Auf acht Seite nnimmt die Ortsgemeinde Guntersblum das Millionenprojekt auseinander. Man sei von der Notwendigkeit „nicht überzeugt“, einige Planungen findet man gar „grob fahrlässig“.
Von Ulrich Gerecke
Reporter Politikredaktion
Dezember 2017: Die SGD Süd hatte in die Eicher Altrheinhalle eingeladen, um über die Planungen zum Retentionsraum Eich-Guntersblum aufzuklären.
(Archivfoto: pa/Stumpf)
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EICH/GIMBSHEIM/GUNTERSBLUM - Das Schreiben aus dem Guntersblumer Rathaus ist acht Seiten lang, stammt vom 13. August und ist adressiert an das rheinland-pfälzische Umweltministerium, zu Händen Staatssekretär Thomas Griese. Das Fazit auf der letzten Seite lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Die Gemeinde Guntersblum meldet erhebliche Bedenken gegen den geplanten Reserveraum für Extremhochwasser an und ist von der Notwendigkeit und der Umweltverträglichkeit der Maßnahme nicht überzeugt.“ Unterschrift: Claudia Bläsius-Wirth, Ortsbürgermeisterin.
„Lange Diskussion, keine wirklichen Ergebnisse“
Guntersblum legt sich also quer gegen den vom Land geplanten Retentionsraum, umgangssprachlich zuweilen auch Polder genannt. Das Millionenprojekt ist keineswegs nur der Rathauschefin ein Dorn im Auge: Die Stellungnahme der Kommune wurde von der Projektgruppe Retentionsgruppe verfasst, die zweimal getagt hat. Die Ortsgemeinde hat zudem einen Rechtsanwalt beauftragt, der auch schon für die Nachbarkommunen Eich und Gimbsheim sowie die Verbandsgemeinde Eich tätig wurde, in denen der Polder ebenfalls höchst umstritten ist. 5000 Euro lässt sich Guntersblum den Rechtsbeistand kosten, man meint es also ernst. Zu einem ersten Gespräch, berichtete Bläsius-Wirth unlängst dem Ortsgemeinderat, sei man bereits bei Griese gewesen. „Es gab eine lange Diskussion, die keine wirklichen Ergebnisse brachte“, sagt die CDU-Politikerin. „Jetzt warten wir auf eine Antwort auf unsere Stellungnahme.“ Das Schreiben aus dem Leininger Schloss ist vor allem eine Liste von Planungsversäumnissen, die Guntersblum wittert. Zu vieles sei noch unausgegoren und nicht nachgewiesen, ist dort zu lesen. Ein Wirtschaftlichkeitsgutachten fehle, offenbar wolle das Land nur mit Modellrechnungen arbeiten, obwohl schon 1995 in einer Leitlinie formuliert wurde: „Der Schutzgewinn muss den Aufwand rechtfertigen.“
Völlig unklar sei, wie sich der Retentionsraum auf den Uferfiltratbrunnen mitsamt Trafostation auswirkt, der mitten im künftigen Flutgebiet liegt und zentraler Bestandteil der Wasserversorgung durch die wvr ist. Zudem liegt im avisierten Poldergebiet eine Bauschuttdeponie aus den 1950er Jahren und eine Naturkläranlage – keiner wisse, was im Ernstfall dort passieren würde.
SCHNELL, ABER NICHT SCHNELL GENUG?
Auch wenn Guntersblum als erste Ortsgemeinde eine offizielle Stellungnahme zum Retentionsraum abgegeben hat, ging es Dr. Gerhard Stärk (FWG) nicht flott genug. „Das Memorandum lag seit März vor, einen Großteil habe ich ja selbst geschrieben“, kritisierte der FWG-Politiker.
„Ich fühle mich ausgebeutet“, erklärte Stärk weiter. Deshalb erwäge er einen Austritt aus der Projektgruppe, den zwei andere Mitglieder schon vor einiger Zeit vollzogen hätten.
Zudem ist der Freie-Wähler-Vertreter überzeugt, die Ortsgemeinde hätte viel früher einen Rechtsbeistand hinzuziehen müssen. „Es ist unklar, ob unsere Kritikpunkte überhaupt justiziabel sind.“
Binnenentwässerung ignoriert: „Das ist grob fahrlässig“
Und so geht es weiter: Über geplante Ausgleichsflächen habe das Land noch nichts gesagt, verbindliche Entschädigungsregelungen seien bisher ebenso wenig definiert. Negative Auswirkungen des Polders auf die Binnenentwässerung hätten die Planer bisher komplett ignoriert: „Das ist grob fahrlässig.“ Ironischerweise habe aber das Land noch vor 15 Jahren Guntersblum aufgefordert, Flächen für eben jene Binnenentwässerung auszuweisen.
Dagegen könnte es zu erhöhter Frostgefahr in den Weinbergen kommen und damit der Pilzdruck steigen, befürchten die Verfasser weiter. „Es muss ausgeschlossen sein, dass der Bau des Retentionsraumes schadbringende Änderungen der Grundwasserstände mit sich bringt“, formuliert die Projektgruppe in ihrem Memorandum eine weitere Befürchtung. Dass in der Gemarkung das Wegenetz „willkürlich durchtrennt“ wird, erscheint da fast schon als kleines Übel.
Und das ist noch nicht einmal alles. Wie Bläsius-Wirth dem Rat mitteilte, werde der beauftragte Rechtsanwalt noch eine zweite Stellungnahme nachlegen, die sich nur auf die möglichen Probleme im Ortsteil Rhein konzentriert. Dort sind nicht nur Wohnhäuser und eine Gaststätte beheimatet, sondern auch ein Öko-Lehrpfad sowie eine Naturkläranlage, aus der bei einer Flutung Klärschlamm voller Schadstoffe ausgeschwemmt werden könnte.
Vor allem tritt Guntersblum dem Eindruck entgegen, den Griese im Dezember 2017 bei einer Veranstaltung in Eich erweckt habe: dass der Polder längst beschlossene Sache ist. „Tatsächlich besteht noch kein Baurecht. Mit dem Planfeststellungsverfahren wurde gerade erst begonnen.“ Deshalb seien auch juristische Einwendungen möglich. Die Ortsgemeinde Guntersblum scheint angesichts ihrer massiven Einwände durchaus willens, diesen Weg im Notfall zu gehen.