Ensemble Paulinum und Barockorchester Pulchra Musica wühlen mit Johannes-Passion von Bach in Wormser Pauluskirche auf
Von Ulrike Schäfer
Das Ensemble Paulinum, verstärkt um zusätzliche Solisten, und das Barockorchester Pulchra Musica begeisterten in der Pauluskirche. Foto: photoagenten/Alessandro Balzarin
( Foto: photoagenten/Alessandro Balzarin)
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WORMS - Zum zweiten Mal hängt während der Passionszeit das „Ecce homo“-Fastentuch von Klaus Krier im Chor der Pauluskirche. Und so lag es nahe, dass hier auch die sonst eher selten zu hörende Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach zur Aufführung kommen musste. Denn nur bei Johannes (19,5) appelliert Pilatus an die Barmherzigkeit der Juden, indem er ihnen den geschundenen und verhöhnten Jesus zeigt: „Sehet, welch ein Mensch!“
Unter Leitung von Christian Bonath gelang es am Sonntagnachmittag dem Ensemble Paulinum, verstärkt um zusätzliche Solisten, und dem Barockorchester Pulchra Musica, die ganze Kraft dieses am 7. April 1724 in der Nikolaikirche zu Leipzig uraufgeführten Werkes nicht nur musikalisch, sondern auch theologisch voll zu entfalten.
Das Oratorium beginnt in dieser Fassung mit dem Choral „O Mensch, bewein dein’ Sünde groß“. Damit ist das Thema vorgegeben: Der Gottessohn muss leiden und sterben, damit die sündige Menschheit gerettet wird. Wie bewusst Jesus laut Johannes den Willen Gottes erfüllt, zeigt schon die Gefangennahme im Garten Gethsemane. Bassist Johannes Hill brachte diese souveräne Festigkeit ausgezeichnet zum Ausdruck. Man verstand, warum Pilatus (überzeugend: Stephan Wernersbach) diesen Jesus unbedingt retten will. Es ist alles andere als Mitleid. Vielmehr gehört der römische Präfekt zu denen, die eine Ahnung vom Wesen dieses Gefangenen haben: „Wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme“. Hill vermochte aber auch berührend die Fürsorge für Jesu Mutter und den Lieblingsjünger darzustellen, das Leiden am Kreuz bis hin zu dem zentralen Satz: „Es ist vollbracht“, Gottes Heilsplan ist erfüllt.
BESETZUNG
Sopran: Sandra Ehses (Solo), Friderike Martens, Lena Sefrin, Miriam Winkler
Alt: Jina Oh (Solo), Hedi Killick, Ina Windecker
Tenor: Andreas Karasiak (Solo), Christian Knatz, der auch die ausgezeichnete Einführung schrieb, Peter Münch, Daniel Stadtherr OP
Bass: Johannes Hill (Solo), Stephan Wernersbach, Johannes Mohrdiek, Philipp Peters, Henrik Schlitt
Violine I: Emanuele Breda, Violine II: Olga Nodel, Viola: Fancesca Venturi Ferriolo, Violine/Viola da Gamba: Ichiro Noda, Violoncello: Katharina Schmitt, Oboe I/Oboe da caccia: Elisabeth Wagner, Oboe II: Angela Knapp, Flöte I: Lorenzo Gabriele, Flöte II: Marija Milosavljevic, Orgel: Olaf Jocksch
Solistenchor vermittelt Hass und Glaubensgewissheit
Beeindruckend gestaltete der Bassist auch die aufwühlende Arie mit Sopran („Himmel reiße“) und die Arie mit Chor („Mein teurer Heiland“), in der der Fragende sich der Heilstat Jesu bewusst wird. Sehr viel mehr Text als Jesus hat der Evangelist, denn er erzählt die ganze Geschichte, wie sie im Neuen Testament zu lesen ist; er ist die tragende Säule dieses Oratoriums. Der Tenor Andreas Karasiak, der wie Hill eine beeindruckende musikalische Karriere vorzuweisen hat, machte noch viel mehr daraus. Er akzentuierte die Rezitative auf ungewohnte Weise, unterstrich, ja kommentierte, war also ein engagierter Erzähler wie Johannes auch. Herausragend waren die Szenen, in denen Petrus Jesus verleugnet und die anschließende Arie „Zerschmettert mich“, in der Scham und Verzweiflung den Jünger überwältigen. Karasiaks makellose Stimme begeisterte auch in den übrigen Tenor-Arien. Die Frauensoli kommen in der Johannespassion seltener zum Zug. Der schlanke, jugendliche Sopran von Sandra Ehses war mit zwei Arien zu hören. Einfühlsam gestaltete sie vor allem die Trauer über den Tod Jesu („Zerfließe, mein Herz“). Jina Oh gab die zutiefst zerknirschte Sünderin („Von den Stricken“) und vereinte in der Arie „Es ist vollbracht“ dumpfen Schmerz mit der jubelnden Erkenntnis, dass der „Held aus Juda“ siegt.
Dem ausgezeichneten Solistenchor kam eine zweifache Rolle zu. Zum einen gab er das Volk, beziehungsweise die Hohepriester, aufgebracht, gehässig, unerbittlich – man ahnt, welche Wirkung diese Szenen auf die Zuhörer haben mussten –, zum anderen sang er die eingestreuten Choräle, die in ihrer Schlichtheit Ruhe und Glaubensgewissheit vermitteln. Obwohl der Chor nur aus insgesamt 15 Sängern und Sängerinnen bestand, wie es wohl der Aufführungspraxis zur Zeit von Bach entspricht, vermittelte er eine mitreißende Kraft und Fülle, hervorragend ergänzt vom harmonischen Klang der historischen Instrumente.
Christian Bonath führte Chor und Orchester mit der gewohnten Dynamik und arbeitete dabei die überragende Qualität und Faszination der Bach’schen Komposition bis in feinste Details hörbar heraus. Mit stehendem Applaus feierten die vielen Zuhörer die großartige Leistung als ganz besonderes Erlebnis in vorösterlicher Zeit.