Uni-Präsident Krausch schlägt Alarm: 25 Prozent weniger Erstsemester als vor zehn Jahren. Aber wer nimmt die Landesregierung für ihre Versäumnisse in die Pflicht?
MAINZ. Die Universität Mainz und die Hochschulen in Rheinland-Pfalz leiden unter einem überdurchschnittlichen Studentenschwund. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Studienanfänger an der Johannes-Gutenberg-Universität um über 25,6 Prozent zurückgegangen. Das sind über 5 Prozentpunkte mehr als die Zahl der Studienanfänger bundesweit an den Universitäten zurückging. Für Rheinland-Pfalz insgesamt sehen diese Zahlen noch schlechter aus. Über alle Hochschulen hinweg – also inklusive der Fachhochschulen – sank die Zahl der Erstsemester seit dem Wintersemester 2011/2012 ebenfalls um etwas mehr als 25 Prozent. Bundesweit ging die Zahl der Studienanfänger im gleichen Zeitraum allerdings nur um 11 Prozent zurück.
Leitung in Alarmstimmung
Die Leitung der Mainzer Universität hat diese Entwicklung offenbar in Alarmstimmung versetzt. Den Zeitungen der VRM liegt eine interne Präsentation vor, mit der Unipräsident Georg Krausch und Kanzlerin Waltraud Kreuz-Gers in einer Art Tournee Fachbereich für Fachbereich mit dem Abwärtstrend konfrontiert. In einer Deutlichkeit, die es in sich hat.
Krausch und Kreuz-Gers wollen die Professoren und Fachbereichsleiter offenbar mit in die Verantwortung nehmen. In die Verantwortung dafür, die Studienangebote künftig stärker nach den Interessen und Bedürfnissen der Studentinnen und Studenten auszurichten und so dem Schwund entgegenzuwirken. Und auch in die Mitverantwortung dafür, dass unterausgelastete Studiengänge künftig Probleme bekommen können, auslaufende Stellen nachzubesetzen.
Das Papier macht klar, dass der Studentenrückgang nicht nur an den geburtenschwächeren Jahrgängen und am Corona-Effekt liegt und auch nicht nur an der wachsenden Attraktivität von Fachhochschulen und von dualen Studiengängen. Alle drei Faktoren erklären den bundesweiten Rückgang der Studenten an den Universitäten. In schonungsloser Offenheit heißt es in der Präsentation: „Immer mehr Studienberechtigte verlassen Rheinland-Pfalz. Die Wanderungsbilanz ist mittlerweile negativ.“
Schon seit 2011 sollte der Campus aufgewertet werden
Noch dramatischer fällt der Vergleich der Johannes-Gutenberg-Universität mit der sogenannten U15-Gruppe aus – einer Gruppe von forschungsstarken Universitäten, der sich die Mainzer Universität zurechnet. Mit ihrem Schwund von 25 Prozent Erstsemestern in zehn Jahren liegt die Johannes-Gutenberg-Universität nicht nur weit abgeschlagen von den Spitzenreitern Leipzig (-2,3%), Münster (-4,4%) und der Humboldt-Universität Berlin (-8,7%). Auch die Nachbar-Universitäten Heidelberg (-12,8%) und Frankfurt (-15,7%) liegen rund zehn Prozentpunkte besser als die Uni Mainz.
Beim Vergleich nicht nur der Erstsemester, sondern der Gesamtzahl der Studentinnen und Studenten fällt die Bilanz sogar noch drastischer aus: Während die Mainzer Uni heute 16 Prozent weniger Studenten als vor zehn Jahren hat, ist die Gesamtzahl der Studenten im Durchschnitt der U15-Gruppe im gleichen Zeitraum um elf Prozent gewachsen.
Die Mainzer Universität hatte sich dem Kreis der U15 angeschlossen, weil sie zu den forschungsstarken Universitäten in Deutschland gezählt werden möchte. Genau an dieser Stelle schlägt das Papier von Präsident und Kanzlerin Alarm. Unter der Überschrift „Handlungsdruck“ heißt es: Der Trend sinkender Studierendenzahlen müsse gestoppt werden, – „weil wir auch bei bundesweit hoch nachgefragten Fächern nicht mehr die besten Bewerber:innen bekommen und selbst dort Studienplätze frei bleiben“ – „weil wir damit auch auf mittlere Sicht unsere Position als große, forschungsstarke Universität aufs Spiel setzen.“
Landespolitik in der Verantwortung
Offenbar sollen die Dekane und Fachbereichsleiter der Universität in die Pflicht genommen werden, dem Studentenschwund entgegenzuwirken. Seitdem Bund und Länder 2019 den sogenannten Zukunftsvertrag geschlossen haben, richtet sich die Co-Finanzierung durch den Bund auch nach den Studierendenzahlen. Diesem Zuteilungsverhältnis könne sich die Universität nicht verschließen, heißt es in dem Papier.
