Offstein ehrt MS-Forscher Ordenstein

Redner Helmar Lehmann legte dar, dass Ordensteins Erkenntnisse noch heute die Grundlage für alle MS-Diagnose- und Therapie-Kriterien bilden – auch nach 150 Jahren. Foto: BK/Martin H. Hartmann

Ohne ihn wäre die heutige Therapie von Multipler Sklerose nicht möglich: Wegen bahnbrechender Forschung hat seine Heimatgemeinde Leopold Ordenstein mit einem Festakt geehrt.

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OFFSTEIN. Mit einem Festakt im Heimatmuseum hat der Heimatverein Offstein am Mittwoch einen großen Sohn der Gemeinde geehrt: den bedeutenden Neurologen Leopold Ordenstein. 1835 als Sohn einer angesehenen jüdischen Familie in Offstein geboren, promovierte er 1868 an der „Sorbonne“ in Paris. In seiner Promotionsschrift beschreibt Ordenstein erstmals eine Krankheit, die heute als Multiple Sklerose (MS) bekannt ist. Eine bahnbrechende Forscherleistung – und das vor 150 Jahren.

Anlass für den Heimatverein, Leben und Wirken des bedeutenden Mediziners auch in seiner Heimat bekannter zu machen. Karl Heimers, der Erste Vorsitzende, war bei seiner Begrüßung ganz ehrlich: „Leider wussten wir nicht viel über Leopold Ordenstein.“ Heimatgeschichtlich präsenter war bisher der 21 Jahre jüngere Bruder Heinrich. Der Musikprofessor gründete 1884 das renommierte „Konservatorium für Musik“ in Karlsruhe. Die Offsteiner haben eine Straße nach ihm benannt. VG-Beigeordneter Walter Hahn äußerte beim Festakt die spontane Idee, durch die alleinige Nennung des Familiennamens, das Andenken beider Brüder wachzuhalten. Das Ganze sei jedoch eine Sache der Ortsgemeinde.

Über die Offsteiner Familie Ordenstein lässt sich sagen: Sie war seit 1816 im Ort ansässig. 1835 heiratete Moritz Ordenstein die aus Kriegsheim stammende Johanna Scheuer. Im gleichen Jahr wurde Sohn Leopold geboren. Ein weiteres Kind – Elisabeth – verstarb später kurz nach der Geburt. 1856 wurde der jüngere Sohn Heinrich geboren. 1861 verkauften die Ordensteins ihren Offsteiner Besitz an Georg Andres und zogen in die Wormser Martinsgasse, nur wenige Schritte von der Synagoge entfernt.

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In seiner Laudatio malte Professor Dr. Hilmar Lehmann von der Universität Köln eine facettenreiche und spannende Vita, die auf Fakten und logischen Rückschlüssen basierte. Nicht eindeutig geklärt sei etwa der Grund für Leopold Ordensteins spätere Migration nach Frankreich. Vieles deute darauf hin, dass der junge Mann aus Offstein zunächst Militärarzt werden wollte. Für jüdische Bürger damals jedoch ein Tabu. Leopold Ordenstein hatte in Offstein die Evangelische Grundschule und danach in Worms ein Gymnasium besucht. Danach studierte er zunächst Medizin an der Uni in Gießen, wo er auch seine erste Doktorarbeit schrieb. 1859 wanderte er nach Paris aus, wo er als Schüler und Assistent des legendären Medizin-Wissenschaftlers Jean-Martin Charcot, forschte. Hier, an der berühmten Universität „Sorbonne“, absolvierte er seine zweite Promotionsschrift, die zu einem Meilenstein der neurologischen Forschung wurde.

Ordenstein sei es bei seiner Dissertation gelungen, die Symptome von MS und Parkinson voneinander zu unterscheiden, sagte Lehmann. Parkinson habe man damals schon 50 Jahre gekannt. Ordensteins Erkenntnisse waren bahnbrechend und bilden bis heute die Grundlage für alle MS-Diagnose- und Therapie-Kriterien. Ordenstein verließ die Sorbonne 1868 und eröffnete in Paris eine eigene Praxis. Während des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 kehrte er nochmals kurzzeitig in seine Heimat zurück – um seinen Wohn- und Lebensort danach für immer nach Paris zu verlagern. Hier brachte er es zu hohem Ansehen und Wohlstand. „Bei allem, was wir über ihn wissen, dürfen wir annehmen, dass er ein sehr zufriedenes Leben geführt hat“, sagte Lehmann.

Wissenschaftliches Erbe verbrennt bei Luftangriffen

Diese endete 1902 jedoch tragisch. Ordenstein wurde mit 67 Jahren im Zug von Paris nach Versailles von einem Schwerkriminellen erstochen. Der „Mord im Waggon“ sorgte landesweit für Aufsehen. Sogar der Pariser „Le Figaro“ berichtete auf seiner Titelseite über den späteren Prozess gegen den Mörder, der zu lebenslanger Zwangsarbeit auf die berüchtigte, südamerikanische „Teufelsinsel“ verbannt wurde. Er kam dort aber gar nicht erst an, sondern starb zuvor an der „Gefängnis-Ruhr“.

Leopold Ordenstein blieb bis zu seinem Tod ledig und kinderlos. Seine Heimat Rheinhessen hatte er auch in seiner Wahlheimat Paris nicht vergessen. Bereits vor seinem Tod hatte er sein wissenschaftliches Erbe testamentarisch der Wormser Stadtbibliothek vermacht. Es wurde später im Wormser Paulusstift aufbewahrt. Übriggeblieben ist davon leider nichts. Wie Lehmann berichtete, wurden die Schriften und Dokumente bei den Luftangriffen des Zweiten Weltkriegs unwiederbringlich zerstört.