„Freiheit ist mein Gott – Frankreich mein Vaterland“
Im Buch „Die Mainzer Republik und ihre Bedeutung für die parlamentarische Demokratie in Deutschland“ widmet Volker Gallé einen Beitrag zur Situation der Jahre 1792/93 in Worms.
Von Claudia Wößner
Redaktionsleitung Rheinhessen Süd
Die Franzosen sind weg. Der Freiheitsbaum muss wieder verschwinden.
(Foto: NA Verlag/Stadtarchiv Worms)
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WORMS - Was ihm die Französische Revolution und deren Ideen bedeuten, macht der Mann in einem Brief deutlich. Jeden Tag spiele er die Marseillaise, die Freiheitshymne, auf Flöte oder Geige. Dieser „widerspenstige Gefangene“, der zunächst in der Festung Ehrenbreitstein in Haft sitzt und dann in der kurmainzischen Festung Petersberg in Erfurt, heißt Stephan von Lewer (1758-1835). Er ist seit 1787 der Syndikus und Amtmann des Andreasstifts. Und vor allem ist er ein führender Wormser Jakobiner.
Wir sind in der Zeit nach der Französischen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts. 1793 wird in Mainz die erste Republik auf deutschem Boden ausgerufen. Sie besteht nur neun Monate, gilt aber als Wurzel der Demokratie in Deutschland. Im viel beachteten Buch „Die Mainzer Republik und ihre Bedeutung für die parlamentarische Demokratie in Deutschland“ beschäftigen sich Forscher mit dem ersten Demokratieversuch auf deutschem Boden. Volker Gallé, langjähriger Kulturkoordinator der Stadt Worms, richtet in dem Band – der erste der Reihe „Mainzer Beiträge zur Demokratiegeschichte“ – das Schlaglicht auf die Wormser Freiheitsdebatte 1792/93, ihre Vorgeschichte und ihre Folgen. „Freiheit ist mein Gott – Frankreich mein Vaterland“ lautet der Titel des 20-seitigen Beitrags. Von Freiheit als Gott und Frankreich als Vaterland ist in einem Brief Stephan von Lewers die Rede. Es ist der 18. September 1794. Und in einem Brief, den Gallé zitiert, schreibt Lewer an den Hofrat Boller: „Freiheit ist mein Gott – Frankreich mein Vaterland, der Tempel der Gottheit – Freiheit oder Tod, mein heiliger Eid, den ich dem Allmächtigen vor dem Altar der Vernunft geschworen habe.“ Da ist jemand erkennbar durchdrungen von dieser neuen Idee der Freiheit, bei der alle die gleichen Bürgerrechte haben. Lewer, der aus einer Mainzer Familie stammt, die zum Katholizismus konvertiert ist, gilt als radikaler Aufklärer. Er und andere in Erfurt inhaftierten Jakobiner werden Anfang 1795 nach einem Austausch gegen französische Geiseln nach Basel gebracht. Als Worms in der Zeit von Oktober 1794 bis November 1795 erneut französisch besetzt war, übernahm Lewer wieder Verwaltungsfunktionen.
So schildert es Volker Gallé detailreich. Lewer ist dabei nur ein Protagonist von vielen, die der Autor aus der Zeit einführt, in der Worms von den Wirren der Französischen Revolution und deren Folgen erfasst wurde und in der sich die Jakobiner und deren Gegner gegenüberstanden. Die französische Armee besetzte Worms im Oktober 1792. Anhänger der Revolution pflanzten einen Freiheitsbaum. Am 31. März 1793 zogen die Franzosen wieder ab. Schon am Nachmittag, berichtet Gallé, feierten an diesem Tag viele Wormser den Einzug der Preußen. Der Freiheitsbaum musste in der Folge wieder verschwinden. „Volker Gallé zeigt, dass trotz heftiger interner Konflikte zwischen Rat und Zünften die meisten Lutheraner für die alte Freiheit, die Minderheiten der Katholiken und Reformierten sowie eine Gruppe aufgeklärter Lutheraner für die neue Freiheit plädierten“, schreibt Professor Dr. Michael Matheus, Vorsitzender des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Johannes Gutenberg-Universität. Männer wie Lewer waren klar für die neue Freiheit und spielten die Marseillaise. Selbst in Haft.
DAS WERK
Hans Berkessel, Michael Matheus, Kai-Michael Sprenger (Hrsg.): „Die Mainzer Republik und ihre Bedeutung für die parlamentarische Demokratie in Deutschland“, 228 Seiten, 119 Abbildungen, ISBN: 978-3-96176-072-5, Nünnerich-Asmus Verlag (NA Verlag), 29 Euro (Mainzer Beiträge zur Demokratiegeschichte, Band 1, herausgegeben vom Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in Verbindung mit dem Landtag und der Landeszentrale für politische Bildung).