Bademeister: „Eltern müssen sich der Gefahr bewusst sein“

Schwimmmeister wachen am Beckenrand, versuchen brenzlige Situationen zu unterbinden und schreiten ein, wenn es kritisch wird. Dennoch haben Eltern die Verantwortung für ihre Kinder – darauf weist im Ingelheimer Freibad auch ein Schild hin.  Foto: Thomas Schmidt
© Thomas Schmidt

Sommer, Sonne, Spaß – und plötzlich ein Kind leblos im Wasser. Die Gefahr ist real, sagt der erfahrene Ingelheimer Schwimmmeister Werner Federhenn – und wird dennoch unterschätzt.

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RHEINHESSEN. Mitte Juni ertrank ein Vierjähriger im Nieder-Olmer Freibad. Ein tragischer Einzelfall? Leider nicht: Vergangenen Sonntag erst musste eine Siebenjährige reanimiert werden, die bei einem Badeunfall im „Miramar“ in Weinheim fast gestorben ist. Über die tödliche Gefahr im Wasser, das manchmal zu sorglose Verhalten von Eltern und die Bedeutung des Schwimmunterrichts sprachen wir mit Werner Federhenn. Als Betriebsleiter der „Rheinwelle“ ist er für das Schwimmmeister-Team der Bäder in Gau-Algesheim, Ingelheim und Bingerbrück verantwortlich – und steht oft selbst am Beckenrand.

Herr Federhenn: Es ist schönstes Sommerwetter, im Freibad ist die Hölle los – und plötzlich wird ein Kind entdeckt, das leblos im Becken treibt. Ein Alptraum für jeden Schwimmmeister, oder? Absolut. Es ist das Allerschlimmste, was passieren kann. Für alle Beteiligten. Aber es ist der typische Badeunfall im Schwimmbad.

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Wie meinen Sie das? Zu mindestens 90 Prozent, oder eher noch mehr, sind es Kinder, die verunglücken. Besonders gefährdet sind sie ab dem Zeitpunkt, an dem sie laufen können, bis zu dem, an dem sie sicher schwimmen können. In dem Alter haben Kinder auch noch kein Gefahrenbewusstsein fürs Wasser – wenn sie Lust drauf haben, springen sie rein. Und, dass muss man ganz klar sagen: Sie tun nicht das, was ihnen die Eltern sagen.

Das heißt: Mutter oder Vater können ihrem Knirps hundertmal sagen – halt dich vom Schwimmerbecken fern... ...und wenn da was Spannendes passiert, läuft er trotzdem hin und hüpft vielleicht sogar rein. Dieser Gefahr müssen sich die Eltern zu hundert Prozent bewusst sein – und zwar zu jeder Zeit.

Nun könnten Eltern ja auch sagen. Soll doch der Schwimmmeister auf mein Kind aufpassen, ich zahl ja Eintritt. Geben die Leute die Verantwortung für ihren Nachwuchs an der Schwimmbadkasse ab? Diesen Eindruck könnte man immer wieder bekommen, leider. Aber Eltern haben immer die Verantwortung für ihre Kinder, auch am und im Wasser – sie müssen sich um ihre Sicherheit kümmern.

Und was ist mit dem Schwimmmeister? Das Aufsichtspersonal ist dazu da, um zu reagieren, wenn es zu kritischen Situationen kommt. Und Eltern haben die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass solche Situationen gar nicht erst entstehen. Wenn wir, Eltern und Aufsicht, zusammenarbeiten, bedeutet das größtmögliche Sicherheit für die Kinder. Vielleicht könnte man das so erklären: Sie haben in Ihrem Zuhause die Pflicht, dafür zu sorgen, dass in der Küche kein Feuer entsteht, indem sie den Herd abschalten. Wenn’s schiefgeht und doch brennt, kommt die Feuerwehr. Wir Schwimmmeister sind quasi die Feuerwehr.

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Zumal es ja utopisch sein dürfte, dass das Aufsichtspersonal zu jeder Zeit jedes Kind im Auge hat. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Nehmen wir einen richtig heißen Sommertag am Wochenende – in Spitzenzeiten werden da beispielsweise im Ingelheimer Freibad 3200 Besucher gezählt. Und zwei Schwimmmeister, die die Aufsicht haben.

Werner Federhenn, Betriebsleiter und Chef der Schwimmmeister in der Rheinwelle. Foto: Kirsten Strasser
Werner Federhenn, Betriebsleiter und Chef der Schwimmmeister in der Rheinwelle.
© Kirsten Strasser

Und ganz entspannt am Beckenrand stehen... Ja, das sieht so easy aus. Tatsächlich ist das ein Job, in dem man hochkonzentriert sein und das Geschehen ständig im Blick haben muss. Mal einen Kaffee trinken und in der Zeitung blättern, das geht gar nicht.

