WORMS/WIESBADEN - „Jamaika“, Schulz und Marcus Held – im Interview bezieht Professor Jürgen W. Falter, Politikwissenschaftler an der Universität Mainz, Stellung.
Was war für Sie am Sonntag die größte Überraschung?
Ich hätte nicht gedacht, dass der Abstieg der CDU so gravierend sein würde. Die größte Überraschung war dabei der Elf-Prozentpunkte-Verlust der CSU. Sie ist einen Spagat-Kurs gefahren, hat einerseits Stärke markiert, war aber bundesweit voll auf Merkel-Linie. Dadurch ist sie völlig unglaubwürdig geworden.
Ein Fehler, wie Julia Klöckner ihn vor der Landtagswahl in ähnlicher Form begangen hat?
Da sehe ich in der Tat eine starke Parallele. Wenn man eine bestimmte Lösung für richtig hält, sollte man diese durchhalten und sich nicht zu sehr anzupassen versuchen.
Wird Martin Schulz die Haltung, nicht in eine Große Koalition einzutreten, durchhalten können?
Die SPD wird in einen starken Zwiespalt kommen. Womöglich ist die Lösung, ein Minderheiten-Kabinett Merkel mitzutragen. Die SPD ist eine sehr staatstragende Partei, sie bekäme Probleme, wenn sie Neuwahlen erzwingt. Martin Schulz fährt eine Verzweiflungsstrategie. Aber er hat eine Stimmung in der Partei aufgegriffen, was auch notwendig war, da er um das politische Überleben kämpft. Auch der Coup, Andrea Nahles zur Fraktionsvorsitzenden zu machen, vermutlich um Sigmar Gabriel zu verhindern, dient diesem Zweck.
Aber Schulz und Gabriel sind doch gute Freunde...
Wirklich gute Freundschaften gibt es in der Politik nur über Parteigrenzen hinweg.
Eine krachende Niederlage hat Marcus Held erlitten. Was hätte er anders machen können?
Das Ergebnis war zu erwarten, da er von einer doppelten Welle weggeschwemmt wurde – dem Bundestrend sowie der Negativ-Presse über seine Person. Er hätte als reuiger Sünder auftreten können. Wenn er gesagt hätte „Ja, ich habe Fehler gemacht – in dem festen Glauben, meiner Stadt Gutes zu tun“, wäre ihm wohl eher verziehen worden.
Die rheinland-pfälzische CDU hat mit 35,9 Prozent das beste Ergebnis auf Bundesland-Ebene geholt. Warum?
Da ist ihr vielleicht die Oppositionsrolle gut bekommen, sodass sie sich einen gewissen Frust über die Landeskoalition zunutze machen konnte. Aber mit 7,4 Prozent war der Rückgang ähnlich wie im Bund. Insofern gibt es keinen Grund, auf irgendwas stolz zu sein.
Welche Chance geben Sie einer „Jamaika“-Koalition?
Das wird außerordentlich schwierig. Selbst wenn man sich zusammenraufen würde, besteht immer die Gefahr, dass das Bündnis an einer Frage, die nicht im Koalitionsvertrag geregelt ist, platzt. Es würde in jedem Fall eine deutlich instabilere Koalition, als wir sie bislang hatten.
Die CSU will im Wettstreit mit der AfD ihre rechte Flanke sichern und 2018 eine Landtagswahl gewinnen. Da wird sie es sich kaum erlauben können, weit auf die Grünen zuzugehen.
Sie sagen es. Die CSU wird alles tun und zur Not auch eine Koalition platzen lassen, um in Bayern Staatspartei zu bleiben – das ist ihr Lebenselixier.
Also stehen unruhige Zeiten bevor...
Koalitionspolitisch unruhig, aber das heißt nicht, dass die BRD in die Anarchie trudelt. Vorgezogene Wahlen oder eine Minderheitenregierung halte ich für denkbar.
Das Interview führte Torben Schröder.