Die Minister Lauterbach und Buschmann einigen sich auf einen Gesetzesentwurf. Wie sind die Maßnahmen zu bewerten, was ist zu erwarten? Eine Analyse.
BERLIN/WIESBADEN/MAINZ. Vor allem in diesem Punkt sind sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) einig: Beide sehen das Land für den Coronaherbst gut gerüstet, die Ausgangslage sei viel besser als vor einem Jahr. Auch wegen der Impfungen und der höheren Immunität in der Bevölkerung. Nach wochenlangen Verhandlungen haben die Minister am Mittwoch ihren Entwurf für ein geändertes Infektionsschutzgesetz und damit mögliche neue Coronaregeln im Herbst vorgestellt. Der Entwurf soll im August im Kabinett beschlossen werden, der Bundestag entscheidet darüber nach seiner Sommerpause im September – Ende September läuft das alte Gesetz aus. Eine Analyse der Pläne.
Die Grundlagen
Der Gesetzesentwurf, der auch dieser Zeitung vorliegt, enthält ein zweistufiges Konzept, das von 1. Oktober 2022 bis 7. April 2023 (Karfreitag) gilt. Also von „O (Oktober) bis O (Ostern)“ – diese Sprach-Gedankenstütze ist von den Winterreifen bekannt, die Bundesregierung verwendet sie nun auch bei den Corona-Regeln, auf einem Schaubild. Die „Winterreifen“ sehen unter anderem eine FFP2-Maskenpflicht in bestimmten Bereichen vor, unabhängig von der Infektionslage; neben einigen Vorgaben des Bundes können die Länder selbst festlegen, ob und wo die Pflicht gilt, etwa in der Gastronomie.
Die „Schneeketten“, zweite Stufe des Konzepts, bedeuten eine Verschärfung bei einer „konkreten Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems“ oder die sogenannte Kritische Infrastruktur. Zu den Indikatoren dafür gehören unter anderem die Krankenhauskapazitäten und die Zahl der Coronapatienten. Grenzwerte enthält der Gesetzesentwurf nicht. Für die strengeren Regeln in einem Bundesland oder einer Region ist als Fortführung der bisherigen „Hotspotregel“ ein Landtagsbeschluss nötig. Möglich sind dann unter anderem eine FFP2-Maskenpflicht bei Außenveranstaltungen, Abstandsgebote und Personenobergrenzen in Innenräumen.
Zu aktuellen Streitthemen wie der Isolationspflicht, kostenpflichtigen Bürgertests oder der einrichtungsbezogenen Impfpflicht haben die Minister keine Änderung angekündigt. Hier bleibt also alles beim alten.
Lesen Sie passend zum Thema Long Covid: Wie hoch ist das Risiko wirklich?
Bewertung: Während viele Länder in Europa, darunter auch große, die Coronamaßnahmen großteils oder komplett beendet haben, plant Deutschland eine Weiterführung zumindest bis zum nächsten Frühjahr. Das von Lauterbach und auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) schon häufiger verwendete Bild von den „Winterreifen“, nun auch „offiziell“ eingeführt, deutet auf eine Verstetigung der Maßnahmen in der jeweils kalten Jahreszeit hin. Die einzelnen Bundesländer können zudem eigene Regeln erlassen – voraussichtlich werden sich die Maßnahmen also abermals stark unterscheiden.
Masken- und Testpflicht
Laut Entwurf gilt von Oktober bis Ostern grundsätzlich und unabhängig von der pandemischen Lage eine FFP2-Maskenpflicht für Passagiere in Fernzügen und Fliegern (Personal: medizinische Maske). Neu ist eine FFP2-Masken- und Testpflicht für Besucher in Kliniken, Heimen und für ambulante Pflegedienste (Ausnahme: „frisch“ Geimpfte und Genesene). Ausnahmen gibt es unter anderem für Kinder unter sechs Jahren und Menschen, die per Attest von der Pflicht befreit sind. Zudem können die Bundesländer, wenn sie dies für erforderlich halten, eine FFP2-Maskenpflicht im öffentlichen Personennahverkehr, in öffentlich zugänglichen Innenräumen (also auch Geschäften), in Restaurants und im Kultur- und Freizeitbereich festlegen; dazu eine Pflicht zum Tragen medizinischer Masken in Schulen, aber erst ab der 5. Klasse. Außerdem können die Länder eine Testpflicht in Schulen, Kitas und anderen Gemeinschaftseinrichtungen – etwa Gefängnissen – anordnen.
