Samstag,
17.06.2017 - 00:00
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Noch vier von fünf Wingertstürmen sind in Osthofen heute noch erhalten

Von Manfred Janß
Reporter Rheinhessen Süd

( Foto: )
OSTHOFEN - Fünf Wingertstürme hat es in Osthofen einmal gegeben. Vier davon sind noch erhalten, das ist in ganz Rheinhessen etwas Einmaliges. Gebaut wurden sie im ausgehenden 19. Jahrhundert beziehungsweise um die Jahrhundertwende von wohlhabenden Osthofener Winzern. In den 1890er Jahren gab es außergewöhnlich gute Weinjahre, sodass die Portemonnaies der Weingutsbesitzer entsprechend prall waren. So hatten sie Geld genug, um die repräsentativen Wingertshäuschen bauen zu lassen, damit der Wohlstand, der in Osthofen herrscht, schon von der Eisenbahn aus zu sehen war. Seit ein paar Jahren hat sich eine Weinwanderung „Tag der Türme“ fest etabliert, die sich großer Beliebtheit erfreut. Im August findet die nächste statt.
Vorbild ist wohl Schloss Lichtenstein
Der prächtigste Wingertsturm ist die neugotische Miniaturburg „Leckzapfen“ hoch über der Bechtheimer Hohl. Als Vorbild diente vermutlich Schloss Lichtenstein auf der Schwäbischen Alb. Erbauen ließ ihn der Osthofener Mühlen- und Weinbergsbesitzer Gustav Weißheimer im Jahr 1891 in seiner Weinlage „Am Leckzapfen“, daher der Name. Er war der Sohn des Steinmüllers Johann Weißheimer II, der von 1831 bis 1842 Bürgermeister in Osthofen war. Zum einen wollte er Werbung machen für sein Weingut, zum anderen ist der Überlieferung nach auch manches Fest dort oben gefeiert worden. Weinberg und Miniaturburg gehören heute der Familie Schill, gepachtet hat den Wingert Winzer Dieter Kratz. Zum Namen „Leckzapfen“ gibt es übrigens eine nette Anekdote. Der Wein aus dem Weinberg soll so gut sein, dass der Kellermeister am liebsten noch den Zapfen aus dem Spundloch ablecken würde.
Vor knapp zehn Jahren war es einmal sehr schlecht bestellt um den „Leckzapfen“. Vandalismus und Verfall bedrohten das Bauwerk massiv, es war im Grunde kurz vor dem Zusammenfallen. Die Rettung nahte in Gestalt des „Kulturnetzwerks Osthofen“. Unter seiner Federführung wurde die Miniaturburg ab 2008 von Grund auf saniert. Zur Finanzierung ließen sie sich zum Teil pfiffige Aktionen einfallen. Zum Beispiel Treppenpatenschaften. Wer einen Betrag für die Sanierung spendete, bekam dafür symbolisch eine der Stufen, die im Turm zur Aussichtsplattform hinaufführen.
2010 schließlich wurde Richtfest gefeiert, 2011 war das Bauwerk zumindest von außen komplett saniert. Das beeindruckte die Weinbruderschaft Rheinhessen derart, dass sie den „Leckzapfen“ zum schönsten Weinbergshäuschen 2011 kürte. Ganz nebenbei war es das 25. Wingertshäuschen, das die Weinbruderschaft bis dahin ausgezeichnet hatte.
Zufallsfund beim weinseligen Abend
Der kurioseste Wingertsturm ist der, den es nicht mehr gibt: die „Weinwarte auf dem Schnapp“, erbaut wahrscheinlich um 1890. Er war der größte der fünf Türme, musste aber bereits Anfang der 1960er Jahre abgerissen werden, weil er baufällig war. Im Laufe der Jahrzehnte geriet er dann in Vergessenheit. Das Kuriose an ihm ist seine zufällige Wiederentdeckung, genauer gesagt, von dem, was noch übrig ist. Das war vor acht Jahren bei einem weinseligen Abend auf dem Blümel-Turm, der ebenfalls zu den Osthofener Wingertstürmen gehört.
Ausgangspunkt war das Panorama-Gemälde mit einer Rundumansicht von Osthofen in der Weinstube „Zur Brille“ in der Walter-Rathenau-Straße, das vermutlich um 1920 entstand. Darauf ist deutlich zu erkennen, dass es einmal fünf Wingertstürme gab. Zur Weingesellschaft auf dem Blümel-Turm stieß seinerzeit ein Bewohner der Hasengasse. Der erzählte von einem alten Foto, auf dem seine Mutter auf einem Turm zu sehen sei, den er nicht kenne. Sofort gingen alle mit ihm nach Hause, um das Foto zu sehen. Es existierte tatsächlich, der Turm trug die Inschrift „Schnapp“, also der Weinlage oberhalb der alten Bahntrasse. In einer abenteuerlichen Aktion wurden Signalfeuer an der Stelle entzündet, wo der Turm vermutet wurde. Zu der Gesellschaft gehörte auch der Architekt Jörg Deibert, der die Feuer von der Stadt aus mit einem Vermessungsgerät anpeilte. Und tatsächlich wurde – mittlerweile mitten in der Nacht – die richtige Stelle gefunden, Reste des Fundaments waren noch zu erkennen. Schüler der IGS Osthofen gruben sie später im Rahmen einer gemeinsamen Aktion mit dem Weingut Blümel aus. Ob die „Weinwarte auf dem Schnapp“ je wieder aufgebaut wird, ist ungewiss.
Ein Sorgenkind ist das 1907 im neogotisch-maurischen Stil erbaute „Rote Häuschen“ in der Weinlage „Goldberg“. Im Jahr 2000 war es von der Weinbruderschaft Rheinhessen prämiert worden. Obwohl der Turm vor gut 20 Jahren schon einmal saniert worden war, hat der Zahn der Zeit seitdem wieder schwer an ihm genagt. Es gibt kein richtiges Dach mehr, weshalb es seit Jahren hineinregnet. Das obere Geschoss ist daher ein einziger Totalschaden. Außen bröckelt der Putz, das Mauerwerk ist beschädigt, das Geländer fehlt völlig. Ein Fall für eine Generalsanierung. Eine Gruppe von Osthofener Jungwinzern hat sich des „Roten Häuschens“ angenommen und will es wieder instandsetzen. Mit dazu beitragen sollen Spenden aus der „Montagsweinprobe“, die sie organisieren. Wie viel sie am Ende brauchen, ist noch nicht raus. Aber: „Wenn wir das ‚Rote Häuschen‘ sanieren, dann machen wir es richtig“, hatte Jungwinzer Jens Grittmann beim Ortstermin angekündigt.
Der erste Wingertsturm, der aus Richtung Herrnsheim kommend zu sehen ist, ist das „Weiße Häuschen“. Über ihn gibt es wenig Aufzeichnungen. In der Nähe gibt es einen Rastplatz, den „Tisch des Weines“. Von dort aus lässt sich bei einem Picknick ein herrlicher Blick über die Rheinebene genießen. Am anderen Ende der Stadt Osthofen steht der Turm des Weinguts „Magdalenenhof“. Er ist seit 1980 im Besitz der Familie Blümel, wurde restauriert und dient heute als passende Kulisse für Weinproben. Wer die Osthofener Wingertstürme einmal erleben will, dem sei der „Tag der Türme“ unbedingt empfohlen.