Liederzyklus „Das Marienleben“ beeindruckt in Lutherkirche
Fast wie ein Blick in die Seele der Gottesmutter Maria. Der Liederzyklus „Das Marienleben“ von Paul Hindemith zog die Zuhörer in der Wormser Lutherkirche in seinen Bann.
Von Ulrike Schäfer
„Das Marienleben“, der Liederzyklus von Paul Hindemith, zog das Publikum in der Lutherkirche in seinen Bann. Nicht zuletzt durch die Darbietung von Sopranistin Susanne Bohn und Christian Schmitt, der sie am Flügel begleitete.
(Foto: pa/Alessandro Balzarin)
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WORMS - In der Lutherkirche war der Liederzyklus „Das Marienleben“ von Paul Hindemith nach den Gedichten von Rainer Maria Rilke in einer tief beeindruckenden Interpretation zu hören. Die Sopranistin Susanne Bohn hatte sich die sehr anspruchsvollen Lieder einfühlsam angeeignet, sie geistig und musikalisch völlig durchdrungen und trug sie mit einer wunderbar süßen, aber kraftvollen, in ihrer Intensität niemals nachlassenden Stimme so vor, dass sie für die Hörer mit der Maria zu verschmelzen schien. Christian Schmitt am Flügel war ihr dabei ein kongenialer Partner.
Die 15 Gedichte zum Leben der Gottesmutter Maria sind eigentümlich intime Werke, so, als habe der Dichter einen ganz persönlichen, nur ihm bekannten Zugang zu ihr. Manchmal scheint er ihr direkt in die Seele zu schauen und lässt sie aussprechen, was sie denkt und fühlt. Im Grunde genommen spiegelt Maria das unaussprechlich Göttliche, das die Zeitenwende herbeiführen wird. Schon bei ihrer Geburt gibt es eine Ahnung vom Kommen „des Einen“. Die Eltern spüren es, die Engel wissen es. Es muss sie viel Mühe gekostet haben, „nicht aufzusingen“, überlegt der Dichter in seiner altertümlich-manierierten Sprache, mit der er das Heilige angemessen ausdrücken will. Wortreich beschreibt er den Tempel, dieses ehrfurchtgebietende Heiligtum aus Stein. Die junge Maria indessen steht über alledem, ist bereit, das ihr zugedachte Los anzunehmen. Besonders intensiv gelingt Rilke die Begegnung mit dem Verkündigungsengel, beide, er wie Maria, erkennen die weltverändernde Größe des Augenblicks.
Der Dichter schildert auch die Begegnung Marias mit der schwangeren Elisabeth, den Argwohn Josephs, der demütig begreift, die Verkündigung der Hirten, von Rilke als die „Gradgläubigen“ bezeichnet, die stärker mit der Natur verbunden sind als andere, mehr sehen und hören. Ihnen wird das Neue zuerst verkündet. Erzählt wird von den Königen, deren Schätze von dem Kind in den Windeln überstrahlt werden; dann vom Schutz eines Baumes bei der Flucht nach Ägypten: „Er fühlte neue Kronen blühen.“
Ein Wandel, der sich auch musikalisch in einer dramatischen Klavierbegleitung ausdrückt, findet bei der Hochzeit zu Kana statt. Maria, nicht nur rein und heilig, sondern auch mütterlich stolz, fordert den Sohn auf, Wasser in Wein zu verwandeln, und merkt mit Entsetzen, das dadurch sein Wesen offenbar wird und der Tag seines Opfertodes unaufhaltsam näher rückt.
Maria dann als Klagende, die ihr Kind nicht schützen kann, als schmerzvolle Pietà und als „Geheilte“ nach der Begegnung mit dem Auferstandenen. In drei Gedichten schließlich beschreibt der Dichter den Tod Marias, ihre Aufnahme in den Himmel, die Spur, die sie unter den Menschen hinterlassen hat.
Viel Applaus vom Publikum
Paul Hindemith hat sich völlig auf diese tief religiöse, durch und durch symbolhafte Dichtung eingelassen, ja, er hat sie kompositorisch gedeutet und dem Hörer einen eigenen Zugang erschlossen. Obwohl Rilke in Reimen spricht, die eigentlich zur Wiederholung von Tonfolgen einladen, kehrt fast keine Melodie zum zweiten Mal wieder. Manche Passagen haben fast rezitativischen Charakter, Choräle klingen an, schicksalsbetonte Akkorde. Jeder Satz, ja, jedes Wort der Gedichte erhält dadurch eine eigene Wertigkeit.
Die Zuhörer würdigten die großartige Leistung der Sängerin und des Pianisten mit langem, stehenden Applaus.