Gedenkstunde für deportierte Wormser Sinti und Roma
Folter, Terror, grausame medizinische Experimente, Zwangsarbeit: Die Nazis haben systematisch Völkermord betrieben. Mit einer Kranzniederlegung wurde daran erinnert.
Von Ulrike Schäfer
Gedenken am antifaschistischen Mahnmal (v.l.): Carlo Riva, Stefan Köcher, Anita Schmitt und Julian Harm, der sich wissenschaftlich mit der Deportation beschäftigt.
(Foto: BilderKartell/Boris Korpak)
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WORMS - In diesem Jahr sind es 80 Jahre her, dass die von den Nationalsozialisten von langer Hand geplante Deportation von Sinti und Roma in die Vernichtungslager des Ostens begann. In der Nacht vom 15. auf den 16. Mai 1940 wurden 61 Wormser, dazu zehn Besucher, aus ihren Häusern geholt und durch die Siegfriedstraße zum Güterbahnhof geführt. In Zügen der Reichsbahn wurden die verängstigten Menschen mit vielen anderen Sinti und Roma aus der Region ins Sammellager Hohenasperg bei Ludwigsburg gebracht und von dort aus in Ghettos und Konzentrationslager in das von den Nationalsozialisten besetzte Polen deportiert. Folter, Terror, grausame medizinische Experimente, Zwangsarbeit bei völlig unzureichender Ernährung, katastrophale hygienische Bedingungen erwarteten sie. Nur die Hälfte der Wormser Sinti kam in die Heimat zurück, weder der zwei Monate alte Willi Winterstein, noch seine zwei Jahre alte Schwester Hildegard. Auch der 60-jährige Ludwig Georg aus Pfeddersheim überlebte die Strapazen nicht.
Kranzniederlegung am Mahnmal im kleinsten Kreis
Mit Kranzniederlegungen in verschiedenen rheinland-pfälzischen Städten erinnerte der Landesverband Deutsche Sinti und Roma am Samstag an dieses zutiefst bedrückende Datum, so auch in Worms am Mahnmal für die Opfer des Faschismus. Wegen der Infektionsgefahr durch das Coronavirus wurde die Gedenkfeier in kleinstem Kreis begangen. Neben Stefan Köcher, letzter Wormser Überlebender dieser Deportation, seiner Lebensgefährtin Anita Schmitt und zwei seiner Töchter, nahm auch Stadtratsmitglied Carlo Riva (SPD) teil, dem das Schicksal der Wormser Sinti schon lange am Herzen liegt. Er war es, der 2015 eine erste öffentliche Gedenkfeier in Worms angeregt hatte. In Vertretung von Jacques Delfeld, Vorsitzender des Landesverbandes, der aus gesundheitlichen Gründen nicht anwesend sein konnte, legte Riva ein Gebinde aus weißen Lilien nieder und sprach ein Gebet. Dabei gedachte er der Menschen, die so viel hatten erleiden müssen und immer noch leiden. Denn die Diskriminierung hat bis heute nicht aufgehört, wie eine der anwesenden Sintezas erzählte. Noch immer werde man gelegentlich als Zigeuner beschimpft, mit Vorurteilen konfrontiert, habe es schwer, eine Anstellung oder eine Wohnung zu finden. Vom Hass im Internet ganz zu schweigen.
Stefan „Männi“ Köcher, heute 84 Jahre alt, hat mit seiner Mutter und der Großmutter die Schrecken von Hohenasperg als Vierjähriger durchlebt, während sein leiblicher Vater als Soldat im Einsatz war. Dass dem Jungen eine zweite Deportation, dieses Mal nach Buchenwald, erspart blieb, ist Franz Köcher zu verdanken, der die ledige Mutter heiratete und den Jungen adoptierte. Nur knapp sei er dadurch auch der Sterilisation entgangen.
Erst 1982, nach intensiver Aufklärungsarbeit, wurde der Porajmos, der Völkermord an den Sinti und Roma, offiziell anerkannt. Auch Stefans Onkel, Anton Steinbach, der in neun verschiedenen Lagern interniert gewesen war, führte jahrelang einen vergeblichen Kampf, bis er durchsetzen konnte, dass am ehemaligen Wormser Gestapogefängnis (Hochschule), wo er und andere festgehalten und verhört worden waren, eine Gedenktafel angebracht und auf dem Friedhof Hochheimer Höhe ein Mahnmal errichtet wurde.
Der zentrale Mahn- und Gedenkort am Wormser Güterbahnhof, der an die Deportationen von Sinti und Juden erinnern soll, wurde immer noch nicht verwirklicht.