Bei Gedenkgottesdienst in Wormser Lutherkirche wird mit Fotos aus Höcker-Album an Gräuel von Auschwitz erinnert
Von Ulrike Schäfer
Carola Martin ging auf Fotos ein, die einerseits die Angst der Opfer zeigen, andererseits die Freizeitgestaltung der KZ-Bewacher und ihrer Gäste. Foto: photoagenten/Christine Dirigo
( Foto: photoagenten/Christine Dirigo)
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WORMS - Schon seit Jahren ist Carola Martin ganz wesentlich an der Gestaltung des Gedenktags für die Opfer des Faschismus in der Lutherkirche beteiligt. Immer wieder ist sie dabei auf der Suche nach neuen Themen und Denkansätzen, um die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verblendungen und Gräueltaten wach zu halten. In diesem Jahr stieß sie nun auf ein Dokument, das sie besonders erschütterte. Es handelt sich um das sogenannte Höcker-Album mit dem Titel „Auschwitz durch die Linse der SS“, das erst 2006 dem United States Holocaust Memorial Museum übergeben wurde, dem Holocaust-Gedenkmuseum der USA in der Hauptstadt Washington D.C.
Es entpuppte sich als Sensation, denn es enthält 116 Privatfotos von Karl Höcker, der der Adjutant des letzten Lagerkommandanten von Auschwitz, Richard Baer, war. Zu sehen ist das Lagerpersonal, teilweise auch mit Besuchern, bei der Jagd, bei Schießübungen, bei Freizeitaktivitäten, darunter auch Richard Baer, Rudolf Höß, Josef Kramer, Franz Hößler, Otto Moll und Josef Mengele.
Die Fotos zeigen, dass die SS-Größen sich ganz offensichtlich entspannten und amüsierten, während im Zuge der Ungarn-Aktion von Mai bis Juli 1944 rund 438 000 ungarische Juden nach Auschwitz deportiert wurden und in den Gaskammern starben. Das bewegte Carola Martin ganz besonders. Sie hatte ihre kurzen, aber eindringlichen Texte mit dem biblischen Zitat: „Kain, wo ist dein Bruder Abel?“ verknüpft. Diese Frage, die Enkel Alexander mit weißen Buchstaben auf schwarzem Untergrund geschrieben hatte, zog während des Gottesdiensts immer wieder die Aufmerksamkeit der leider nicht allzu vielen Zuhörer und Zuhörerinnen auf sich.
Zunächst hatte Carola Martin drei Fotos ausgewählt, die die ankommenden Menschen auf dem Bahnsteig zeigen, „hilflos, verängstigt, verstört, getrennt von den Angehörigen, nicht wissend, was auf sie zukam“. Sie hatten keine Chance. Dem stellte Martin drei völlig andere Aufnahmen gegenüber: Leute, die sich in Liegestühlen räkeln und die Sonne genießen, lachende Offiziere und Helferinnen bei der Solahütte (Erholungsheim und Kasino für die SS-Bewachung), über deren Schreibtisch sämtliche Befehle gingen. Der Massenmörder Höcker zündet auf einem Bild höchst persönlich einen Tannenbaum für die Julfeiern an. Es sind keine Fotos, die etwas Schreckliches zeigen, aber gerade das macht sie so entsetzlich. „Man begreift die Gespaltenheit in den Köpfen dieser Menschen nicht“, sagte Martin.
Zwei Häftlinge, die kurz vor der Entdeckung des Lagers fliehen und der übrigen Welt von den Vorgängen in den Vernichtungslagern berichten konnten, gaben dann den Anlass dafür, dass Heinrich Himmler die noch verbliebenen Gaskammern sprengen ließ und 67 000 Menschen auf Todesmärsche Richtung Westen schickte. Viele überlebten diese Torturen nicht.
Kantor Christian Schmitt hatte passend zu den Texten und Fotos Stücke der ungarischen Komponisten Zoltán Kodály und Béla Bartók, die den Nationalsozialismus aufs Schärfste verurteilten, ausgewählt. In seiner Predigt über die Geschichte von Kain und Abel ging Pfarrer Jürgen Heigl auf die Arroganz der „Herrenmenschen“ ein, die sich anderen überlegen fühlten. Menschen, die nicht ihren Vorstellungen entsprachen, hielten sie für minderwertig und sich selbst für berechtigt, sie auszurotten. „Das ist nicht biblisch“, sagte Heigl. Dort werde der Gedanke dargestellt, dass alle Menschen miteinander verwandt sind. Immer sei es in der Thora auch eine Selbstverständlichkeit, dass man sich um Arme, Kranke, Alte, Flüchtlinge kümmere. Von daher beantwortete er Kains Frage: „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“, mit einem klaren Ja. Ohne Wenn und Aber.