Afrohaare – eine Marktlücke in Deutschland

Zwar gibt es Lockenshampoos, doch diese sind oft nicht reichhaltig genug. Afrolocken neigen zu Trockenheit und Bruch, deshalb brauchen sie Pflege, die viel Feuchtigkeit spendet. In der Drogerie gibt es kaum Produkte für die krause Haarstruktur von Afrolocken, auch weil sie nicht ins deutsche Schönheitsideal der blonden, glatten Haare passen. Foto: blackday - stock.adobe/ VRM Isabelle Scherthan

Schwarze Menschen finden in der Drogerie nur schwer Haut- und Haarprodukte für ihre Bedürfnisse. So versuchen drei Gründerinnen das zu ändern.

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HAMBURG/STUTTGART/KREFELD. Wie jede Haarpflege-Werbung beginnt auch diese Geschichte mit einer Frau und der Frage: Welches Shampoo pflegt meine Haare richtig? Anders als die weiße Frau in der Werbung findet die Hamburgerin Abina Ntim in deutschen Drogeriemärkten nicht so einfach das richtige Shampoo für ihre natürlichen Afrolocken. Zwar gibt es Lockenshampoos, doch diese sind oft nicht reichhaltig genug. Afrolocken neigen zu Trockenheit und Bruch, deshalb brauchen sie Pflege, die viel Feuchtigkeit spendet. In der Drogerie gibt es kaum Produkte für die krause Haarstruktur von Afrolocken, auch weil sie nicht ins deutsche Schönheitsideal der blonden, glatten Haare passen. Eine Tatsache, die Abina Ntim, Adelaide Wolters und Anna Baltruschat als Gründerinnen verändern.

Abina Ntim hat ihre Locken in den ersten 20 Jahren ihres Lebens nicht getragen, denn ihre Eltern waren mit der Haarpflege überfordert– und griffen vor lauter Frustration zum „Relaxer“, der chemischen Glättung. „Das ist nicht nur oft schmerzhaft und aufwändig, sondern auch gesundheitsschädlich“, sagt Ntim heute.

Eine Studie der Boston University zeigt, dass das Risiko für Brustkrebs bei Schwarzen Frauen um etwa 30 Prozent steigt, die „Relaxer“ seit mindestens 15 Jahren sieben Mal im Jahr benutzen. „Relaxer“ bestehen aus Natriumhydroxid, Lauge – ein Inhaltsstoff, der auf der Haut ätzend wirkt und bei Kontakt mit den Augen zur Erblindung führen kann.

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Als Ntim sich entschloss, ihre Haare nicht mehr zu glätten, stand sie vor der Frage: Welche Pflege brauchen Afrohaare eigentlich? Auf der Suche nach Wissen schaute sie Videos von afroamerikanischen Frauen, kaufte für viel Geld Haarprodukte aus den USA oder in Hamburger Afroshops – die Produkte importieren - und probierte verschiedene Pflegemethoden aus. Denn: „Afrohaare sind nicht gleich Afrohaare“, sagt sie. All das Wissen, das Ntim sich angeeignet hat, gibt sie seit sechs Jahren in Workshops und individuellen Haarberatungen online und in Präsenz an andere Schwarze Frauen weiter. Vor vier Jahren gründete sie dann ihren Onlineshop „JONA – curly haircare“ und brachte ihr erstes Produkt, die „Satin Cap“ - Satinkappe -, heraus, die Afrohaare vor dem Abbrechen schützt.

Für Ntim hat die Branche drei Mängel: zu wenig Produkte für Afrolocken, zu wenige Friseure, die im Umgang mit Afrohaaren geschult sind und zu wenig Wissen über Afrohaar-Pflege. Alle drei Lücken versucht sie mit ihrer Arbeit ein Stück weit zu schließen. Zwar hat das Thema Haare nicht für jeden Schwarzen Menschen die gleiche Bedeutung, doch für viele Schwarze Frauen ist es ein sensibles Thema, nicht zuletzt, weil einige schmerzliche Erinnerungen mit ihren Haaren verbinden. Sei es das jahrelange „Relaxen“ oder der ungefragte Griff in die Haare – eine rassistische Erfahrung, die laut dem Afrozensus 2020 90 Prozent der Befragten schon erlebt haben.

