Tragische Geschichte berührt im Wormser Lincoln-Theater
Liora Hilbs Großmutter war im KZ Auschwitz ermordet worden. Aus dem, was die Enkelin an Information zusammentragen konnte, schuf sie eine bewegende Collage.
Von Ulrike Schäfer
Die wenigen Informationen, die Schauspielerin Liora Hilb über ihre Großmutter gefunden hatte, verwob sie zu einer facettenreichen, dichten Collage.
(Foto: BilderKartell/Boris Korpak)
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WORMS - Wundersam und tragisch zugleich ist es am Sonntagabend im Lincoln-Theater zugegangen. Tragisch, weil das Theaterstück „RemembeRING“ von und mit der Schauspielerin Liora Hilb herausstellt, dass es Hilbs deutscher Großmutter Jenny nicht mehr gelang, ihren beiden Söhnen nach Palästina zu folgen. Sie wurde am 19. August 1942 von Stuttgart-Killesberg aus nach Theresienstadt deportiert und am 30. Januar 1943 nach Auschwitz gebracht. Von den 1000 Menschen, die an diesem Tag in dem Vernichtungslager ankamen, wurden noch am selben Tag 783 in den Gaskammern ermordet.
Das Unsagbare hatte den Mund verschlossen
Tragisch ist die Geschichte auch deshalb, weil die Enkelin über diese dürren und schmerzlichen Daten hinaus lange nichts über ihre Großmutter in Erfahrung bringen konnte. Vater und Onkel schwiegen beharrlich. Wie vielen Nachkommen von Nazi-Opfern hatte ihnen das Unfassbare, Unsagbare den Mund verschlossen. Was von der Großmutter blieb und was die Enkelin irgendwann auf ihre Spur setzte, war der auffallende Ring, der eines Tages in der Wohnung von Lioras Eltern in Tel Aviv abgegeben wurde. Bis heute weiß sie nicht, wie er den Weg nach Israel gefunden hat – und schon allein das macht die Geschichte auch wundersam.
Es ist faszinierend, wie eindrücklich und fantasievoll Liora Hilb diese wenigen Informationen zu einer dichten Collage mit vielen Facetten verwoben hat. Kunstvoll balanciert sie Erlebnisfragmente, expressive Gefühle, Erzählungen, Interviews, Trauriges und Komisches. Ein quaderförmiger Rahmen aus verschiebbaren Gazewänden erlaubt es ihr, die unterschiedlichen Schichten von Vergangenheit und Gegenwart, Wissen, Wollen und Träumen wirkungsvoll zu inszenieren. Eigenwillig gefilmte Videoeinspielungen mit Miriam Locker, Hilbs Tochter, die ebenfalls Schauspielerin ist, und behutsam eingesetzte Musik ergänzen das Spiel.
Hilb erzählt vom schmerzvollen Abschied von Tel Aviv, weil der Vater nach 25 Jahren wieder nach Deutschland zurückkehren wollte. Ein Jecke war er in Israel gewesen, ein deutscher Zugewanderter, der niemals Hebräisch lernte. Was bedeutet Heimat? Ist es ein bestimmter Ort, sind es Menschen, Gefühle? Etwas habe ihr immer gefehlt, sagt Liora, eine große Familie. Zur näheren Verwandtschaft ihres Vaters hatten 87 Menschen gehört. Nach der Schoa waren es noch elf, und die lebten verstreut in aller Welt.
Die Großeltern Julius und Jenny waren wohlhabend gewesen, hatten ein Stoffgeschäft neben dem Ulmer Münster, feierten Weihnachten und nicht Chanukka. Als bei einem Besuch in Ulm die Bestecke mit dem Monogramm seiner Mutter auf dem Tisch der Gastgeber gelegen hatten, sprang der Vater auf und verließ das Haus, verlor aber nie ein Wort darüber. Eine furchtbare Geschichte! Der hartnäckig fragenden Liora gab die Tante schließlich den einzig erhaltenen Brief ihrer Großmutter.
Als die Enkelin die sehnsüchtigen und angstvollen Worte vorliest, mit der Jenny ihrer Kinder gedachte, hat wohl mancher Zuschauer Mühe, die Fassung zu bewahren. Dieser Theaterabend, der auf Einladung von Warmaisa und „Demokratie leben!“zustande kam, wird jedem im Publikum sicher im Gedächtnis bleiben.