Das Liebieghaus zeigt das restaurierte Schächer-Fragment des „Meisters von Flémalle“
Die Liebieghaus Skulpturensammlung in Frankfurt präsentiert eine Sonderausstellung, in deren Mittelpunkt ein Schlüsselwerk der europäischen Kunstgeschichte steht: das sogenannte Schächer-Fragment des Meisters von Flémalle, eines der rätselhaftesten Künstler der frühen niederländischen Malerei.
Von Annette Krämer-Alig
Kulturredakteurin Darmstadt
Die ehemalige Flügelinnenseite mit der Darstellung des gekreuzigten Schächers nach Beendigung der Restaurierung. Foto: Liebieghaus
( Foto: Liebieghaus)
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FRANKFURT - Es gibt Bilder, deren Wirkkraft auch nach 600 Jahren nicht nachlässt, denn sie zielen malerisch perfekt auf Emotionen. Das sogenannte Schächer-Fragment des „Meisters von Flémalle“, eines der frühniederländischen Hauptwerke im Besitz des Frankfurter Städel-Museums, gehört dazu. Das menschliche Elend auf dem Ölbild beeindruckt, und die beiden Neugierig-Fassungslosen neben dem Gekreuzigten könnten heute noch genauso auf einen just Getöteten blicken, dessen Folterwunden en Detail nahe gebracht werden.
Dabei erlebt der Betrachter diese Holztafel als rechteckiges Galeriebild, was fast 200 Jahre lang durch eine Rahmung noch betont wurde. Freilich war diese Rahmung auch einer der Gründe, warum die ursprüngliche Bedeutung des Gemäldes lange verloren ging. Denn wer weiß aktuell noch, dass es in der Bibel zwei Soldaten waren, die da auf einen der „Schächer“ blicken, auf einen der Schwerkriminellen also, die zu Zeiten Jesu Christi ans Kreuz genagelt wurden?
13 exzellente Vergleichsstücke
Nun wurde nicht nur die Rahmung beseitigt, wie im Frankfurter Liebieghaus in der Schau „In neuem Glanz“ zu erleben ist. Dort wird das über drei Jahre hinweg untersuchte und restaurierte Schächer-Fragment in einer Ausstellung gezeigt, die einerseits das Gemälde mit ursprünglicherem Gesicht vorstellt. Andererseits wird es mit 13 exzellenten Vergleichsstücken – Skulpturen, Tafel- und Buchmalerei sowie Zeichnungen – in seinen kunsthistorischen Kontext gestellt.
BLICK IN DIE RESTAURIERUNGSWERKSTATT
Restaurierungen geschehen in der Regel in versteckten Werkstätten der Museen. Wer nun im Zusammenhang mit der Ausstellung „In neuem Glanz“ einmal direkt dabei zuschauen möchte, wie aufwendig historische Kunst heute mit modernen Methoden aufgearbeitet wird, bekommt dazu im Liebieghaus derzeit die Gelegenheit auch in einer Schauwerkstatt.
In der Ausstellung im Frankfurter Liebieghaus werden einige Figuren des sogenannten „Rimini-Altars“ präsentiert, der um 1430 in einer Werkstatt in den südlichen Niederlanden als Auftragsarbeit für einen Altar der Kirche Santa Maria delle Grazie in Rimini entstand. Kooperationspartner des Liebieghauses sind die Forschungslabore des Pariser Louvre.
In nur einem Ausstellungssaal ballen sich dabei wertvolle Kunst und spannende Informationen, die von der ursprünglichen Ansicht des Bilderfragments als Teil eines monumentalen Kreuzabnahme-Triptychons bis hin zu stilistischen Vergleichsbeispielen aus dem Oeuvre desselben „Meisters von Flémalle“ reichen. Wie eindrücklich, weil realistisch dessen revolutionäre Malerei in den burgundischen Niederlanden des frühen 15. Jahrhunderts wirken musste, wo sie vermutlich um 1430 für eine Brügger Kirche entstand, zeigt eine Kopie des Gesamt-Retabels aus dem letzten Drittel des 15. Jahrhunderts. Doch vom Original erhalten blieb nach den Bilderstürmen des 16. Jahrhunderts nur das Frankfurter Fragment.
Die Restaurierung hat diesen beidseitig bemalten „Rest“ nun zu seiner ursprünglichen optischen Bedeutung zurückgeführt – und damit zum Zeugnis einer Epoche tiefer, meditativer Gläubigkeit gemacht. Denn die Restaurierung hat diesen toten Schächer in seine alte Schock-Szenerie zurückversetzt. Die Innenseite der einstigen rechten Seitentafel erstrahlt nun „In neuem Glanz“, weil der als Pressbrokat ausgeführte Goldhintergrund mit einem ND:YAG-Laser genauso von Übermalungen und Firnis befreit wurde wie es die Figuren und die Landschaft des Gemäldes wurden. Dadurch wird die Raffinesse wieder sichtbar, mit der sein „Meister von Flémalle“ verschiedene Bildebenen geschaffen hat. Er erarbeitete mit der Lebhaftigkeit der Farben bei den Figuren sowie dem dagegen stehenden Glanz des musterdurchwirkten Goldgrundes, die wie ein architektonischer Hintergrund erscheint, eine faszinierende Illusion von Dreidimensionalität.
Das muss schon seine Zeitgenossen fasziniert haben, wie auch zwei Handzeichnungen und die farbige Miniatur aus einem Stundenbuch des 15. Jahrhunderts belegen.
Fast traurig wirkt dagegen auch nach der Restaurierung die einstige Front des Altars auf der Kehrseite: Unmittelbar nach dem Ankauf des Retabelfragments durch das Städel 1840 wurden gravierende Maßnahmen an der beschädigten Tafel vorgenommen. Die – damals schwarz übermalte – Grisaille der Figur eines Johannes des Täufers wurde dabei mehr zur Ahnung als zur Anschauung, weil ein vertikal durch die Tafel laufender Riss mit einer Holzleiste stabilisiert und die Malerei im Bereich des Risses dafür abgehobelt wurde.
Das weltberühmte Bild zeigt seine Qualitäten wieder. Doch eines seiner größten Rätsel wird sich nicht lösen lassen: Wer war der Maler? Sein „Meister von Flémalle“ ist ein Notname. Und sicher ist bis auf Weiteres nur, dass er zu der Gruppe von Künstlern gehörte, die der Maler Robert Campin (1378/1379–1444/1445) zwischen 1426/27 und 1432 in Tournai in seiner Werkstatt beschäftigt hat.