Ui ui ui, wie mysteriös: Netflix zeigt mit „Dark“ seine erste deutsche Eigenproduktion
Von Johanna Dupré
Redaktionsleiterin Kultur Mainz
Jonas Kahnwald (Louis Hofmann) hat der Suizid seines Vaters traumatisiert – aber das wird nicht sein einziges düsteres Erlebnis bleiben. Foto: Netflix
( Foto: Netflix )
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MAINZ/WIESBADEN/DARMSTADT - Etwas ist faul in der Kleinstadt Winden. Vögel fallen vom Himmel. Schafe sterben. Kinder verschwinden. Das kann nicht gut sein. Aber der Titel der ersten Serie, die in Deutschland für den Streamingdienst Netflix produziert wurde, lautet ja nicht von ungefähr „Dark“ (dunkel, düster) – da muss man mit so was rechnen. Wer sich nur die ersten zwei Folgen der von Baran bo Odar und Jantje Friese („Who Am I“) entwickelten Mystery-Serie ansieht, ist jedoch versucht, den Titel nicht als Genre-Hinweis zu verstehen. Sondern als Eingeständnis einer Verdunkelungsabsicht des Kreativteams, das dem Zuschauer gerne verheimlichen würde, dass in diesen Pilotfolgen nichts Interessantes passiert.
Sicher, gut aussehen tut das Ganze. In dieser Hinsicht haben Regisseur Bo Odar und Kameramann Nikolaus Summerer ganze Arbeit geleistet: Die Einstellungen sind interessant ausgeleuchtet, die Bilder haben eine innere Spannung, ein Farbschema. Sie wirken nicht so gleichförmig und glatt, wie man das von vielen deutschen Fernsehproduktionen gewohnt ist, erinnern weniger an Vorabendkrimis als an David Finchers düsteren Thriller „Sieben“. Und vielleicht tatsächlich etwas an die Netflix-Erfolgsserie „Stranger Things“ – wobei dieser derzeit oft bemühte Vergleich eher der inhaltlichen Parallele (verschwundenes Kind, 80er-Jahre-Motive) geschuldet sein dürfte.
Eine Aneinanderreihung von Situationen, keine Erzählung
Aber das Aneinanderreihen von Genre-Standardsituationen (verdächtiger Mann mit Kapuze im Wald; unheilvoll klaffende Höhle; Polizisten die den Wald durchsuchen; heruntergekommener Wohnwagen vor verlassener Fabrik) ergibt eben noch keine schlüssige Geschichte. Und auch ein interessantes Grundszenario – es geht in „Dark“ um schwarze Löcher, Zeitreisen, vertrackte Beziehungsgeflechte, geheime Experimente, und irgendwie auch um Atomkraft – muss mit Leben gefüllt werden, um Spannung zu entfalten. Genau das aber findet in den ersten beiden Episoden nicht statt. Stattdessen: Kaum entwickelte Charaktere, die den Zuschauern in oft platten Dialogen holzhammerartig Exposition liefern müssen (Mutter zum Ermittler über das verschwundene Kind: „Das ist wie damals bei Mads. Das ist wie bei deinem Bruder vor 31 Jahren. Alles wiederholt sich.“ Schnitt auf alten Mann im Altersheim: „Es wird wieder passieren. Es wird wieder passieren.“. Wenig später lässt der Böse, der im Geheimkeller Experimente an Kindern durchführt, nebenher praktischerweise eine Fernsehsendung laufen, in der ein Wissenschaftler Zeitreisen erklärt). Um diese Leerstellen zu kaschieren, wurden gefühlte 80 Prozent der Folgen mit ominös dräuender Musik zugekleistert, die auf der Tonebene das behauptet, was in der Erzählung schlicht nicht vorhanden ist.
NEUE PRODUZENTEN
Der Streaming-Anbieter Netflix tritt, ähnlich wie Amazon, schon länger als Produzent auf, nicht nur von Serien (in Europa etwa „Marseille“ aus Frankreich), sondern auch von Filmen. Letzteres hat schon zu Konflikten geführt, zuletzt etwa auf dem Filmfest in Cannes – weil die Filme kurz nach der oder zeitgleich zur Kinoauswertung auch per Stream im Internet zu sehen waren.
„Dark“ ist jetzt die erste deutsche Netflix-Eigenproduktion. Seit Freitag sind alle zehn Folgen online verfügbar – ausschließlich bei Netflix und in allen Ländern, in denen der Dienst vertreten ist. Amazon hatte zuvor bereits mit „You Are Wanted“ vorgelegt, auch der Bezahlsender Sky beteiligt sich immer öfter als Produzent, zuletzt etwa, gemeinsam mit dem ZDF, bei „Babylon Berlin“.
Zu einem gewissen Grad dürften die Schwächen den Machern wohl bewusst sein. Jedenfalls ist der Unterschied zur dritten Folge – der letzten, die vorab zu Verfügung gestellt wurde – eklatant. Tempo und Musikeinsatz sind deutlich zurückgefahren, die Figuren entwickeln ein erkennbares Profil und zum ersten Mal wird es tatsächlich spannend. Wenn es so weitergeht, dann lohnt es sich doch, „Dark“ einzuschalten. Eine Zäsur stellt die Serie so oder so dar – mit ihr ist Deutschland jetzt endgültig im Streaming-Zeitalter angekommen. Dass Anbieter wie Netflix und Amazon, aber zuvor auch schon Bezahlsender wie HBO Kreativen viel Freiheit gelassen haben, Formate auch für Nischen zu entwickeln, hat in den USA entscheidend zum heute gerne „goldenes Zeitalter des Fernsehens“ genannten Phänomen beigetragen. Zu Recht betont Regisseur Bo Odar daher in Interviews die Bedeutung dieses Arbeitens für die Nische. Nur müssen die Kreativen, denen sich dadurch Freiheiten bieten, auch die Kompetenz haben, diese zu nutzen.