Smombies starren ständig und überall aufs Handy - das kann schnell lebensgefährlich werden
Smombies sind Menschen, bei denen das Handy scheinbar an der Hand angewachsen ist. Einer ihrer bevorzugten Lebensräume ist die Fußgängerzone. Doch der stete Blick auf das Handy kann schnell gefährlich werden.
Von Claudia Wößner
Redaktionsleitung Rheinhessen Süd
"Smombies" starren ständig und überall aufs Handy. Foto: Photoagenten/Andreas Stumpf
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WORMS - Wir kennen alle Zombies. Wenn nicht vom Serien-Hit „The Walking Dead“, dann doch von der Arbeit, wenn der Morgenmuffel im Büro sitzt und noch keinen Kaffee hatte. Aber auch Smombies sind unter uns. Sie gehören der Gattung von Menschen an, bei denen das Handy scheinbar an der Hand angewachsen ist. Smartphone-Zombies also, die außer ihrem Display kaum etwas um sich herum wahrnehmen. Einer ihrer bevorzugten Lebensräume ist die Fußgängerzone.
Mittags, 12 Uhr, vor dem Café Pinel. Stephan Vormerker und Mario Schmidt beenden gleich ihre Zählung. 457 Passanten haben sie in der vergangenen Stunde beobachtet, die an der Ampel die Straße überquert haben. 70 von ihnen waren dabei wahrscheinlich nicht ganz bei der Sache. Sie hatten ihr Smartphone in der Hand, vor den Augen oder am Ohr. Und der eine oder andere lief auch bei Rot über die Straße. „Niemand kann gleichzeitig Nachrichten checken und auf den Verkehr achten. Das ist ganz klar eine lebensgefährliche Selbstüberschätzung“, sagt Stephan Vormerker. Er ist Kreisvorsitzender des „Auto Clubs Europa“ (ACE), Deutschlands zweitgrößtem Autoclub, und hat mit seinem ACE-Kollegen die Smombies gezählt.
Keine Nackenstarre, aber schon ein Beinahe-Zusammenstoß
Der ACE führt unter der Schirmherrschaft des rheinland-pfälzischen Verkehrsministers Dr. Volker Wissing in den Sommerferien die Verkehrssicherheitsaktion „Finger weg!“ durch. Fußgänger sollen bei Zählungen wie der in Worms für etwas sensibilisiert werden, was früher ganz normal war: Wer über die Straße will, schaut erst nach links und rechts und läuft dann erst los. Mit Kopfhörern über den Ohren und Fingern auf der Tastatur ist das schon lange nicht mehr der Normalfall. Mit fatalen Folgen. Nach Angaben des ACE verunglückten 2015 31.589 Fußgänger im Straßenverkehr, 534 davon tödlich. An immer mehr Unfällen war ein Smombie beteiligt.
Junge Leute sind nach Beobachtung Vormerkers inzwischen besonders oft zu Smombies mutiert. Und unter den jungen Leuten wiederum vor allem Frauen und Mädchen. „Die Mädchen haben sich mehr zu erzählen als die Jungs“, glaubt Vormerker. Eine Einschätzung, die ein Smombie bestätigt. „Ich muss doch wissen, was gerade in meinem Freundeskreis passiert“, sagt Serina Lopez Sanchez. Die 19 Jahre alte Wormserin hat beim Gespräch mit der WZ gerade ihr Handy in der Hand. Nach einem Einkaufsbummel steht sie auf dem Obermarkt und will weiter zum Bahnhof. „Ich habe meinen Freundinnen geschrieben, dass ich ein rotes Kleid gekauft habe und dass ich gleich da bin zu unserem Treffen“, erzählt die Bürokauffrau. „Wir schreiben uns immer direkt und haben dann doch noch viel zu erzählen.“ Tristan Haas (26), der mit seinem Smartphone durch die KW läuft, gibt zu, dass das Handy-Schauen schon etwas von einer Sucht hat: „Man gewöhnt sich daran, ständig online zu sein. Aber keine Angst, eine Nackenstarre habe ich noch nicht gehabt.“ Wenn die Nackenstarre bisher ausgeblieben ist, ist er vielleicht schon einmal mit jemanden zusammengestoßen? Der Germanistikstudent lächelt etwas verschämt. „Das ist mir wirklich beinahe schon passiert, ich habe nicht rechtzeitig gesehen, dass eine Frau mit ihrem Kinderwagen um die Straßenecke gebogen ist.“ Haas ist bewusst, dass das Handy-Starren ziemlich gefährlich werden kann. Aber die Vernunft siegt eben nicht immer. Bei Tristan Haas nicht. Und bei vielen anderen auch nicht. Bei ihnen setzt sich oft die Neugierde durch. Die Angst, vielleicht etwas Wichtiges zu verpassen. In der digitalen Parallelwelt wohlgemerkt und nicht an der Ampel, wo sie gerade stehen.
Momentaufnahme, die von vielen Faktoren beeinflusst wird
„In Bad Kreuznach sind die Leute vernünftiger als in Worms“, berichtet Vormerker schmunzelnd. Bei 152 Menschen, die er dort gezählt hat, waren nur zwei mit ihrem Smartphone beschäftigt. Vormerker weiß, dass das nur eine Momentaufnahme war, die von vielen Faktoren beeinflusst wird. Ohnehin gibt es nach seiner Meinung keine regionalen Unterschiede: Das Smartphone ist allgegenwärtig. Mittlerweile sogar so sehr, dass weltweit Städte überlegen, wie sie mit dem Phänomen umgehen. In Honolulu wird diskutiert, ob es Fußgängern künftig verboten sein soll, mit dem Handy am Ohr oder vor den Augen über eine Straße zu gehen. „Bompeln“ gibt es seit mehr als einem Jahr in Augsburg. Gemeint sind damit Bodenampeln an Straßenbahn-Haltestellen, die Smartphone-Nutzer per LED-Leuchte vor dem Verkehr warnen. Viele Städte haben inzwischen ähnliche Lösungen gefunden. Beliebt sind Bodenampeln auch an Straßenkreuzungen. In der niederländischen Kleinstadt Bodegraven-Reeuwijk sind „Lichtlijn“ eingeführt worden. Leuchtstreifen, die in den Boden integriert und an Ampeln gekoppelt sind. Menschen, die nach unten auf ihr Handy schauen, sehen dann, ob sie über die Straße laufen.
Die Wormser Stadtverwaltung plant nichts Vergleichbares. Wie Pressesprecher Hans H. Brecht berichtet, hält die Stadt es für sehr zweifelhaft, stark genutzte Straßenkreuzungen und Fußgängerüberwege mit solchen blinkenden Lichtermarkierungen auszustatten. Die Botschaft aus dem Rathaus ist klar: Wer seine Umgebung nicht mehr wahrnimmt, weil er ständig aufs Handy starrt, handelt wie auch bei der Smartphone-Nutzung im Auto fahrlässig und gefährdet sich und andere. Im Übrigen, so betont Brecht, wäre eine Aufrüstung mit Blink-Markierungslichtern mit immens hohen Kosten verbunden, die sich nicht rechtfertigen ließen. Auch für Smombie-Zähler Stephan Vormerker sind die Bodenampeln „gaga“. Mit ihnen werde das Verhalten der Smombies nur unterstützt und weiter verstärkt. Dabei sollten die Smombies doch eigentlich zum Nachdenken über ihr Verhalten angeregt werden. Darüber, dass sie wie Zombies durch die Stadt laufen, obwohl sie sicherlich nicht zum Team von „The Walking Dead“ gehören.