Verfassungsschützer warnen vor extremistischen Misch-Szenen

Ein Demonstrant steht bei einer Demo der rechtsextremen „Neue Stärke Partei“ (NSP) in Mainz zwischen zwei Polizisten.
© Andreas Arnold/dpa

Der Rechtsextremismus werde radikaler, gewaltbereiter und vielfältiger. Das sagt der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz. Ein besonderes Problem stellt dabei das Internet dar.

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Mainz. Die Verfassungsschützer in Rheinland-Pfalz haben hybride Attacken von außen und gefährliche extremistische Allianzen im Inland als die größten Gefahren für die Demokratie hierzulande ausgemacht. Bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2022 sagte Innenminister Michael Ebling (SPD) am Montag in Mainz: „Nichts hat die Sicherheitslage im Jahr 2022 so sehr beeinflusst wie der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine.“ Ebling und der Leiter der Abteilung Verfassungsschutz, Elmar May, warnten vor einer zunehmenden Radikalisierung und Gewaltbereitschaft im Rechtsextremismus, einer wachsenden Szene an sogenannten „Reichsbürgern“ und vor Misch-Szenen.

Spionage und Cyberangriffe aus dem Ausland - Bedrohung durch Russland

„Russland führt einen hybriden Krieg gegen die Ukraine“, sagte Ebling. Der Westen und vor allem die Nato-Staaten seien im Zuge dessen einer hybriden Bedrohung durch Russland ausgesetzt. Russische Nachrichtendienste und staatsnahe Akteure seien mit „hoher Intensität“ daran beteiligt. Die Bedrohung durch Spionage, Sabotage und Cyberangriffe habe deutlich zugenommen. Rheinland-Pfalz stelle als bedeutender Standort der Bundeswehr sowie der US-Streitkräfte ein potenzielles Ziel dar. Militärische Einrichtungen wie in Idar-Oberstein, in denen auch Angehörige ukrainischer Streitkräfte ausgebildet würden, seien mehrmals Ziel von Ausspäh-Aktionen gewesen. Eine russische Urheberschaft sei dabei naheliegend.

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„Misch-Szenen“, vereint in der Ablehnung gegenüber dem Staat

Ein Kennzeichen der jüngeren Vergangenheit: Inzwischen finden über das Internet Personen zueinander, die in der analogen Welt vermutlich nie zueinander gefunden hätten. Ebling nannte Rechtsextremisten, „Reichsbürger“ und Angehörige der sogenannten „Delegitimierer“-Szene, die sich zusammenschlössen. Zu Letzterer werden Menschen ohne eine besondere Ideologie gezählt, die den Staat ablehnen und seine Organe bekämpfen. Ein Beispiel sei die mutmaßlich terroristische Gruppierung „Vereinte Patrioten“. Offenbar sei hier Staatsfeindlichkeit das verbindende Element gewesen. Gegen vier Männer, von denen einer in Neustadt an der Weinstraße festgenommen worden war, und eine Frau läuft derzeit ein Verfahren vor dem Oberlandesgericht Koblenz. Die 75-Jährige war früher evangelische Religionslehrerin an einem Mainzer Gymnasium. Bei den Ermittlungen gegen die Gruppe spielte das rheinland-pfälzische Landeskriminalamt, das hierzu einen verdeckten Ermittler eingesetzt hatte, eine entscheidende Rolle.

Den Rechtsextremismus stufen die Verfassungsschützer als zunehmend radikal und gewaltbereit ein. Von den insgesamt 113 politisch motivierten Gewalttaten in Rheinland-Pfalz im Jahr 2022 (2021: 75) waren laut Innenministerium 49 rechtsextremistisch motiviert (2021: 38). Der Szene werden demnach rund 750 Personen zugeordnet (2021: 740), davon seien nach wie vor 150 gewaltorientiert. Ebling sagte, er unterstütze, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz die Jugendorganisation der AfD, die Junge Alternative, als gesichert rechtsextremistisch eingestuft hat. „Insofern wird sie auch in Rheinland-Pfalz beobachtet.“ Es habe in den vergangenen Jahren eine deutliche Radikalisierung gegeben, es sei ein klar völkisches Weltbild erkennbar.

„Reichsbürger“-Szene wächst kontinuierlich

Aus dem Spektrum der „Reichsbürger“ kamen nach Einschätzung der Verfassungsschützer sowohl Personen der „Vereinten Patrioten“ als auch welche aus der im Dezember 2022 zerschlagenen Gruppe um Heinrich Prinz Reuß aus Frankfurt. Die Szene ist in den zurückliegenden Jahren kontinuierlich gewachsen. Der Verfassungsschutz geht in Rheinland-Pfalz von von rund 950 sogenannten „Reichsbürgern“ aus (2021: 850), darunter etwa 140 Gewaltorientierte (2021: 100). 2018 seien die Zahlen mit 550 und 77 noch deutlich geringer gewesen. Damit sei das Personenpotenzial der „Reichsbürger“ in Rheinland-Pfalz das größte aller extremistischen Phänomenbereiche.

Michael Ebling Innenminister von Rheinland-Pfalz im Interview in seinem Büro.
Michael Ebling Innenminister von Rheinland-Pfalz im Interview in seinem Büro.
© Sascha Kopp
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Die heterogene Gruppe der „Delegetimierer“-Szene werde erst seit Frühjahr 2021 vom Verfassungsschutz beobachtet, sagte Ebling. „In der Zielsetzung, die Legitimität des Staates zu leugnen und die Demokratie systematisch zu untergraben“, gebe es eine große Übereinstimmung mit Rechtsextremisten und „Reichsbürgern“. Solche Delegitimierer hätten sich im vergangenen Jahr vermehrt bürgerlichen Protesten angeschlossen und hätten - allerdings erfolglos - versucht, diese zu instrumentalisieren.

Der Linksextremismus spielt nach Einschätzung von Ebling und May in Rheinland-Pfalz hingegen keine so große Rolle. Diesem Spektrum wurden 2022 rund 500 Menschen zugeordnet, 20 weniger als 2021. Gleich blieb die Zahl der vermuteten 120 Gewaltorientierten. Die Zahl der registrierten, linksextremistisch motivierten Straftaten sank von 140 im Jahr 2021 auf 79 im vergangenen Jahr, die der Gewalttaten stieg von vier 2021 auf acht im Jahr 2022. Man sehe derzeit keinen Einfluss von Linksextremisten auf die Klimaschutz-Bewegung in Rheinland-Pfalz, sagte Ebling.

Problem IS-Rückkehrer aus Krisengebieten

Darüber hinaus bleibe Deutschland weiterhin ein Ziel des dschihadistischen Terrorismus. Organisationen wie Al-Qaida oder der Islamische Staat (IS) versuchten, mit Online-Propaganda kleine Gruppen und Einzelpersonen zu Anschlägen zu motivieren. Die Zahl der Anhänger eines dschihadistischen beziehungsweise gewaltorientierten Salafismus schätzt der Verfassungsschutz im Land auf unverändert 65. Unverändert war 2022 auch die Zahl von 660 vom Verfassungsschutz registrierten Islamisten, darunter rund 240 Salafisten. Ein „Dauerproblem“ seien Rückkehrer aus Krisengebieten. Den Angaben zufolge kamen 2022 drei Anhängerinnen des IS mit ihren Kindern nach Rheinland-Pfalz zurück.

Von Christian Schultz und Christian Matz