Schon lange schwelen Konflikte am Staatstheater Wiesbaden. Instrumentalisiert Intendant Uwe Eric Laufenberg den jüdischen Musiker Ilia Jossifov im Kampf gegen Holger von Berg?
WIESBADEN. Was ein Generalmusikdirektor macht, dürfte allgemein bekannt sein: Er ist künstlerischer Leiter eines Orchesters und dirigiert. Was aber macht ein Orchesterdirektor? Unter anderem darüber scheint man sich am Staatstheater Wiesbaden derzeit gar nicht einig zu sein. Als neuer Orchesterdirektor ist dort seit 1. April 2022 der deutsch-israelische Musiker Ilia Jossifov engagiert.
Der Wunschkandidat des Intendanten Uwe Eric Laufenberg betont jetzt in einem halbstündigen Video-Interview mit der dem Kampf gegen Antisemitismus verpflichteten, in Frankfurt ansässigen Initiative „Honestly Concerned“ die künstlerische Seite der Tätigkeit. Er wollte in Wiesbaden aber auch „innovative Visionen“ für eine Reform der „Orchesterlandschaft“ vorstellen. Der Orchestervorstand hätte es wohl gerne eine Nummer kleiner und sieht einen Job mit administrativem Schwerpunkt, dem der Musiker ohne genauere Kenntnis des Tarifrechts kaum gewachsen sei. Auf der Homepage der Oper in der israelischen Metropole Tel Aviv ist Jossifov derzeit noch als „Music Librarian“ verzeichnet.
Musiker mit interessantem Lebenslauf
Dass der studierte Musiker, der als Chorsänger an Berlins Lindenoper und für die Bayreuther Festspiele gearbeitet hat und unter anderem als Filmmusik-Komponist hervorgetreten ist, einen interessanten Lebenslauf hat, steht außer Frage. Angesichts der bunten Biografie des mehrsprachigen Künstlers ist durchaus vorstellbar, dass der Intendant sich von seinem Wunschkandidaten auch Impulse jenseits des üblichen Anforderungsprofils versprochen hatte. Aber offenbar ohne hinreichende Abstimmung mit seinem Kollegium.
Seit die Zeitung „Bild“ publik gemacht hatte, dass der jüdische Musiker bei Gesprächen im Dienstzimmer Holger von Bergs mit einem künstlerisch verfremdeten Hakenkreuz-Plakatmotiv konfrontiert wurde, wird in diversen Medien und in dieser Zeitung über ihn berichtet. Im Raum stehen dabei Antisemitismus-Verdacht und Mobbing-Vorwürfe gegen Holger von Berg, der gemeinsam mit Laufenberg das Staatstheater leitet. Das „gemeinsam“ muss man allerdings in Anführungszeichen setzen: Der seit 1. April 2021 mit dieser Funktion beauftragte Theatermann steht mittlerweile in einem offenen Konflikt mit dem Intendanten als künstlerischem Leiter, der im Gespräch mit dieser Zeitung vom hessischen Kunstministerium sogar die Beurlaubung des Direktors gefordert hat. Das Ministerium betont, es habe vom Vorwurf des Antisemitismus gegen Holger von Berg erst Mitte Juli 2022 durch eine Mail des Intendanten an den zuständigen Abteilungsleiter im Ministerium und durch eine Mail Ilia Jossifovs an Uwe Becker, den Antisemitismusbeauftragten des Landes, erfahren.
Bei der Betrachtung dieser aktuellen Eskalation muss man aber auch berücksichtigen, dass Holger von Berg, dem aus München und Bayreuth der Ruf vorauseilte, ein kompetenter, aber im Umgang schwieriger Theatermann zu sein, vom hessischen Kunstministerium in einen schwelenden Dauerkonflikt hinein berufen wurde: Jahrelang war Laufenberg vor allem mit dem Orchester und dem Ex-Generalmusikdirektor (GMD) Patrick Lange im Streit etwa in Fragen der Disposition, der Abfolge von Proben und Vorstellungen, Arbeitsbelastung und Corona-Schutzmaßnahmen. Patrick Lange hat schließlich (als zweiter GMD in Laufenbergs Amtszeit) vorzeitig im Februar 2022 den Hut genommen.
Den unbequemen Holger von Berg, dessen Vorgänger Bernd Fülle altersbedingt ausgeschieden war, dachte sich das Ministerium wohl als Gegengewicht zum konfliktfreudigen Laufenberg, der das Ministerium mit einigen Eklats beschäftigt hatte. Angesichts dieser Vorgeschichte wird man auch ganz ohne die Hakenkreuz-Eskalation ein erhebliches Interesse Laufenbergs an Holger von Bergs Beurlaubung voraussetzen können, kann dem Intendanten aber auch nicht so einfach echte Empörung über die Erfahrungen seines Wunschkandidaten im Dienstzimmer des Direktors absprechen.
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Ilia Jossifov erzählt in dem Video-Interview von familiärer Traumatisierung im Holocaust. Holger von Berg hat mittlerweile über eine Medienanwältin mitgeteilt, dass er „bei allen Personen, die sich durch die Plakate verletzt gefühlt haben, aufrichtig um Entschuldigung“ bitte. Der Plakatentwurf sollte „dazu dienen, im Kontext der Bayreuther Festspiele die Erinnerung wach zu halten“. Laut hessischem Antisemitismusbeauftragten Uwe Becker geht es in dem Fall nicht um Antisemitismus, „sondern eher um Konflikte im zwischenmenschlichen Umgang.“ Inzwischen hat Jossifov aber auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes eingeschaltet, und Volker Beck vom mit Antisemitismusforschung befassten Institut „Tikvah“ hatte sich dieser Zeitung gegenüber deutlich kritischer als Uwe Becker zu dem Fall geäußert.