Eine Erfahrung, die Ntim erst neulich wieder im Supermarkt erlebt hat, wie sie erzählt. Umso wichtiger ist es für sie, dass die Teilnehmerinnen ihrer Workshops sich über die schmerzhaften wie schönen Erfahrungen austauschen können. Mit ihrer Arbeit ermutigt Ntim die Frauen, ihre natürlichen Afrolocken zu tragen. Die meisten Frauen hätten danach mehr Selbstbewusstsein, ein Gefühl der Selbstermächtigung und fühlten sich wohl, sagt sie. In Zukunft möchte Ntim ihr Workshop-Angebot bundesweit ausbauen und „ich wäre gern Teil davon die Ausbildungsordnung von Friseuren zu verändern“, sagt sie. Um den Mangel an Afrohaar-Produkten in der Drogerie langfristig zu überwinden, wünscht sich Ntim, dass Unternehmen Afrohaar-Experten, wie sie, ins Boot holen und Schwarze Menschen allgemein in die Produktentwicklung- und Testung einbinden. „Damit es selbstverständlich wird, dass ich in die Drogerie gehen kann, um mir mein Lieblingsshampoo nachzukaufen“, sagt sie.

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Auch Hautcreme gegen Hyperpigmentierung fehlt

Brennende Kopfhaut für glatte Haare, davon erzählt auch Adelaide Wolters. Um es ihr als Kind leichter zu machen, wurden auch ihre Haare chemisch geglättet. „Ich will gar nicht wissen, was das für Schäden angerichtet hat.“ Heute trägt die 25-jährige Hamburgerin ihre Haare am liebsten natürlich oder in langen Zöpfen, sogenannten Braids. „Worauf ich stolz bin, weil ich meine Haare früher wirklich nicht leiden konnte“, sagt sie. Fehlende Haarprodukte in der Drogerie? Kennt sie und kauft deshalb nur online. „Mittlerweile gibt es Marken, wie ‚Afrolocke‘, die es langsam in die Drogerie geschafft haben“, sagt sie. Für Wolters gibt es noch ein weiteres Produkt, das fehlt: Hautcreme, die gegen Melasma – Hyperpigmentierung – hilft. „Da findet man als dunkler Hauttyp keine Produkte“, sagt sie. Sie selbst litt jahrelang unter Melasma, kein Hautarzt konnte ihr helfen. Frustriert mischte sie sich mit 15 Jahren schließlich ihre eigene Hautcreme zusammen. Freunde und Familie waren begeistert. Das Resultat: Wolters gründete vor vier Jahren ihr Unternehmen „Unrefined Riches“ und brachte 2019 ihre erste Hautcreme auf den Markt.

Porträt Adelaide Wolters, Gründerin von Unrefined Ri  Foto: Hannah Aders
Porträt Adelaide Wolters, Gründerin von Unrefined Ri (© Hannah Aders)

„Das Problem ist, dass bei der Produktentwicklung der dunkle Hauttyp nicht inkludiert wird“, sagt Wolters. Deshalb hat sie sich bewusst entschieden ihre Produkte an hellen und dunklen Hauttypen zu testen und sie für alle Hauttypen- und töne zu konzipieren. Derzeit erweitert sie ihr Sortiment auf Haarpflege – auch hier ist ihr wichtig, dass es Produkte für alle Haarstrukturen gibt. „Das werden dann zwei verschiedene Produkte, denn ein Shampoo für alle Haarstrukturen gibt es nicht, das habe ich in einer Testphase schon ausprobiert“, sagt sie. Mit ihren Produkten trägt auch sie zur Veränderung der Kosmetikbranche bei und schließt eine Marktlücke, die in Deutschland offensichtlich besteht. Der Bedarf nach Produkten ist da, das zeigt die Frustration und Gründung von eigenen Unternehmen.

