fulminantes Arbeitsprogramm heraus.
Es scheitert an Berlin. Kanzlerin Angela Merkel hat Angst vor dem Aufbruch. Sie ließ Macron bislang am ausgestreckten Arm verhungern. Im Aachener Vertrag vom Januar dominiert die Symbolik. Nichts bräuchte Europa aber derzeit mehr als ein funktionierendes deutsch-französisches Tandem. Nichts mehr als eine Koalition der Entschlossenen, die vorangehen, auch wenn nicht alle EU-Partner mitziehen. Ja, das ist ein Plädoyer für ein „Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten“ – das schon lange existiert. Und ja, es geht nicht nur um schöne Konzepte, sondern auch um die Finanzierung des europäischen Erfolgs. Deutschland profitiert maßgeblich von der Union, deshalb muss es mehr Geld in die Hand nehmen. Eine Alternative dazu gibt es nicht. Denn im Kern geht es nicht um die Frage, ob Europa sinnvoll ist oder nicht. Sondern es geht um den Fakt, dass die Nationalstaaten mit vielen globalen Problemen längst überfordert sind.

Das Europaparlament muss in diesem Erneuerungsprozess eine maßgebliche Rolle spielen. Um es mit dem notwendigen Gewicht auszurüsten, gibt es kein besseres Mittel als eine hohe Wahlbeteiligung am 26. Mai.