Stella Schindler-Siegreich: In Israel geboren, in Worms zuhause
Von Ulrike Schäfer
Stella Schindler-Siegreich – hier zu sehen vor der Wormser Synagoge – hat in dieser Woche ihren 70. Geburtstag gefeiert. Foto: photoagenten/Andreas Stumpf
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WORMS - Für die Öffentlichkeit war es eine große Überraschung, als bekannt wurde, dass Stella Schindler-Siegreich, seit 2004 Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Mainz, im August 2017 ihr Amt niedergelegt hatte. Bedauern und Unverständnis hielten sich die Waage. Intern war ihre Absicht indes schon länger bekannt gewesen. Ein Herzinfarkt Ende 2014 hatte an ihren Kräften gezehrt. Die häufigen Fahrten von Worms nach Mainz, der aufreibende tägliche Kleinkram, aber auch die vielen offiziellen Verpflichtungen ermüdeten sie zusehends. Hinzu kam der Wunsch, mehr für ihre wachsende Enkelschar da sein zu können.
In ihrer Amtszeit hat Stella Schindler-Siegreich viel bewegt. So wird mit ihrem Namen immer der Bau der neuen Synagoge in der Hindenburgstraße in Mainz verbunden sein – ein deutliches Signal, dass das Judentum einen Neuanfang mit Deutschland wagt. Aber es ging ihr immer auch darum, dieses neue Haus mit Leben zu füllen, um den Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion eine spirituelle, religiöse und kulturelle Identität anzubieten, ihnen eine Heimat zu geben. Auch in Worms hat sie einiges bewegt, die Veranstaltungen zum Raschi-Jahr 2005 und die Bewerbung der Schum-Städte als Weltkulturerbe angeregt, das Haus zur Sonne wieder für die Gemeinde nutzbar gemacht, Gottesdienste und Feste organisiert. Woher kommt sie, was hat sie geleitet?
Stella Siegreich wurde am 17. April 1948 geboren, drei Jahre, nachdem sich ihre Eltern im gemeinsamen Haus in Bedzin/Polen wiedergefunden hatten. Der Vater hatte sich gegen Ende des nationalsozialistischen Schreckensregimes aus einem Arbeitslager im Kattowitzer Land retten können; die Mutter hatte die Konzentrationslager Majdanek und Auschwitz durchleben müssen. Nach 1945 flohen die wenigen Verwandten, die überlebt hatten, vor dem wachsenden polnischen Antisemitismus in die USA und in den neu gegründeten Staat Israel. Auch Stellas Eltern, einst recht wohlhabend, nun fast mittellos, wanderten aus und versuchten, sich in Jerusalem eine Existenz aufzubauen. Doch das war nicht leicht. Ein ehemaliger Lagerfreund, der in Deutschland Fuß gefasst hatte, überredete sie schließlich, nach Europa zurückzukehren. Stella war damals zehn Jahre alt. In Jerusalem habe sie eine sehr glückliche Kindheit verbracht, erzählt sie mit leuchtenden Augen. Der Neubeginn in Deutschland sei ein gewaltiger Einschnitt für sie gewesen, zumal sie damals noch kein Wort Deutsch sprach.
Nach einem Intermezzo in Bayern kam die Familie 1960 nach Worms. Die Eltern übernahmen einen gastronomischen Betrieb, den die Mutter nach dem frühen Tod des Vaters allein weiterführte. Die Familie lebte ihr Judentum, hatte Kontakt zur Gemeinde, fuhr an den hohen Feiertagen nach Mainz in die Synagoge. Ein unvergessliches Erlebnis war 1961 die Einweihung der Wormser Synagoge nach dem Wiederaufbau. „Es gibt noch Fotos von diesem Tag, auf dem auch ich als zwölfjähriges Mädchen zu sehen bin“, erzählt Schindler-Siegreich lächelnd. Man feierte erstmals wieder Rosch ha-Schana und Jom Kippur, eine Bar Mitzwa und Hochzeiten.
Stella Siegreich besuchte das Eleonoren-Gymnasium, machte Abitur und gründete 1973 eine Familie. Als die beiden Kinder erwachsen waren, änderte sich zunehmend etwas in ihrem Leben. „Ich weiß noch, dass ich am 9. November bei einer Gedenkveranstaltung in der Synagoge war. Ein Kantor sang das Totengebet El male Rahamim. Das hat mich so berührt, dass ich dachte: Du musst etwas machen.“ In dieser Phase kamen die ersten jüdischen Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion nach Worms. 1996 trat Schindler-Siegreich in die Gemeinde ein, parallel dazu wurde sie Gründungsmitglied der Gesellschaft zur Förderung und Pflege jüdischer Kultur in Worms, später Warmaisa. „Damals wurde mir auch die bedeutende jüdische Geschichte von Worms bewusst“, erinnert sie sich. Sie machte eine Ausbildung zur Stadtführerin, absolvierte ein Gastsemester an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg, traf sich mit den Kindern Überlebender der Shoa. Aufgrund dieses reichen Wissens regte sie im Vorstand von Warmaisa viele interessante Veranstaltungen an, stellte Kontakte zu Künstlern und Referenten her.
Gleichzeitig versuchte sie, mit anderen jüdischen Familien ein Gemeindeleben in Worms zu organisieren, Feste wurden gefeiert, jüdischer Religionsunterricht eingerichtet. „Eine Zeitlang war auch die Selbständigkeit der Wormser Gemeinde ein Thema“, erzählt sie. Doch die Pläne waren nicht finanzierbar.
2001 wurde sie als Revisorin vorgeschlagen, drei Jahre später gebeten, für den Vorstand der Jüdischen Gemeinde Mainz/Worms zu kandidieren, am 18. April 2004 wurde sie zur Vorsitzenden gewählt. Ihr Fazit fällt positiv aus: „Trotz aller Anstrengung schaue ich mit großer Genugtuung auf das Erreichte und bin voller Dankbarkeit für die vielen menschlichen Begegnungen und für die wohlwollende und großzügige Unterstützung, die ich erfahren durfte.“