Sichtbarkeit für das Thema Afrohaare nimmt zu

„Ich finde, wir sind auf einem guten Weg“, sagt Anna Baltruschat und meint damit die fortschreitende Sichtbarkeit für das Thema Afrohaare, das oft unterschätzt werde. Manchmal sei es auch schwer, das Problem zu sehen, wenn man das Problem selbst nicht habe, sagt sie. Deshalb sei es wichtig, das Problem aufzuzeigen, aber auch die Veränderung, die derzeit stattfindet. „Sonst wären wir nicht in den Märkten, wie wir es heute sind”, sagt sie. Mit ihrem Naturkosmetik-Unternehmen “Afrolocke” hat sie sich einen Namen gemacht – und es in das Sortiment der Drogeriemarktkette DM geschafft. Zumindest online. Sie war stolz und überglücklich, die Freude aus der Community über diesen Erfolg sei riesig gewesen.

„Ich habe nicht damit gerechnet, dass es ein großer Schritt ist, im Onlinehandel von DM zu sein, aber habe schnell realisiert, wie besonders das ist”, sagt sie. „Afrolocke“ ist die erste zertifizierte Naturkosmetikmarke für Locken, die in Deutschland produziert und verkauft wird.

Porträt Anna Baltruschat, Gründerin von Afrolocke. Foto: Verena Müller.
Porträt Anna Baltruschat, Gründerin von Afrolocke. (© Verena Müller.)

Ihre Gründergeschichte beginnt ebenfalls mit Frustration: Produkte für glattes Haar füllen die Drogerieregale und für ihre Afrolocken ist die Auswahl limitiert. Als Jugendliche habe Baltruschat ihre Haare mit allen Mitteln bekämpft, erzählt sie – chemische Glättung war eins dieser Mittel. Kurz vor der Gründung habe sie gemerkt: „Selbst, wenn ich im Afroshop ein gutes Produkt finde, ist es meist ausverkauft oder ich bekomme es nur in einem Shop, der weit weg ist”, sagt sie. Damals dachte sie, wenn sich kein Konzern in Deutschland darum kümmere, dann mache sie es selbst.

Ihr Ziel: „‘Afrolocke‘ korrigiert das gängige Schönheitsideal und macht Diversität sichtbar ”, sagt sie. Schon der Name „Afrolocke“ ist ein Statement. Mit Blogeinträgen und in den sozialen Medien zeigt Baltruschat, dass nicht nur glattes Haar, sondern auch krauses und lockiges Haar schön ist. Wie Ntim gibt sie so Wissen über die richtige Pflege von Afro- und Naturlocken weiter. „Wir tun viel dafür, dass die Stigmatisierung aufhört”, sagt sie. Einen Afro zu tragen, sei nicht mehr lustig und solle keine große Aufmerksamkeit mehr entfachen, sondern gleichbehandelt werden, findet sie. Denn ein Grund, warum viele ihre Haare nicht natürlich tragen, sei die Aufmerksamkeit, die oftmals daraus resultiert. „Man möchte einfach seine Haare offen tragen und in dem Moment kein politisches Statement setzen oder über seine Haare sprechen”, sagt sie.

Kosmetikunternehmen müssten ihren Teil der Entstigmatisierung beitragen und Afrohaare in der Produktentwicklung und Werbung mitdenken. Zudem müssten Konzerne mehr BIPoC (Black, Indigene und Personen of Colour) einstellen, damit sich etwas verändert. „Ich hoffe, dass nachhaltig der Blick auf die Wichtigkeit dieses Themas bestehen bleibt”, sagt sie und ist hoffnungsvoll. Denn: Die Veränderung passiert schon.