Wer wird bei Knappheit zuerst zum Wassersparen gezwungen?
Schon jetzt gibt es Konflikte ums Wasser, aber keine klaren Regelungen. Doch wer hat Vorrang, wenn das Wasser knapp wird?
WIESBADEN/MAINZ. Hitzewellen und Trockenheit kennzeichnen die Sommer in Deutschland zunehmend. Und je nach Region wird immer öfter an die Bürger appelliert, auf die Gartenbewässerung und den eigenen Pool zu verzichten. Dabei gilt Deutschland als ein grünes Land in gemäßigten Breiten, das mit reichlich Wasser gesegnet ist. Das bestätigt das rheinland-pfälzische Landesamt für Umwelt (LfU): Im Vergleich zu den wirklich trockenen Ländern rund ums Mittelmeer ist Deutschland weiterhin ein wasserreiches Land, wenngleich auch unsere Vorräte geringer werden, so ein Sprecher.
Denn seit 20 Jahren ist ein deutlicher Rückgang der Grundwasserneubildung im Winterhalbjahr zu verzeichnen: Die Niederschläge, die in der Zeit von November bis April zur Grundwasserneubildung beitragen, sind seit 2003 unterdurchschnittlich ausgefallen. Wurden in Rheinland-Pfalz vor 20 Jahren jährlich etwa rund 1,6 Milliarden Kubikmeter Grundwasser neugebildet, waren es 2020 nur noch etwa 1,2 Milliarden Kubikmeter – ein Viertel weniger. Zwar wird derzeit nur etwa ein Viertel der durchschnittlichen Grundwasserneubildung entnommen, demgegenüber steht jedoch ein steigender Wasserbedarf der wachsenden Bevölkerung – vor allem in Städten – und in der Landwirtschaft.
Wasser ist eine Ressource, die knapper wird und in einer Marktwirtschaft bedeutet das, dass der Preis steigen und es dann zu Verteilungskämpfen kommen wird, sagte der hessische Umweltstaatssekretär Oliver Conz im vergangenen Jahr gegenüber dem „HR-Inforadio“. Und schon heute verfolgt jeder seine Interessen – ob öffentliche Wasserversorgung, Landwirtschaft, Industrie oder Naturschutzverbände.
Schon jetzt gibt es Konflikte ums Wasser
Um das Bewusstsein der Bürger in Richtung Wasser sparen zu schärfen, fordert die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) Landesverband Hessen einen verbrauchsabhängigen Wasserpreis. „Denn wenn etwas knapper wird, muss sich das auch im Preis niederschlagen“, sagt SDW-Landesgeschäftsführer Christoph von Eisenhart Rothe. Der SDW kritisiert, dass in einigen Regionen der Natur zu viel Grundwasser entnommen werde, was zu massiven Schäden an Naturräumen führe.
So habe die Wassergewinnung im Hessischen Ried ein Waldsterben auf über 13.000 Hektar Wald verursacht. Der SDW-Landesverband Hessen klagt deswegen schon seit fünf Jahren gegen das Land Hessen, wie das hessische Umweltministerium bestätigt. „Fast die Hälfte des Waldes ist inzwischen geschädigt und der Zustand verschlechtert sich von Tag zu Tag“, sagt von Eisenhart Rothe.
Auch im Landkreis Marburg-Biedenkopf wehren sich Bürger dagegen, dass aus ihrer Region Grundwasser entnommen und per Fernleitung teilweise bis nach Frankfurt exportiert wird. Die Vogelsberger kritisieren, dass bei ihnen die Natur vertrocknet, während die Frankfurter ihr Wasser die Toilette herunterspülen, ist immer wieder zu lesen.
Häufig steht zudem die Landwirtschaft in der Kritik. So sei zum Beispiel die Beregnung im Gemüseanbau eine der Hauptursachen für den sinkenden Grundwasserspiegel in der Südpfalz. Hier würden die meisten Landwirte Tiefbrunnen nutzen, um ihre Äcker zu bewässern. Wie viel sie entnehmen, sei völlig unkalkulierbar, so der Grundwasserökologe Hans Jürgen Hahn von der Universität Landau gegenüber dem „SWR“.
Laut einem Bericht des Recherchenetzwerkes „Correctiv“ gibt es bundesweit schon jetzt etliche solcher Konflikte ums Wasser. Es sei bisher allerdings nicht geregelt, wer sparen muss, wenn das Wasser knapp wird – private Haushalte, Landwirtschaft oder die Industrie.