Sie sagten eben, sie schreiten ein, wenn es kritisch wird. Aber versuchen sie nicht auch, brenzlige Situationen zu unterbinden? Natürlich, wenn wir sie sehen und erkennen, machen wir das. Zum Beispiel, wenn ein Kind mit Schwimmflügeln alleine ins Schwimmerbecken steigen will, schreiten wir ein. Und wir schauen genau, ob Eltern dabei sind, die auf ihre Kinder aufpassen. Haben wir den Eindruck, dass dem nicht so ist, sprechen wir die Eltern an.

Und stoßen vermutlich nicht immer auf Verständnis. Leider nicht. Wenn jedoch gar keine Einsicht vorhanden ist, bitten wir die Leute, das Schwimmbad zu verlassen. Das ist durchaus schon vorgekommen.

Was ist, wenn Kinder ganz ohne erwachsene Begleitpersonen kommen? Haben wir, etwa aufgrund ihres jungen Alters, Zweifel, dass sie gut schwimmen können, lassen wir sie durchaus mal vorschwimmen. Und wenn dabei herauskommt, dass die keineswegs sichere Schwimmer sind, rufen wir die Eltern an, damit sie sie wieder abholen. Auch das kommt durchaus immer wieder mal vor.

Klingt nach Konfliktpotenzial – begegnen Besucher den Aufsichtspersonen heute noch respektvoll? Der Respekt nimmt ab. Mittlerweile beschäftigen wir daher auch zusätzlich Sicherheitspersonal.

Wie oft erleben Sie kritische Situationen, in denen Kinder gefährdet sind? Leider immer wieder. Neulich erst hatten wir den Fall, dass ein Sechsjähriger mit seinem kleinen Bruder zum Schwimmerbecken in den Sprungbereich lief. Dort hüpfte der Junge, der nicht schwimmen konnte, vom Einmeterbrett – während die Eltern am Planschbecken saßen. Den Kleinen konnten wir gerade noch daran hindern, hinterher zu springen, während wir den Großen rausfischten. Anderer Fall: Mutter befindet sich mit zwei Kindern in der Umkleide, als ihr Sohn, auch etwa sechs Jahre, auf die Toilette muss. Er darf gehen, doch statt schnurstracks wieder zurückzulaufen, macht er einen Abstecher zum Becken – und fällt rein. Auch ihn haben wir herausgeholt, und die Mutter hatte einen Riesenschrecken. Aber so schnell kann es gehen.

Wann ist ein Kind in Ihren Augen ein sicherer Schwimmer? Wenn es das Bronzene Schwimmabzeichen hat und 15 Minuten am Stück schwimmen kann. „Freischwimmer“ nannte man das früher.

Das „Seepferdchen“ reicht nicht? Nein, das ist eher ein Motivationsabzeichen, das dem Kind signalisiert: Sieh, das hast Du geschafft, jetzt lerne weiter!

Wann sollten Kinder überhaupt schwimmen lernen? Das ist natürlich individuell, aber fünf, sechs Jahre sind ein gutes Alter dafür.

Also nicht warten, bis das Kind in der dritten Klasse Grundschule Schwimmunterricht hat? Da sollte das Kind schon schwimmen können. Und hier sind die Eltern gefordert, sich um Kurse zu kümmern, aber auch mit ihrem Kind zu üben.

Gibt es überhaupt ein ausreichendes Angebot? Leider nicht. Wir haben zu wenige Wasserflächen, und Corona hat die Lage verschärft. Es gibt einen regelrechten Stau.

Empfehlen Sie Schwimmhilfen? Einige. Schwimmgürtel sind gefährlich, Flügel für keine Kinder dagegen eine gute Sache. Sie geben Auftrieb, halten den Kopf oben – und signalisieren auch dem Schwimmmeister, dass da ein kleiner Nichtschwimmer unterwegs ist. Aber auch wenn Kinder Schwimmflügel tragen, müssen sie stets unter Aufsicht sein. Daran geht kein Weg vorbei.

Schwimmmeister sind rar, der Fachkräftemangel macht auch den Bädern zu schaffen. Hat das Auswirkungen auf die Sicherheit? Nein. Können wir kein Aufsichtspersonal stellen, öffnen wir nicht – das praktizieren wir schon. Am bislang heißesten Tag in diesem Jahr hatte das Ingelheimer Freibad zu. Das ist dann halt so.

Bei der Riesenverantwortung, die Schwimmmeister tragen – ist es trotzdem ein schöner Beruf? Ja. Weil wir mit dafür sorgen, dass die Menschen Spaß haben, einen Mini-Urlaub genießen können. Und ganz persönlich: Es mag am Sternzeichen liegen, aber ohne Wasser könnte ich nicht leben.