Reifenabrieb: Wie wir das Plastik von der Straße kriegen

REGION - Anfahren, abbremsen, beschleunigen und wieder runter vom Gas: Auf unseren Straßen ist viel los. Und das bleibt nicht spurlos. Damit wir im Auto sicher ans Ziel kommen, rauen sich Reifen und Straßenbelag gegenseitig auf. Übrig bleiben kleinste Partikel und Fasern – oftmals Mikroplastik.

Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik „UMSICHT“ rechnet mit rund 1200 Gramm pro Kopf und Jahr. Unterm Strich wären das in Deutschland zwischen 100.000 und 150.000 Tonnen Mikroplastik pro Jahr – allein aus Reifen. Nichts produziert mehr Mikroplastik. Dazu kommt dann der Abrieb der Straße. „Zusammen macht das die doppelte Menge“, sagt Dr. Ilka Gehrke, Abteilungsleiterin Photonik und Umwelt beim Fraunhofer-Institut UMSICHT.

Wie groß ist das Problem des durch Reifenabrieb freigesetzten Mikroplastiks? Und wo ist das Problem besonders groß? „Bis auf zehn Meter genau können wir den Reifenabrieb darstellen“, sagt Gehrke. Die Ergebnisse sind nicht überraschend: Auf Hauptstraßen, an Kreuzungen oder Stadtringen liegt mehr Mikroplastik als auf Landstraßen.

So entstehen Karten, die aussagen, wie viel Abrieb pro Meter und Jahr auf der Straße bleiben. Mit diesen Daten berechnen Ingenieure, wie sich das Mikroplastik jenseits der Straße weiter in Luft und Wasser – je nach Wetter – verteilt.

Kenntnisse sollen Stadtreinigung helfen

Das wollen sie auch in Berlin herausfinden. Im Projekt „Reifenabrieb in der Umwelt“ („RAU“) untersuchen Forscher der TU Berlin gemeinsam mit Experten zum Beispiel aus der Industrie oder auch der Berliner Stadtreinigung seit Sommer 2017 insgesamt zehn Stellen im Stadtgebiet. An diesen Hotspots werden die Reifen besonders belastet.

Experten entnehmen dort Proben von dem, was so auf der Straße landet: Mal trocken, weil nach einem gewissen Zeitraum eine bestimmte Fläche gekehrt und der Kehricht gesammelt und anschließend untersucht wird. Mal nass, weil ein spezieller Probenahmekorb all das sammelt, was sonst mit dem Wasser in die Kanalisation gehen würde.

„Es gibt keine pauschale Lösung“, sagt Daniel Venghaus von der TU Berlin. Und doch sollen am Ende des „RAU“-Projekts auch Empfehlungen stehen, wie weniger Mikroplastik aus Reifen in der Umwelt landen könnte. „Wir machen Tests, wie der beste Modus für die Straßenreinigung aussehen könnte: nass, trocken, schnell, langsam“, erklärt Venghaus. Dazu könnten Filter das Regenwasser von den Straßen reinigen, ehe es in die Kanalisation fließt.

Dazu haben die Experten noch diese pragmatischen Empfehlungen:

Reifenabrieb als größte Quelle für Mikroplastik in der Umwelt – und keinen stört’s? Nachgefragt in Frankfurt hört man, dass Reifenabrieb vor rund zehn Jahren mal Thema gewesen sei – als Ursache für dreckige Luft. Von der Straßenreinigung werde er mit beseitigt.

Frankfurts Umweltdezernentin Rosemarie Heilig sagt: „Die Industrie hat die Verantwortung, Reifenmischungen mit besserem Abriebverhalten zu entwickeln, damit durch das Fahren und Bremsen kein Reifenabrieb entsteht und so in die Kanalisation und ins Grundwasser gelangt. Das wäre ein wirksamer Schutz der Umwelt.“ Noch effizienter wäre freilich, den Autoverkehr aus Städten ganz rauszuhalten.

Die Reifenindustrie selbst indes scheint froh, dass sich die Forschung nun mal genauer anschaut, inwiefern Reifenabrieb eine Gefahr für die Umwelt ist. Es gelte zu klären, wie und wie viel Reifenabrieb in Meere und Flüsse gelange, heißt es in einem Papier des Wirtschaftsverbands der deutschen Kautschukindustrie.

Die Zunahme von Mikroplastik in der Umwelt sei jedenfalls „besorgniserregend.“ Eigene Studien der Hersteller hätten ergeben, dass Abrieb-Partikel zwar in Gewässern vorkommen, jedoch keine schädigenden Auswirkungen auf Wasserlebewesen hätten.

Herausforderung: Nachhaltige Rohstoffe finden

Aber auch aus den Entwicklungsabteilungen der Reifenproduzenten hört man einiges: Im Fokus stünden Forschungen für eine höhere Laufleistung und weniger Abrieb. Zukunftsorientiert klingen Projekte, die mit nachhaltigen Materialien experimentieren. „Falken Tyre“, ansässig in Offenbach, teste in Japan Reifen aus bis zu 97 Prozent nachwachsenden Rohstoffen. Der Test wurde jedoch wegen hohen Kosten und geringer Nachfrage eingestellt.

„Goodyear“ aus Hanau verweist auf Reifen mit einer Gummimischung, die auf Soja- statt auf Erdöl setzt. Komplett aus Recyclingmaterial besteht auch ein luftloser „Michelin“-Reifen. Das Unternehmen, das unter anderem in Bad Kreuznach produziert, probiert dabei auch ein 3D-Druckverfahren aus. Ist die Lauffläche einmal abgefahren, kann ein neues Profil einfach aufgedruckt werden.