Bäume schlucken zehn Prozent der Treibhausgase. Um dem Klimawandel zu trotzen, sollte daher weniger Wald abgeholzt werden. Mit Unterstützung der EU passiert genau das Gegenteil.
Von Roland Knauer
Foto: Andreas Gillner – stock.adobe
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Die Kettensägen der Holzfäller kreischen seit 2016 in der Europäischen Union viel häufiger als früher und verhageln der EU so die Klimabilanz. Guido Ceccherini und seine Kollegen von der Gemeinsamen Forschungsstelle der Kommission der Europäischen Union im italienischen Ispra schließen das laut einem Bericht in der Zeitschrift Nature aus der Auswertung von Daten der Landsat-Satelliten. Verglichen mit den Jahren 2011 bis 2015 wurden demnach von 2016 bis 2018 im Durchschnitt 49 Prozent mehr Flächen abgeholzt, und es wurden 69 Prozent mehr Holz aus den Wäldern geholt.
Bäume schlucken zehn Prozent der Treibhausgase
Weshalb aber sollte diese verstärkte Holznutzung die Klimabilanz der EU gefährden? Schließlich gilt Holz als klimaneutral, weil beim Verbrennen nicht mehr Kohlendioxid freigesetzt wird, als der Baum beim Wachsen aus der Luft gefischt hatte. Aus diesem Grund zählt ja auch die EU seit 2018 direkt zum Verfeuern geschlagene Baumstämme zur nachhaltigen Energieproduktion, will so in Kraftwerken Kohle zumindest teilweise durch Holz ersetzen – und heizt damit das Abholzen zusätzlich an. Dabei ist das Ganze eine Milchmädchen-Rechnung, die nur über sehr lange Zeiträume aufgeht. „Ist ein Buchenwald zum Beispiel 120 Jahre lang gewachsen und wird sein Holz dann verbrannt, wird das in dieser Zeit gespeicherte Kohlendioxid schlagartig freigesetzt“, erklärt der Naturschutz-Professor und Waldökologe Pierre Ibisch von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Wächst auf dieser Fläche wieder ein Buchenwald, dauert es also 120 Jahre, bis die Klimabilanz ausgeglichen ist. Auch wenn das Holz zu Möbeln für einen Abholmarkt geschreinert wird, verbessert sich die Situation kaum. „Heutzutage werden solche Möbel oft nach ein paar Jahren durch neue ersetzt und wandern dann in die Verbrennung“, sagt Pierre Ibisch. „Die sogenannte Kohlenstoff-Payback-Zeit verkürzt sich also nur ein wenig“.
Das ist eine schlechte Nachricht für die Klimaziele der EU, die bis 2050 in der Gesamtbilanz keine Treibhausgase wie Kohlendioxid mehr ausstoßen und damit klimaneutral werden will. Dazu braucht die Gemeinschaft ihre Wälder, die derzeit auf rund 38 Prozent der EU-Fläche wachsen. Schlucken die Bäume doch zurzeit rund zehn Prozent der Treibhausgase, die beim Verbrennen von Erdöl, Erdgas, Kohle und den daraus hergestellten Produkten, aber auch von der Landwirtschaft, sowie bei der Produktion von Stahl, anderen Metallen und Zement freigesetzt werden. Werden die Wälder weiter so abgeholzt wie in den Jahren 2016 bis 2018, kompensieren die Bäume erheblich weniger und Europa müsste seine Emissionen noch stärker als bisher geplant drosseln, um die Klimaziele noch zu erreichen, erklären Guido Ceccherini und seine Kollegen in ihrem Nature-Artikel.
Pierre Ibisch sieht das genauso und hält auch die Aussagen der EU-Forscher aus Italien für plausibel. Schließlich beobachtet der Waldökologe eine ähnliche Entwicklung: So sehen die EU-Forscher ab dem Jahr 2016 einen kräftigen Anstieg der nicht mehr mit Wald bedeckten Flächen, der in Ländern wie Schweden, Finnland, den drei baltischen Staaten und Polen besonders stark ist und der sich nicht auf Sturmschäden oder Waldbrände zurückführen lässt. „Vor allem in Skandinavien wird sehr viel abgeholzt und durch die vielen Kahlschläge entsteht eine Art Käseloch-Landschaft“, bestätigt der Waldforscher.
