Juli Zehs neuer Roman „Leere Herzen“: Ein überzeichneter Psychothriller mit bizarrem Figurenpersonal
Juli Zeh erzählt in ihrem Roman „Leere Herzen“ von einer nahen Zukunft zwischen digitaler Rundumüberwachung und innerer Leere. Nachdem Merkel abgedankt hat, folgte die Ära der Rechtspopulisten.
Von Roland Mischke
Juli Zeh entwirft in ihrem Buch „Leere Herzen“ das Bild einer Gesellschaft, die sich der Diktatur schon halb ergeben hat. Foto: dpa
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In nicht ferner Zeit geschieht Ungeheuerliches: Bundeskanzlerin Angela Merkel tritt vor die Presse, die Hände zur bekannten Raute gefaltet und verkündet „in ihrer unterkühlten, leicht lispelnden Art“, dass sie abtrete. Ihr Rücktritt ist auf den Sieg der „Besorgten Bürger Bewegung“, BBB, zurückzuführen. Die neue Partei hat in den Bundestagswahlen alle demokratischen Parteien ausgestochen. Merkel nennt das Wahrergebnis eine Katastrophe für Deutschland.
Als es zu Buh-Rufen von Journalisten kommt, „brach die selbstbeherrschte Fassade der Ex-Kanzlerin schließlich zusammen“. Eine Träne zieht eine deutlich nasse Spur durch ihr Gesicht, sie zieht die Schultern hoch und schafft es gerade noch ins Mikrofon zu rufen: „Ich wünsche unserem Land, ich wünsche uns allen viel Glück!“ Sie steigt vom Podium herab und „wirkte dabei plötzlich wie eine alte Frau“, heißt es im neuen Roman von Juli Zeh, 43.
Das Buch wurde vom Verlag Luchterhand als „ein provokanter, packender und brandaktueller Politthriller aus einem Deutschland der nahen Zukunft“ angekündigt. Ein „Lehrstück über die Grundlagen und die Gefährdungen der Demokratie“, es gehe um „eine Generation, die im Herzen leer und ohne Glauben und Überzeugungen ist“. Die Europäische Union erodiert, Frankreich bereitet seinen Frexit vor, Russland, die Türkei und die USA versacken in ihren Nationalismen. Die Weltpolitik verläuft konfus und ungewiss. Deutschland wird fortan von Regula Freyer als Kanzlerin regiert, eine Person, von der dieser Roman nicht viel zu erzählen weiß. Die BBB-Zentrale in Berlin setzt eine „Bundeszentrale für Leitkultur“ ein, sie dirigiert die Bevölkerung und im „Ausländeramt“ haben es Zugereiste, die in diesem Land leben wollen, nicht leicht.
Überhaupt wird die gesellschaftliche Atmosphäre im Buch krass geschildert. Die Menschen vereinzeln und ziehen sich ins Private zurück, jeder kämpft für sich selbst. Ideale lösen sich auf, es geht zynisch zu. Zeitungen stehen vor der Abschaffung, der öffentliche Diskurs ist völlig abgebrochen, Moral gilt als gestrig. Die Letzten, die an die Demokratie glauben, lassen sich den Schriftzug „Leere Herzen“ auf die Haut tätowieren.
Das ist die Zeit für Britta Söldner, die Hauptfigur des Romans. Sie lebt mit Mann und Tochter in Braunschweig und betreibt mit ihrem Kollegen Babak Hamwi eine Heilpraxis für angewandte Tiefenpsychologie namens „Brücke“. Die hat es in sich, es geht um „Ego-Polishing“. Mithilfe eines Algorithmus werden Zeitgenossen aufgespürt, die wegen innerer Leere Selbstmordgedanken haben. Die potenziellen Selbsttöter werden einem zwölfstufigen Verfahren ausgesetzt, das erweisen soll, ob sie sich wirklich umbringen wollen. Sie sind genötigt, persönliche Kontakte aufzugeben, Abschiedsbriefe zu verfassen und werden auch durch ein Waterboarding gecheckt. Wer eine Stufe nicht besteht, wird als geheilt entlassen. Wer durchhält, wird an eine Terrororganisation verschachert und dort zum Selbstmordattentäter ausgebildet. Ein perfekt optimiertes Geschäft, mit dem „Brücke“ viel Geld verdient.
Intentionen der Agierenden kommen nicht zum Vorschein
Das ist spannend geschrieben, zumal es um die sterile Gefühls- und Gedankenwelt der Protagonistin Söldner geht. Dennoch sind die Figuren aseptisch, die Autorin macht sie lächerlich, verspottet, denunziert und verachtet sie. Die Intentionen der Agierenden kommen nicht zum Vorschein, letztlich sind sie Pappkameraden. Am Ende des adjektivreichen Buches hat man schnell wieder vergessen, worum es hier überhaupt geht. Was fehlt, ist ein überzeugender Bezug zur heutigen Zeit.
Juli Zehs Gesellschaft ist eine Kunstwelt. Die derzeit erfolgreichste deutsche Schriftstellerin, in mehr als 30 Sprachen übersetzt, kann Leser verblüffen, aber nicht wirklich fesseln. Leere Herzen sind eben nicht wirklich faszinierend.