Alle Sommer derselbe Konflikt: Die einen wollen in der lauen Sommernacht draußen sitzen, sich den Stress des Lebens von der Seele reden, trinken, lachen, vielleicht singen, und...
. Alle Sommer derselbe Konflikt: Die einen wollen in der lauen Sommernacht draußen sitzen, sich den Stress des Lebens von der Seele reden, trinken, lachen, vielleicht singen, und nicht plötzlich nach drinnen oder gar heimgehen müssen in dem Moment, in dem gerade alle Anspannung von ihnen gefallen ist. Die anderen aber, die dort wohnen, wollen ihre Ruhe. Also ziehen sie vor Gericht und erzwingen den heute üblichen Kompromiss: Um 22 Uhr ist Schluss.
Früher lag dieser Schluss bei 23 Uhr. Noch früher bei 24 Uhr. Und ganz früher gab es halt die Polizeistunde, die so gut wie nie eingehalten wurde, weil es kaum Beschwerden gab. Der Lärm der Nacht gehörte zum Sommer wie Hitze und Gewitter. Sich dagegen aufzulehnen erschien ungefähr so sinnvoll wie eine Auflehnung gegen Ebbe und Flut.
Schon dieser Vergleich relativiert das Interesse der Ruhebedürftigen etwas. Und: Es ist leicht, einen Wirt zu verklagen. Oder musizierende Nachbarn. Bellende Hunde. Aber man verklage mal die Bundesbahn wegen der Güterzüge, die 24 Stunden lang durchs enge Rheintal dröhnen. Man verklage die Airlines, die die Bewohner des Rhein-Main-Gebiets um fünf Uhr früh aus dem Tiefschlaf reißen und sie bis 23 Uhr am Einschlafen hindern.
Gegen den normalen Lärm des Lebens, der von Kindern, Zechern, Touristen, Tieren ausgeht, lässt sich leicht klagen in diesem Land. Die Höllenmaschinen aber und deren Lärm, der die Gesundheit von Hunderttausenden schädigt, müssen hingenommen werden wie ein Naturereignis.
Wäre es nicht an der Zeit, die Verhältnisse umzukehren? Es ist der Höllenlärm der Maschinen, der unzumutbar ist. Und es ist der fröhliche Lärm von Menschen, der hinzunehmen ist, weil er das Leben feiert. Auch Baulärm ist tolerabel, weil auch er davon kündet, dass Leben in der Stadt ist und diese eine Zukunft hat.
Der seit Jahren anhaltende Kampf gegen Kinder-, Biergarten- und Lebenslärm deutet auf den Konflikt einer alternden Gesellschaft hin: Alt gegen Jung. Die wachsende Mehrheit der Älteren setzt sich durch gegen die Jüngeren, und wenn das so bleibt, dann werden die Wirte ihre Gäste künftig schon um 21 Uhr nach innen bitten müssen, dann um 20 Uhr, und irgendwann ist jeder Stadt jegliche Lebensfreude ausgetrieben.
Wer für Lärm Verständnis zeigt, wird abgewählt
Da das nicht im Interesse von Bürgermeistern und Stadträten liegen kann, müssten sie den lebenslärmbekämpfenden Prozesshanseln sagen: Wo Lärm ist, ist das Leben, und die Ruhe ist der Tod.
Wer es sagte, würde von der alternden Mehrheit abgewählt. Muss auch gar nicht gesagt werden. Es hülfe schon, eine Politik zu betreiben, die diesem Gedanken folgt.
Das kann klein beginnen, etwa durch Freibier für die Nachbarn. Freibier und gegenseitiges Kennenlernen heben die Stimmung ungemein. Wenn der Wirt es geschickt anstellt, bleiben diese Nachbarn länger als die Polizei erlaubt.
Mit den dann noch übrigen Beschwerdeführern muss die Stadt Gespräche führen: Schon mal über Schallschutzfenster nachgedacht? Sich schon mal gefragt, warum man ausgerechnet dort wohnen muss, wo der Bär steppt? In jeder Stadt gibt es ruhigere Viertel, und nicht alle sind teurer als die belebten Viertel in den Innenstädten. Und: Die Stadt wird dir bei deinem Umzug helfen.
Schließlich: Du warst doch auch mal jung. Vergleiche mal unsere heutige Hochempfindlichkeits- und Unverträglichkeitsgesellschaft mit früher. Früher hatten die Leute eine viel höhere Frustrationstoleranz. Vielleicht sollte man mal an einem Desensibilisierungsprogramm der Stadt teilnehmen. Da kann man lernen, wie man sich Unempfindlichkeit gegen Hitze, Kälte, Gluten, Lärm, Pollen und all die Unbilden des Lebens antrainiert, von denen ganze Industriezweige leben.
Also nimm wieder teil am Leben und sei, verdammt noch mal, einfach wieder jung und freu’ Dich, dass Deine Stadt laut ist und chaotisch und lebendig. Der Autor ist 66.
Von Christian Nürnberger