Im Klartext soll das heißen: Wer übermäßig Studenten verliert, wird Professorenstellen und Stellen im wissenschaftlichen Mittelbau nicht mehr nachbesetzen können. Ob damit die nahe liegende Strategie verfolgt werden soll, schwache Studiengänge auszutrocknen und starke und gefragte auszubauen, wird in dem Papier nicht erläutert. In jedem Fall aber werden die Professoren für zukünftige Stellenbesetzungen in ihren Studiengängen in eine Mithaftung genommen.
Gegen derartige Leistungsanreize ließe sich wenig sagen, wenn die Universitätsleitung auch die Landespolitik für den Attraktivitätsverlust der Johannes-Gutenberg-Universität in die Verantwortung nähme. Davon ist in dem Papier nicht die Rede. „Das ist allenfalls auf der Tonspur passiert“, berichtet eine Professorin, deren Fachbereich bereits an der Reihe war.
Für den Abwärtstrend ihrer Vorzeige-Universität kann sich die Landesregierung jedenfalls schwerlich aus der Verantwortung ziehen. Bei der Finanzierung der Hochschulen – heruntergerechnet auf die Studentenzahlen – belegt Rheinland-Pfalz seit vielen Jahren stets einen der hinteren Plätze. Im deutlich besser finanzierten Nachbarland Hessen soll der Betreuungsschlüssel Lehrende zu Studierende über alle Hochschulen hinweg sogar noch einmal deutlich angehoben werden: Kamen 2017 noch 72 Studenten auf einen Professor, so soll dieses Verhältnis 2025 bei 61 Studenten je Professor liegen.
Hinzu kommt an der Mainzer Universität noch das sogenannte strukturelle Defizit, das die Landesregierung gerne leugnet, das aus den Stellenplänen aber klar ablesbar ist: Seit einigen Jahren sind an der JGU nur gut 90 Prozent der zur Verfügung stehenden Stellen besetzt. Wiederbesetzungen werden bewusst gestreckt, weil das Ausschöpfen der eigentlich genehmigten Stellen die Haushaltsansätze sprengen würde.
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Hinzu kommt der miserable bauliche Zustand vieler Gebäude. Ein Investitionsstau, den die Landesregierung nicht abbauen will oder nicht abgebaut bekommt. Investiert wurde – mit Ausnahme des Georg-Forster-Gebäudes (Soziologie, Politik, Publizistik) – fast ausschließlich in Neubauten für die Naturwissenschaften.
Noch immer keine Pläne für eine neue Zentralbibliothek
Schlichtweg liegen geblieben ist auch die dringend notwendige Aufwertung des Campus, der in Mainz eigentlich ein Pfund sein könnte. Bereits 2011 hatte das Land der Öffentlichkeit eine städtebauliche Aufwertung des Campus vorgestellt, die das Wissenschaftsministerium damals selbst angestoßen hatte. Der Siegerentwurf eines Berliner Architekturbüros sah eine grüne, autofreie Achse vom Eingang der Universität bis zur Mensa vor (siehe Planungsentwurf). Als die Allgemeine Zeitung bei einem Campus-Forum vor fünf Jahren an die Versäumnisse der Regierung erinnerte, versprach der damalige Wissenschaftsminister Konrad Wolf (SPD), wenigstens mit dem Abriss der leer stehenden Gebäude auf dem Campus zu beginnen und die Pläne für die Grünachse wieder in Angriff zu nehmen. Passiert ist auch seither – nichts.
Am eklatantesten lässt sich die Tatenlosigkeit des Landes am Thema Zentralbibliothek ablesen. 2016 musste die marode Bibliothek aus Sicherheitsgründen geschlossen werden. Fünf Jahre zuvor waren bereits Pläne für einen Neubau angestoßen worden. 2019 mahnte der überregional agierende Wissenschaftsrat die Regierung Dreyer, den Neubau der Zentralbibliothek endlich anzugehen. Bis heute – mehr als sechs Jahre nach der Schließung – liegt nicht mal die Planung für einen Bibliotheks-Neubau vor. Dabei sind moderne Bibliotheken für aktuelle Studentengenerationen weniger Buchausleihen als äußerst gefragte Lernorte.
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In der Mainzer Professorenschaft ist man sich weitgehend einig, dass die knappe finanzielle Ausstattung der Universität, die vernachlässigten Gebäude und das Versäumnis, als Campus-Universität zu punkten, einen erheblichen Anteil an den drastisch rückläufigen Studentenzahlen haben. „Erstsemester lassen sich solche Bedingungen noch bieten“, sagt exemplarisch ein Lehrstuhlinhaber, der wie andere nicht genannt werden möchte. Ausgerechnet die Studenten, die nach dem Bachelor den Master machen wollten, verliere man aber an attraktivere Studienstandorte – „ohne dass es uns gelingen würde, Bachelor-Absolventen anderer Unis für Mainz zu gewinnen.“
Das passt zu der Forderung von Uni-Präsident Krausch, wonach die Universität daran arbeiten müsse, als Forschungsstandort starke Studenten zu bekommen und vor allem zu binden. Er täte gut daran, diese Zielstellung nicht nur an seine Dekane und Fachbereichsleiter zu adressieren, sondern ebenso deutlich an die politisch Verantwortlichen in der Landesregierung.