Die Frühchenstation im Wormser Klinikum wünscht sich eine Hightech-Puppe, an der die Ärzte unter fast realen Bedingungen trainieren können.
Von Johannes Götzen
Chefreporter Rheinhessen Süd
Oberarzt Samuel Lippke kontrolliert beim kleinen Ata durch Abhören, ob der Tubus richtig vor den Lungenflügeln sitzt.
(Foto: BK/Andreas Stumpf)
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
WORMS - Schon nach wenigen Millimetern kommt eine entscheidende Stelle. Ist der Tubus – im Grunde ein Schlauch, durch den gleich Luft und damit Sauerstoff in die Lunge gelangen soll – durch das Nasenloch eingeführt, kommt er im Rachenraum heraus. Und dort muss er nun an den Stimmbändern vorbei in die richtige der beiden direkt nebeneinanderliegenden Röhren hinein, in die Luft- und nicht die Speiseröhre. Ist das geschafft, muss der Tubus an der richtigen Stelle enden. Die Luftröhre teilt sich irgendwann in zwei Röhren, die jeweils in einen der beiden Lungenflügel führen. Nur bis kurz vor dieser „Abzweigung“ darf der Schlauch reichen, damit eben auch beide Lungenflügel be- und entlüftet werden können.
Oberarzt Samuel Lippke benötigt eine knappe Minute, um ein Neugeborenes zu intubieren. Jedenfalls dann, wenn alles glatt läuft. Treten Komplikationen auf, kann es auch mal fünf oder bis zu zehn Minuten dauern. Ganz besonders viel Erfahrung braucht es, um bei den Frühchen den Tubus, der nur einen Außendurchmesser von 2,9 Millimeter hat und 165 Millimeter lang ist, richtig zu setzen. Bei einem so winzigen Menschen, der gerade einmal 1000 Gramm auf die Waage bringt, die richtige Röhre zu finden und vor allem dem zarten Wesen keinen Schaden zuzufügen, schaffen nur echte Könner. Doch wie wird man das?
„Ich habe das Intubieren an den Kindern gelernt“, weiß Oberarzt Lippke. „Und so bringe ich es auch heute noch den Assistenzärzten bei.“ Das bedeutet also, dass der Ärzte-Nachwuchs zunächst bei den alten Hasen zusieht, bis er sich es selbst zutraut und es dann unter Aufsicht eines erfahrenen Oberarztes tatsächlich an einem Kind selbst versucht. Irgendwann, wenn er bei den größeren Kindern Erfahrung gesammelt hat, kann dann auch mal ein Frühchen intubiert werden. „Auch da ist es dann halt irgendwann das erste Mal für einen Arzt“, so Lippke. Zwar gibt es auch heute schon eine Puppe, die Nasenlöcher, Rachenraum und Luftröhre hat. „Aber an der schaffen auch Sie es, einwandfrei zu intubieren“, schmunzelt der Oberarzt. Sie ist in der Tat eine Puppe und wenig realistisch.
Oberarzt Samuel Lippke kontrolliert beim kleinen Ata durch Abhören, ob der Tubus richtig vor den Lungenflügeln sitzt. Foto: BK/Andreas Stumpf
Foto:
2
Puppe „Paul“ simuliert alle denkbaren Komplikationen
Bei „Paul“ ist das anders. Er ist zwar auch eine Puppe, aber eine, die einem 1000 Gramm leichten Frühchen täuschend ähnlich ist. Das fängt beim Aussehen an, es schimmern die Adern wie durch eine echte, dünne Haut hindurch. Wenn die Sauerstoff-Versorgung nicht funktioniert, läuft „Paul“ auch erschreckend blau an. Vor allem aber steckt sehr viel Hightech im Innern. Diese Technik wird von einem Trainer am Laptop gesteuert. Er kann dabei auch alle denkbaren Komplikationen oder Notfälle simulieren, auf die dann vom Team an „Paul“ zu reagieren ist. So lassen sich auch besonders brenzlige Situationen üben.
IHRE SPENDE
Die Wormser Zeitung sammelt in diesem Jahr bei ihrer „Leser helfen“-Aktion Spenden für die Frühchenstation der Kinderklinik.
Ihre Spende erbitten wir an:
Empfänger: Leser helfen
IBAN: DE07 5504 0022 0 210 4057 00
BIC: COBADEFFXXX
Kreditinstitut: Commerzbank Mainz
Verwendungszweck: Projekt 12 (bitte unbedingt angeben)
Spendenquittungen erfolgen bei einem Betrag über 200 Euro automatisch, wenn die Adresse angegeben ist.
„Das funktioniert hervorragend“, kann Oberarzt Samuel Lippke berichten, denn er hatte schon Gelegenheit, „Paul“ zu testen. Die Neonatologen sind sehr gut vernetzt, deshalb kannte er Dr. Jens-Christian Schwindt in Wien schon länger und wusste von der Idee für „Paul“. Das genau sei nämlich das Geheimnis. Der „Erfinder“ ist nicht etwa ein Experte für Puppen, sondern auch Neonatologe, also Kinderarzt mit Schwerpunkt Neugeborene. Deshalb wusste er aus eigener Erfahrung, wie wichtig eine Trainingsmöglichkeit ist. Damit war aber der Ansatz zur „Schaffung“ von „Paul“ ein ganz besonderer. Es war nicht die Frage, was kann die heutige Technik alles in eine Puppe einbauen, sondern es war klar, was diese Puppe können muss, und für die Umsetzung wurden die Techniken gesucht oder erarbeitet. Deshalb ist „Paul“ genau so geworden, wie ihn die Neonatologen wollten und brauchen. Dass eine solch hochwertige Technik nicht günstig ist, liegt auf der Hand: „Paul“ kostet 50 000 Euro.
Der Bedarf sei in den vergangenen Jahren sehr gewachsen, sagt Samuel Lippke. Als Assistenzarzt habe er selbst noch mehr intubiert, war also in Übung. Das war allerdings zu einer Zeit, als man speziell bei Frühchen noch stets „auf der sicheren Seite“ sein wollte und deshalb viel häufiger gleich zum Tubus griff. Heute dagegen wird so wenig wie möglich eingegriffen, die Erfahrung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass sich Frühchen meist auch so gut entwickeln, wenn es keine Komplikationen gibt. Samuel Lippke drückt das so aus: „Die Frühchen haben auch einen Anspruch darauf, sich selbst entwickeln zu dürfen.“ Aus dieser Prämisse heraus ergibt sich zwangsläufig, dass weniger intubiert wird und damit auch weniger Ärzte überhaupt intubieren. Das könnte und sollte sich mit „Paul“ ändern, dann könnte eben regelmäßig trainiert werden.
Natürlich nicht nur intubieren. Auch das Legen eines Zugangs oder eines Nabelvenenkatheters kann mit und an „Paul“ geübt werden. Gerade bei Frühchen werden Katheter durch den Nabel gelegt, was aber wiederum nur „Könner“ machen dürfen. Für diese Technik gibt es noch gar keine Puppe, nicht einmal eine ganz einfache. Dabei gilt in der Medizin selbstverständlich auch, was der Volksmund nur zu gut weiß: Übung macht den Meister.