Bewertung: Die Maskenpflicht gibt es in einigen Bereichen bereits, in anderen gab es sie so schon. Oft hingegen war aber „nur“ eine medizinische Maske vorgeschrieben, nun kommt größtenteils die FFP2-Pflicht – die allerdings nicht im Einklang mit dem Sachverständigenrat zur Bewertung der Coronamaßnahmen steht. Dieser war zum Schluss gekommen, dass für die allgemeine Bevölkerung eine „generelle Empfehlung zum Tragen von FFP2-Masken aus den bisherigen Daten nicht ableitbar“ sei. Zwar könne die Maske ein wirksames Instrument sein, eine „schlechtsitzende und nicht enganliegende Maske hat jedoch einen verminderten bis keinen Effekt“.
Gastronomie, Kultur, Sport
Wenn die Länder eine FFP2-Maskenpflicht in Innenräumen erlassen, sind in der Gastronomie, bei Freizeit-, Kultur- und Sportveranstaltungen Ausnahmen möglich: Mit einem negativen Test, als „frisch“ Genesener oder als „frisch“ Geimpfter. „Frisch“ bedeutet, dass die Impfung höchstens drei Monate zurückliegen darf.
Bewertung: Praktikabel ist das kaum. Es dürfte dann wohl eher auf die Maskenpflicht ohne Ausnahmen hinauslaufen. Ansonsten müssten die Restaurants erneut Test- und Impfnachweise kontrollieren. Nur um festzustellen, ob der Gast für den kurzen Weg vom Eingang bis zum Tisch oder zur Toilette von der Pflicht zum Tragen einer Maske befreit ist – die er am Tisch ohnehin abnehmen darf. Oder, weiteres Beispiel: Wer im Fall einer Maskenpflicht ohne Maske ins Restaurant will, stünde vor der Frage, ob er dazu jedesmal einen kostenpflichtigen Test macht oder sich je nach Zeitpunkt ein viertes oder fünftes Mal impfen lässt – was unrealistisch ist und zudem auch nicht der Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) entspricht.
Schulen und Betriebe
Die Bundesländer können ab der 5. Klasse eine Maskenpflicht erlassen, soweit dies zur „Aufrechterhaltung eines geregelten Präsenz-Unterrichts erforderlich ist“. Bei den Regeln sei „insbesondere das Recht auf schulische Bildung, auf soziale Teilhabe und die sonstigen besonderen Belange von Kindern und Jugendlichen zu berücksichtigen“, weitergehende Kriterien dafür fehlen. Zudem kann in Schulen und Kitas eine Testpflicht vorgeschrieben werden. Die Betriebe müssen Homeoffice und Tests anbieten; eine gesetzliche Homeoffice- und Testpflicht gibt es dort nicht.
Bewertung: Die Grundschulen sind diesmal von der Maskenpflicht ausgenommen, der Lehrerverband kritisiert das. An einer schon länger existierenden „Unwucht“ ändert der Entwurf aber nichts: Abermals könnten für die eigentlich am wenigsten gefährdete Bevölkerungsgruppe, nämlich Schüler, strengere Regeln gelten als für die älteren, gefährdeteren Berufstätigen. Zudem würden abermals die Jüngeren am umfassendsten getestet. Was abermals dazu führen könnte, dass sie bei den Infektionen „überrepräsentiert“ sind. Drohen schärfere Regeln?
2G-Regeln sind nicht mehr vorgesehen. Darüber hinaus: „Lockdowns und Ausgangssperren erteilt unser Konzept eine Absage“, sagte Buschmann. Ausgeschlossen ist dies freilich nicht: Auch nach dem neuen Gesetz sind Ausgangsbeschränkungen, Veranstaltungsverbote, Betriebs- und Schulschließungen möglich, nämlich dann, wenn der Bundestag erneut eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ feststellen sollte. Bewertung: Strengere Regeln sind theoretisch möglich, allerdings ist dies politisch nicht gewollt und zumindest angesichts der derzeit absehbaren Pandemielage unrealistisch.
Kompromiss-Kommunikation
Der Entwurf liest sich fast durchweg als regierungsinternes Kompromisspapier: Zwischen SPD und Grünen auf der einen Seite, die strengere Einschränkungen ermöglichen wollten; und der FDP auf der anderen Seite, die für mehr Verhältnismäßigkeit, mehr Abwägung bei den Regeln plädiert. Der Kompromiss zeigt sich auch in Details der Kommunikation: In der Pressemitteilung kommen beide Minister mit eigenen Stellungnahmen zu Wort.
Bewertung: Die große Frage ist nun, wie lange der Kompromiss hält. Beide Seiten müssen schließlich auch ihre eigenen Anhänger zufriedenstellen. Kleines Beispiel für die mitunter verwirrende Kompromiss-Kommunikation: In der Pressemitteilung und den Äußerungen des FDP-Ministers Buschmann ist von einer FFP2-Pflicht keine Rede – wohl aber in den Äußerungen des SPD-Ministers Lauterbach, der sich in diesem Punkt durchgesetzt haben dürfte.