Bei dem mittlerweile abgehängten Plakatentwurf handelte es sich, wie berichtet, um Werbung für die „Diskurs“-Reihe, einem Rahmenprogramm der Bayreuther Festspiele, das 2017 der Aufarbeitung des Nationalsozialismus gewidmet war. Holger von Berg war vor seinem Wechsel nach Wiesbaden Geschäftsführer der Festspiele. Er habe sich damals für die Finanzierung der Reihe ausgesprochen, bestätigt Katharina Wagner im Gespräch mit dieser Zeitung. Sein Nachfolger Ulrich Jagels, betont die Festspielleiterin, setze diese Unterstützung fort. Der Geschäftsführende Direktor selbst bestätigt im Gespräch einen in der Frankfurter Allgemeinen (Ausgabe 19. August) zitierten, ihn entlastenden Mailtext, in dem ihm Jossifov am 23. Juni geschrieben habe: „Ich habe Ihnen nichts vorzuwerfen und dazu stehe ich!“
Widerspruch zu Jossifovs Äußerungen
Dieser Satz steht unter anderem im Widerspruch zu Jossifovs Äußerungen im halbstündigen Video-Interview, das der Aktivist Sacha Stawski Mitte August für seinen in Frankfurt ansässigen Verein „Honestly Concerned“ geführt hat. Es sei ihm in einer Mail vom 13. Juli an das Ministerium, Uwe Becker und den Zentralrat der Juden in Deutschland zwar nicht um „vorsätzlichen Antisemitismus“ gegangen, den er niemandem vorwerfen könne, aber um das „Mobben“, sagt Jossifov im Video. Holger von Berg habe seine Arbeit blockiert. Aus dem Interview kann man auch schließen, dass der Intendant Laufenberg dem Bewerber bereits eine Zusage gegeben hatte, ohne sich mit dem Geschäftsführenden Direktor abzustimmen. Das Orchester habe ihn „sehr, sehr warm aufgenommen“, erzählt Jossifov. Es gebe nur einen Teil des Orchesters, den Orchestervorstand, „der mit mir nicht per Du ist und mit mir nicht unbedingt arbeiten möchte“.
„Ohne den ehrenamtlichen Orchestervorstand, der ihm vom ersten Tag an zugearbeitet hat, wären er und sein Büro nicht funktionsfähig gewesen“, betont der Trompeter Martin Schneider zum Thema Zusammenarbeit. Bis zu den Theaterferien war er zusammen mit den noch amtierenden Vorständen Christine Seiler und Christoph Latzel mit dem Konflikt befasst war und ist nun im Ruhestand. Der Grund für die ablehnende Haltung des Vorstands gegenüber der Bewerbung sei mangelnde Erfahrung Jossifovs etwa im Tarifrecht gewesen. In der Stellenausschreibung vom August 2021 werden Kenntnisse in diesem Bereich als „wesentliche Grundvoraussetzung“ genannt.
Warum musste Jossifovs Vorgängerin gehen?
Etwa zu 90 Prozent administrativ seien die Aufgaben in dieser Position in Wiesbaden, sagt Schneider. Zu „typischen Tätigkeiten“ zählten etwa das kurzfristige, oft sehr zeitaufwendige Engagement von Aushilfen, um die Spielfähigkeit des Orchesters bei Krankheitsfällen sicherzustellen. Laut Ausschreibungstext geht es auch um die „finanzielle Steuerung des Orchesterbetriebs (…) in enger Abstimmung mit der Theaterleitung“.
Zu Jossifovs Bewerbungsgespräch mit Laufenberg sei der Orchestervorstand nicht eingeladen gewesen, obwohl das eine „Selbstverständlichkeit“ sei. Für den Ex-Vorstand ist offensichtlich, dass der Intendant den jüdischen Musiker im Kampf gegen Holger von Berg und das Staatsorchester instrumentalisiert. Holger von Berg sei weder Mobbing noch Antisemitismus vorzuwerfen, aber der Umgang mit dem Mitarbeiter sei wohl „unsensibel“ gewesen. Die nach Schneiders Darstellung im Kollegium beliebte Vorgängerin von Jossifov, Verena Rast, hatte von Laufenberg keine Vertragsverlängerung bekommen und musste im Dezember 2021 das Staatstheater verlassen. „Sie war nicht willfährig“, sagt der Ex-Vorstand über die Orchesterdirektorin, die sich bei den Corona-Konflikten mit Laufenberg gegen große Besetzungen im Orchestergraben positioniert habe. Schneider kann sich nur schwer vorstellen, wie die weitere Zusammenarbeit mit Jossifov am Staatstheater funktionieren soll.
Das Ministerium für Wissenschaft und Kunst teilt derweil mit, Ilia Jossifov habe am 18. August erstmals eine schriftliche Darstellung des Sachverhalts vorgelegt. Das Ministerium nehme die Schilderung sehr ernst und habe die Beteiligten um Stellungnahme innerhalb einer Woche gebeten.