Fünf Schauspieler erzählen und spielen "Moby Dick": Julia Prechsls Bühnenfassung des Riesenromans wird in den Kammerspielen des Darmstädter Staatstheaters zum packenden Ereignis.
Von Johannes Breckner
Redaktionsleiter Bergsträßer Echo
Blick in eine dunkle Zukunft: Anabel Möbius, Béla Milan Uhrlau, Erwin Aljukic, Robert Lang und Hans-Christian Hegewald (von links) in "Moby Dick".
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DARMSTADT - Das fürsorgliche Staatstheater bietet ein kleines nautisches Wörterbuch an, um "Moby Dick" besser verstehen zu können. Aber man muss darin nicht lange studieren. Vielleicht ist es praktisch zu wissen, dass beim "Lenzen" Wasser aus dem Schiffsrumpf gepumpt wird. Wenn Fett mit nach oben kommt, ist das ein schlechtes Zeichen, dann sind die Fässer mit dem Waltalg leck. Aber ihre Reparatur kommt nicht in Frage, das würde zu viel Zeit kosten, und die braucht Käptn Ahab für die Jagd nach dem weißen Wal, an dem er Rache nehmen will für ein abgebissenes Bein.
Das ist die Geschichte, die man kennt aus Herman Melvilles Roman. Aber sie ist nur ein Teil dieses großen Walfängerepos, das mit seinen Verästelungen gar nicht so leicht zu fassen ist. Julia Prechsls Bühnenfassung bringt verblüffend viele Themen in die Kammerspiele des Darmstädter Staatstheaters, und sie tut es mit einer staunenswerten erzählerischen Souveränität, die das Publikum umstandslos anheuern lässt in dieser Schicksalsgemeinschaft, die dem tragischen Ende entgegen segelt. So, wie der Kapitän gefangen ist in seiner Besessenheit der Rache, sitzt seine Mannschaft auf der Pequod fest. Sie alle sind Ahab, dessen Sätze vom Ensemble im kraftvoll rhythmisierten Chor gesprochen, gerufen, geschrien werden.
Das ist nur einer von vielen Tonfällen, zwischen denen dieser Theaterabend virtuos wechselt. Julia Prechsls Regie treibt die Reise mit immer wieder überraschender szenischer Fantasie voran. Fünf Schauspieler wechseln von einer Rolle in die nächste, erzählen und spielen gleichzeitig. Das klingt vielleicht unübersichtlich, erweist sich aber als sehr sinnfällige Art, diese schillernde Geschichte nicht zu verkleinern, sondern in ihrer Wucht erfahrbar zu machen; nach der Premiere am Sonntag gab es dafür begeisterten Beifall.
WORUM GEHT'S?
Der Matrose Ismael schließt Freundschaft mit dem Harpunier Queequeg und heuert auf dem Walfangschiff Pequod an. Dessen Kapitän Ahab ist besessen von der Jagd nach dem weißen Wal "Moby Dick". Der Kampf mit dem Tier vernichtet Schiff und Mannschaft.
Nächste Vorstellungen in den Kammerspielen des Staatstheaters Darmstadt am 15. September und 8. Oktober, Telefon 06151-2811600. (job)
Fünf Schauspieler machen den Abend zum Ereignis
Am Anfang kriecht das Ensemble unter einer Folie hervor, als würde es sich schwimmend an Land retten. Mit ihrer Arbeitskleidung im ozeanblauen Wellendesign sind diese Seeleute ein Teil des Meeres, das ihren Leibern gleichsam eingeschrieben ist. Später werden sie das Metallgerüst erklimmen, das die Ausstatterin Birgit Leitzinger auf die Bühne gebaut hat. Es könnte das Gerippe eines Wals sein oder das Skelett eines gestrandeten Schiffs. Für die Schauspieler ist es Ausguck und Turngerüst, Ort der Gefahr und auch der Ruhepause.
Die Schauspieler machen den Abend zum Ereignis. Eine tolle Bereicherung fürs Ensemble ist Erwin Aljukic, ein ausdrucksstarker Darsteller, der seinen von der Glasknochenkrankheit gezeichneten Körper auf geradezu artistische Weise kraftvoll beherrscht, denn diese Aufführung ist in weiten Teilen auch choreografisch gedacht und lebt vom starken Körperspiel. Wenn Aljukic die Seenot eines Schiffsjungen spielt und hilflos im Gerüst hängt, hat dieser Abend seinen vielleicht beklemmendsten Augenblick: In dem zarten Hilferuf steckt die Not der ganzen Mannschaft.
Anabel Möbius hat man noch nicht so stark gesehen wie in dieser Produktion, in der sie unter anderem mit sympathischem Witz den Wilden Quequeg spielt; später wird sie mit fester Stimme einen Bekehrungschoral anstimmen, dem die Seefahrer nach und nach folgen. Robert Lang hat unter anderem einen starken Auftritt als Steuermann Starbuck, der in einer großen Szene zaudert vor dem Mord an Ahab, der vielleicht das Leben der Mannschaft retten könnte, Hans-Christian Hegewald ist als düsterer Eliah in Erinnerung, Béla Milan Uhrlau als lauernder Wirt Coffin. Es ist die Summe der kleinen, aber eindrücklichen Porträts, die dem Abend sein Profil gibt.
Gut hundert durchweg spannungsvolle Minuten dauert diese Reise, die klaren Kurs in Richtung Untergang hält. Am Ende steht der nüchterne Bericht von den physiologischen Folgen des Ertrinkens. Der Zuschauer empfindet durchaus Erleichterung, noch einmal davongekommen zu sein, aber er ist innerlich so durchgeschüttelt wie nach einer Orkanfahrt im Walfangboot.