Schafft die Jogginghose 2018 den Durchbruch?

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BERLIN - 2012, in einer Talkshow von Markus Lanz, platzte all die Verachtung für modische Fehltritte und Stilsünden aus Karl Lagerfeld heraus: „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ Doch zwei Jahre später, bei der Pariser Fashion Week, schickte selbst der große Modepapst seine Models für Chanel in Jogginghosen auf den Laufsteg.
Und heute? Da verleihen Designer wie Sebastian Kaiser der Jogginghose eines neues Antlitz. Man muss schon ganz genau hinschauen, um sie erkennen zu können. Eng geschnitten, kariert, modisch – Kaisers Beinkleid könnte aus der Ferne auch als Stoffhose durchgehen. Doch der Münchner schwört auf Jogginghosen – er produziert sie aus besonders hochwertigen Materialien. „Für mich bedeuten Jogginghosen Freiheit und Feierabend.“ 2012 hat Kaiser das Label Boulezar gegründet. „Wir sind mit unseren Schnitten weit weg vom Schlabber- oder Hartz-4-Look. Wenn sie am Hintern gut geschnitten ist, sieht auch eine Jogginghose gut aus.“
Kaiser verwendet am liebsten italienisches Jersey, auch Stoffe aus Japan haben es ihm angetan. Das Endprodukt kostet dann schnell mal um die 300 Euro – kein Schnäppchen für jedermann. Rund 600 Hosen verkauft er nach eigenen Angaben jährlich. Schauspieler Samuel L. Jackson und Sängerin Madonna haben sie schon getragen.
Die Jogginghose – im Englischen Sweatpants genannt – erobert fernab von Sofa und Sporthalle immer mehr den Alltag. Der „Tag der Jogginghose“, 2009 von vier jungen Österreichern ausgerufen und seitdem alljährlich am 21. Januar gefeiert, ist nur ein Indiz dafür. Die Initiatoren bemühen sich um Rehabilitation für das vielgeschmähte Kleidungsstück. Auf www.jogginghosentag.de schreiben Sie über ihre Lieblingshose: „Ihr einziges Vergehen ist, dass sie weder zwickt noch zwackt, sondern einfach nur bequem zu tragen ist. Es ist ihr ein großes Anliegen, dass ihre Träger nur reinschlüpfen müssen und sich sofort pudelwohl fühlen können.“
Die Geschichte der schlabberig-gemütlichen Sporthosen beginnt in den 1920er Jahren: Émile Camuset, Gründer des französischen Sportartikelherstellers Le Coq Sportif, steckt seine Kunden in einfach gestrickte graue Jerseyhosen, die es den Athleten erlaubten, sich auch in der kalten Jahreszeit bequem zu strecken und zu laufen. Lange fristet die Jogginghose dennoch ein Schattendasein, das kaum über Fitnessstudio und Ascheplatz hinausreicht. Erst in den 1990er Jahren erlebt sie dank der amerikanischen Rap- und Hip-Hop-Szene ein Comeback: Kaum ein Star, der nicht in Jogginghose über das Leben im Ghetto reimt. Zum ultimativen Jogginghosen-Film wird 1998 „The Big Lebowski“: Kiffer „Dude“ (Jeff Bridges) trägt seine Sweatpants gegen alle Regeln des guten Geschmacks.
Die Jogginghose hat ihr schlechtes Image als Kleidung für Faulenzer Jahr für Jahr etwas mehr abgelegt. Der Durchbruch zur gesellschaftlichen Anerkennung scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein. „Die Jogginghose ist heutzutage nicht aus unserer Gesellschaft wegzudenken“, glaubt Kaiser. „Ich schätze, dass selbst die Queen eine Jogginghose oder zumindest eine gemütliche Haushose hat.“
Der Münchner ist nicht der einzige, der die Jogginghose inzwischen modischer schneidet und hochwertigere Stoffe verwendet. „Was uns gegenwärtig von den Designern als Jogginghose verkauft wird, kann schlecht als Sportswear bezeichnet werden“, urteilte erst kürzlich die „Cosmopolitan“. „Mit diesen neuen Jogginghosen kann man einen businesstauglichen Look stylen.“ Der Schnitt ist oft weit. So wird zum Beispiel oft auf einen engen Bund an den Knöcheln verzichtet. „Die Hose sucht das Weite“, sagt Gerd Müller-Thomkins, Geschäftsführer des Deutschen Mode-Instituts.
Er könne es zwar verstehen, wenn sich Arbeiter nach einem anstrengenden Tag und einer erfrischenden Dusche in einer Jogginghose auf die Couch legen, sagt Stilexperte Bernhard Roetzel. Dennoch bleibe die Jogginghose „die stilloseste Hose, die es neben der abgeschnittenen Jeans-Hotpants gibt“. Roetzel verweist auf die Jeans, die in den vergangenen Jahrzehnten eine ähnliche Entwicklung durchgemacht habe – aus Sicht des Experten manche Grenze aber nie einreißen wird. „Die Jeans wird viel getragen – aber Prince Charles in Jeans? Das wäre immer komisch.“ Die Jogginghose nun zu einer „Designerklamotte“ zu erklären, helfe da auch nicht weiter.