Vor 100 Jahren wurden vier Frauen in den Stadtrat gewählt. Um das Frauenwahlrecht und die Folgen bis heute drehte sich ein knackiger frauenpolitischer Arbeit.
Von Ulrike Schäfer
Gleichstellungsbeauftragte Melanie Schiedhelm lieferte Zitate von Männern, die ihre Macht nur ungern teilten.
(Foto: BK/Stumpf)
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WORMS - Als die deutschen Frauen am 19. Januar 1919 zum ersten Mal wählen durften und auch reichlich Gebrauch davon machten, fand dies in der Wormser Presse kaum Widerhall. Nach 100 Jahren ist das glücklicherweise anders, vor allem deshalb, weil die Gleichstellungsstelle in Kooperation mit dem Stadtarchiv und der Landeszentrale für politische Bildung für Donnerstag einen knackigen frauenpolitischen Abend unter dem Titel „Sind Frauen demokratischer?“ organisiert hatte. Viele Besucherinnen und auch Besucher hatten sich im Kulturzentrum eingefunden; das Jazz-Ensemble „Get it“ der Musikschule unter Leitung von Gary Fuhrmann sorgte für beste musikalische Unterhaltung; es gab Häppchen und Getränke und als Präsent eine unübersehbare Stofftasche in Pink mit der Aufschrift: „Demokratie braucht Frauen“.
Politik wird auch auf der Straße gemacht
Die Historikerin Katharina Gernegroß, Mitarbeiterin des Stadtarchivs, zeigte in einem detailreichen Vortrag, was die deutschen Frauen seit Beginn der ersten emanzipatorischen Bestrebungen alles erreichten. Sie berichtete insbesondere über den Zugang von Wormser Mädchen und Frauen zur Bildung, über erste Hilfsvereine bis hin zu politischen Frauenvereinigungen. Auch einen Verein, der sich für das Frauenwahlrecht stark machte, gab es. Bei der ersten Kommunalwahl am 9. November 1919 zogen vier Frauen in den Stadtrat ein: Maria Heidenhain (DVP), Gertrude Walter (Zentrum), Mathilde Geiger (DPD) und Elisabeth Mengel (SPD). Schon damals war aber auch die Frage akut, wie man mehr Frauen für die Politik begeistern könne.
Eine Frage, die sich heute noch stellt. Denn wie auch Oberbürgermeister Michael Kissel bei der Begrüßung im Foyer des Kulturzentrums erwähnte, sind immer noch nicht genügend Frauen in politischen Gremien und Spitzenfunktionen vertreten. Melanie Schiedhelm, die sich mit Jasmine Olbort die Gleichstellungsstelle teilt, ging dem Phänomen heiter auf die Spur und lieferte köstliche Zitate von Abgeordneten, die das Teilen der Macht mit Frauen nur schlecht hatten verdauen können.
Mit Spannung wurde dann das Streitgespräch zwischen der Politikwissenschaftlerin und Journalistin Antje Schrupp, Frankfurt, und Judith Rahner, Leiterin der Fachstelle Gender bei der Amadeu Antonio Stiftung Berlin, erwartet. Moderatorin Johannah Illgner wollte von den beiden wissen, ob Frauen demokratischer sind. Wenn dies im Verlauf der Diskussion auch nicht zweifelsfrei bestätigt wurde, so durften die Zuhörerinnen doch einige anregende Gedanken mit nach Hause nehmen.
Natürlich waren sich die beiden Diskutantinnen darüber einig, dass die Gleichberechtigung dank immer noch existenter, wenn auch subtilerer Verhinderungsmechanismen bisher nicht erreicht ist. Vor diesem Hintergrund fanden sie die Einführung der Frauenquote richtig. Schrupp allerdings vertrat die Meinung, dass sie nicht zu einer Veränderung der bestehenden Strukturen beigetragen habe. Wenn schon Quote, meinte sie lächelnd, wäre ihr eine Feministinnenquote lieber, denn zehn Prozent Feministinnen seien effektiver als 50 Prozent Frauen, denen es genüge, einfach nur dabei sein zu dürfen. Es brauche Menschen mit Gestaltungswillen, stimmte Rahner zu. Politik müsse aber keineswegs nur in Parteien stattfinden, sagte Schrupp. „Politik wird auch auf der Straße gemacht.“ Und: „Politisch ist, wer sich engagiert, um etwas zu verändern, nicht nur für sich, sondern auch für andere.“ Was man von den Frauen der ersten Stunde lernen könne, wollte Johannah Illgner abschließend wissen. „Dass man nichts geschenkt kriegt“, meinte Judith Rahner. „Wir leben in Zeiten, wo’s wieder rückwärts geht. Darum müssen wir sehr wachsam sein!“ Antje Schrupp empfahl: „Habt keine Angst vor Konflikten. Man macht sich immer unbeliebt, wenn man Veränderungen anstrebt.“ Hoffnung mache ihr, dass derzeit weltweit die Frauen auf die Straßen gehen. „Sie sind quasi eine Dachorganisation für liberale, linke Politik.“