Dabei ist die lange Payback-Zeit dieser Holzernten keineswegs das einzige Klima-Problem. Schließlich wollen die Waldbesitzer oder zumindest ihre Erben und Nachfolger später erneut Holz verkaufen und lassen daher auf Kahlschlägen neue Bäume wachsen. Dazu wird der Boden häufig mit schweren Maschinen bearbeitet, gepflügt und neue Setzlinge werden gepflanzt. Diese Vorgänge stören den Untergrund, in dem der Wald im Laufe der Jahrzehnte einigen Kohlenstoff gelagert und so die Klimabilanz verbessert hat. Zwar wird auch Kohlendioxid freigesetzt, sobald Mikroorganismen den Humus in Boden umwandeln. Nur speichert der Wald erheblich mehr Kohlendioxid in Form von Humus als die Bildung von Boden gleichzeitig in die Luft entlässt. Daher wird der Kahlschlag zu einer Quelle des Treibhausgases.
Gleichzeitig verändert sich auch das Mikroklima: Während das Kronendach des Waldes Schatten spendet, so die unteren Etagen kühlt und die Feuchtigkeit im Wald hält, sieht die Situation bei einem Kahlschlag ganz anders aus: Die Sonne heizt den Boden viel stärker als im Wald auf, mehr Feuchtigkeit verdunstet und es wird deutlich trockener. Zusätzlich verschärft der Klimawandel das Problem weiter. „Wir können das auf unseren Versuchsflächen bei Treuenbrietzen südlich von Berlin gut beobachten“, berichtet Pierre Ibisch.
Hitzesommer setzen den Wäldern zu
Dort standen im Hitzesommer 2018 rund 400 Hektar Wald in Flammen, drei Ortschaften mussten evakuiert werden. Privatwaldbesitzer entfernten danach das Holz aus ihren Flächen und pflanzten wieder Kiefern. Rund drei Viertel der kleinen Bäumchen überstanden den nächsten Dürresommer 2019 nicht. Auf den Versuchsflächen der Forscher aus Eberswalde dagegen stehen die verbrannten oder abgestorbenen Kiefern immer noch, spenden der Fläche zumindest ein wenig Schatten und kühlen sie. Ohne Bodenbearbeitung und Pflanzen von neuen Bäumen hält sich auch die Freisetzung von Kohlendioxid in Grenzen, gleichzeitig keimen ohne Zutun der Forscher etliche Bäume wie Zitterpappeln. „Einige dieser Bäumchen sind inzwischen sogar über zwei Meter hoch, halten weitere Feuchtigkeit zurück und bereiten bereits den Boden für einen späteren Mischwald vor“, erklärt Pierre Ibisch. Ein solcher Wald aber würde im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte auch auf trockenen Sandböden wie im Süden Brandenburgs wachsen, auf denen heute nur Kiefernwälder gepflanzt werden.
Kahlschlag aufgrund von Trockenschäden
Für Deutschland zeigen die Landsat-Satellitenbilder der EU-Forscher bis 2018 keine stärkeren Kahlschläge. „Normalerweise werden bei uns die Wälder schonender genutzt und nur einzelne Bäume gefällt“, erklärt Pierre Ibisch. Da die Landsat-Bilder nur 30 Meter lange und breite Flächen von oben auflösen können, sehen sie solche Einzelbaum-Fällungen nicht. Das heißt aber nicht, dass die Wälder Mitteleuropas keine Probleme haben. Zum einen haben die beiden Dürresommer 2018 und 2019 dem Wald erheblich zugesetzt und die Situation ändert sich massiv. „Durch die Trockenheit wurden große Waldflächen geschädigt, die kahl geschlagen werden“, erklärt Pierre Ibisch. Die Auswertung der EU-Wissenschaftler dagegen endet bereits 2018. Zum anderen gibt es einige Hinweise, dass auch in Deutschland gut verborgen vor den Augen der Satelliten mehr Holz aus dem Wald geholt wird. Genau das aber verschärft die Probleme: „Je heißer und trockener die Sommer durch den Klimawandel werden, umso mehr Holz braucht der Wald für sich selbst, um sich zu kühlen und feucht zu halten“, erklärt Pierre Ibisch. Um dem Klimawandel zu trotzen, sollte in Mitteleuropa also weniger Holz geschlagen werden. Mit Unterstützung der EU passiert aber genau das Gegenteil – und die EU unterläuft ihre eigenen Klimaziele.