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Unser Ziel ist es, zukünftig keine Priorisierungs- oder Verteilungsdebatten zu führen, sondern die kostbare Ressource Wasser nachhaltig zu nutzen und somit dafür zu sorgen, dass Hessen immer genügend sauberes Wasser hat, heißt es aus dem hessischen Umweltministerium. Zudem sei im Hessischen Wassergesetz für die Erteilung von Wasserrechten für die Entnahme von Grundwasser geregelt, dass „die öffentliche Wasserversorgung vor allen anderen Benutzungen des Grundwassers genießt.“
Den gesetzlichen Vorrang der öffentlichen Wasserversorgung bestätigt auch Berthold Niehues, Leiter Wasserversorgung des Branchenverbandes Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW). Ein Problem sei jedoch, dass die für den wasserrechtlichen Genehmigungsvollzug zuständigen rund 800 Behörden in Deutschland sehr unterschiedliche Maßstäbe anlegen würden. Da könnten sich Genehmigungsverfahren für öffentliche Wasserversorger bis zu 20 Jahre hinziehen, während die Verfahren für landwirtschaftliche Betriebe beispielsweise schon nach einem halben Jahr abgeschlossen sein könnten. Auch vermisst Niehues ein strikteres Monitoring. „Ein Landwirt muss die entnommenen Wassermengen noch nicht einmal über eine Wasseruhr erfassen und der Behörde melden“, kritisiert er.
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Zudem werde dringend eine Bilanzierung benötigt: Es müsste für jedes Grundwassereinzugsgebiet bilanziert werden, wie viel Wasser entnommen wird und viel Grundwasser sich neu bildet, um zu verhindern, dass der Grundwasserspeicher leergepumpt wird. „Das findet bis heute nicht statt“, sagt Niehues.
Generell sollte das Bewusstsein für einen nachhaltigen Umgang mit Wasser bei der Bevölkerung gestärkt werden, sind sich viele Experten einig. Neben dem Verzicht auf Gartenpools und -bewässerung könnte auch die Regenwassernutzung und Wasserwiederverwendung zum Beispiel im gewerblichen Bereich eine sinnvolle Maßnahme zur Einsparung von Trinkwasser sein. Die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald fordert auch die Wiedereinführung eines Wassercents. „Die Bürger und auch die Unternehmen müssen merken, dass es ihnen etwas bringt, wenn sie Wasser sparen“, so der SDW-Landesgeschäftsführer.
Dabei ist Wasser bundesweit gesehen gar nicht so knapp. Laut Bundesumweltamt steht ein potenzielles Dargebot von rund 188 Milliarden Kubikmeter Süßwasser im Schnitt pro Jahr zur Verfügung. Und nur ein kleiner Teil davon, nämlich 12,8 Prozent, wird überhaupt genutzt. Die restlichen 87,2 Prozent fließen ungenutzt ab oder verdunsten.
Könnte man dieses Wasser besser nutzen?
Die Verdunstung entzieht sich weitgehend dem menschlichen Einfluss, antwortet das Landesumweltamt Rheinland-Pfalz auf diese Frage. Es gebe aber verschiedene Möglichkeiten, fließendes Wasser zurückzuhalten: Man könne Stauseen bauen, Zisternen anlegen oder in Zeiten hoher Abflüsse Wasser aus den Oberflächengewässern entnehmen und damit über Versickerungsanlagen das Grundwasser anreichern.
Diese Infiltration von aufbereitetem Wasser aus dem Rhein wendet auch der Wasserversorger Hessenwasser im Hessischen Ried an. Das Wasser soll die Grundwasserstände stabil halten. „Es reicht aber nicht aus, es müsste mehr eingeleitet werden, als gefördert wird“, sagt SDW-Landesgeschäftsführer von Eisenhart Rothe. Die festgelegten Grundwasserstände, bis zu denen abgepumpt werden darf, müssten viel höher angesetzt werden, damit der Wald genügend Wasser bekommt.
Dazu sagt das Umweltministerium: In den kommenden zwei Jahren wird durch den Wasserverband Hessisches Ried (WHR) in einer Machbarkeitsstudie untersucht, mit welchen technischen Lösungen und zu welchen Kosten mehr Rheinwasser aufbereitet werden kann, um den zukünftigen Bedarf für Trinkwasserversorgung, landwirtschaftliche Beregnung und für ökologische Belange im Ried bereit stellen zu können.