Fall Susanna: Die Rückholung des Ali Bashar

WIESBADEN - Es sind 55 Seiten, die ein abscheuliches Verbrechen in Worte fassen. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wiesbaden. Angeklagt wird der Mann, der als „Ali Bashar“ im Juni 2018 für Entsetzen, Trauer, Wut und Schlagzeilen gesorgt hatte. Weil der 21-Jährige, ein abgelehnter Asylbewerber aus dem Irak, in der Nacht des 23. Mai 2018 in der Gemarkung im Wiesbadener Stadtteil-Erbenheim die Schülerin Susanna aus Mainz getötet hat. Angeklagt sind in diesem Fall Vergewaltigung und Mord, heimtückisch begangen und zur Verdeckung der Vergewaltigung. In einem anderen Fall wird noch die Vergewaltigung einer Elfjährigen vorgeworfen.

Strafverteidiger: „Es wird einen Prozess geben“

Der Iraker hat wiederholt gestanden, Susanna getötet zu haben. Von hinten soll er der völlig Ahnungs- und Wehrlosen seinen Arm um den Hals gelegt und mehrere Minuten zugedrückt haben. Die 14-Jährige soll zuvor gedroht haben, zur Polizei zu gehen. Eine Vergewaltigung bestreitet er. Einem Freund soll er aber schon kurz nach dem Mord auch die Vergewaltigung geschildert haben.

Vergewaltigt und getötet habe er eine „Schlampe“. Deutsche Mädchen und junge Frauen sollen für ihn nichts anderes gewesen sein. Später, im Gefängnis in Frankfurt, soll er diese Einstellung mit der Bemerkung unterstrichen haben, dass er „nur“ ein Mädchen getötet habe. „Nur“.

Rückholung sollte auch ein Signal sein

Wenn das Gericht, wie angedacht war, im Frühjahr den Fall verhandeln will, dann müsste noch im Januar über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden werden. Das Gericht hat dabei auch zu prüfen, unter welchen Umständen der Anfang Juni in seine Heimat Nordirak geflüchtete Bashar am 9. Juni 2018 zurückgeholt worden war. Abgeholt hatte ihn Dieter Romann, der Präsident des Bundespolizeipräsidiums. Er wurde dafür als „Helden-Polizist“ gefeiert, die Aktion als „Big Raushole“. „Das sind wir der Mutter des toten Mädchens schuldig“, hatte Romann erklärt. Aus der Politik gab es Zustimmung. „Das ist in der Tat ein gutes Beispiel funktionierender behördlicher Tätigkeit. Ich finde gut, dass es so gelaufen ist“, sagte Michael Grosse-Brömer, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU Bundestagsfraktion. Die Politik war nach dem Verbrechen, verübt von einem abgelehnten Asylbewerber, unter massiven öffentlichen Druck geraten.

Die Debatte um Asyl, Flüchtlinge, Kriminalität und öffentliche Sicherheit wurde mit dem Verbrechen an Susanna weiter emotional aufgeheizt. Die Regierung versage zum Schaden Deutschlands, hieß es, sie könne ihre Bürger nicht schützen. Die Rückholung und die Inszenierung der Ankunft in Wiesbaden, schwer bewacht, sollte daher auch Handlungsfähigkeit signalisieren. Romann habe „vielen Bürgern das Vertrauen in den Rechtsstaat zurückgegeben“, lobte der frühere Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Dabei hatte man sich über Rechtsstaatliches hinweggesetzt.

Über Recht hinweggesetzt

„Big Raushole“ ist kein Begriff aus der internationalen Rechtshilfe. Es gab kein förmliches Auslieferungsersuchen an die für einen irakischen Staatsbürger allein zuständige irakische Zentralregierung in Bagdad. Die Sprachregelung für die Rückholung lautet, dass die Kurden im Nordirak den jungen Mann abgeschoben und der Bundespolizei übergeben hätten. Romann hat beste Kontakte in diese Region. „Die Behörden der Region Kurdistan-Irak haben Ali B. in dortiger Verantwortung nach Deutschland abgeschoben“, erklärte Stephan Mayer, Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Aber auf welcher Rechtsgrundlage wurde er abgeholt?

Das irakische Verfassungsrecht kennt – wie das Grundgesetz – ein Auslieferungsverbot eigener Staatsbürger. Zwischen Deutschland und dem Irak existiert kein Auslieferungsabkommen. Die Autonome Region Kurdistan, der „Übergeber“, ist kein souveräner Staat, sondern als Untergliederung der Republik Irak an die irakische Verfassung gebunden. Alles ignoriert.

Das Verbrechen sei ohne Frage abscheulich und alles Mitgefühl habe den Angehörigen des Opfers zu gelten, sagen Kritiker der Aktion. Doch auch beim Umgang mit dem Täter, bei der Strafverfolgung, müsse Recht gelten und vom Staat beachtet werden. Romanns Vorgehen sei eine rein polizeiliche Aktion unter Umgehung der Justiz gewesen. Gegen Romann gibt es Anzeigen wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung, die Staatsanwaltschaft Frankfurt führt ein Ermittlungsverfahren. Es sei nicht abgeschlossen, sagt die Sprecherin.

Bei der Prüfung der Wiesbadener Richter spielt auch eine Rolle, wie der Irak reagiert hat. Ein Sprecher des Außenministeriums hatte das Vorgehen der kurdischen und deutschen Behörden zwar als Verletzung irakischen Rechts bezeichnet, es gab aber keinen förmlichen Protest. Schon gar nicht wurde die Forderung laut, dass Deutschland Ali Bashar zurückbringen müsse. Strafverteidiger sind überzeugt, dass die nicht rechtsstaatlichen Umstände keinen Hinderungsgrund für einen Prozess darstellen.