Schule ohne Schüler: ZDF-Doku zu Integration zeigt Lage an Neuköllner Kepler-Schule
Von Johanna Dupré
Redaktionsleiterin Kultur Mainz
An kaum einer Schule gibt es so viele Schwänzer und Abbrecher wie an der Kepler-Schule in Neukölln. Foto: ZDF/Piechowski
( Foto: ZDF/Piechowski)
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BERLIN/MAINZ - Sechs Schüler sind da. Sechs von 21. Die anderen 15, die um 8.30 Uhr eigentlich auch in der Mathe-Stunde sitzen sollten, kommen später. Einige erst zur zweiten Stunde. Einige auch gar nicht. 50 Prozent der Schüler der Neuköllner Kepler-Schule seien „aktiv schuldistant“, sagt die Sozialarbeiterin Heike Hirth, weitere 25 Prozent „passiv distant“, stören den Unterricht. „Aktiv distant“ heißt schwänzen – die Jugendlichen „verlassen morgens pünktlich die Wohnung, kommen aber nie in der Schule an“, so Hirth. Stattdessen verbringen sie den Tag in Parks, im Winter auch in Hausfluren; es gebe Vandalismus, Drogendealer, die auf die Schwänzer abzielen.
Hirth ist eine der Stimmen, die die „Frontal 21“-Autoren Christian Esser und Anne Herzlieb in ihrer Doku „Rechnen, Rappen, Ramadan – Schule im Brennpunkt“ zu Wort kommen lassen. Ein halbes Schuljahr haben sie die Klasse 8b und deren Lehrer begleitet. Herausgekommen ist ein 30-minütiger Film, der Einblick in den Alltag einer Schule gibt, die täglich darum kämpft, dass ihre Schüler – fast alle haben einen Migrationshintergrund – sie überhaupt besuchen. Nur ein Drittel schafft einen Abschluss – man muss nicht lange nachdenken, um darauf zu kommen, welchen sozialen Sprengstoff das für kommende Jahre birgt.
So wie auch jetzt schon vieles an der Situation der Kepler-Schule über Jahre hinweg gewachsen ist – genau dieser Punkt kommt in der Doku zu kurz. Er muss es vielleicht – wegen der kurzen Laufzeit und der gewählten Form, bei der die Autoren größtenteils auf Sprechertexte verzichten, stattdessen Aussagen der Lehrer und Schüler für sich stehen lassen. Somit zeigt die Doku, die dem Ankündigungstext zufolge „die Herausforderung der Integration“ thematisieren, und Einblick in eine Politik geben will, „die jene im Stich lässt, die durch Armut an Bildungsungerechtigkeit leiden“, letztlich eine erschreckende Momentaufnahme. Nicht weniger – aber auch nicht mehr.
Gezeigt wird, wie die Klassenlehrer Anastasija Obuch-Benkstein und Tadeusz Swiderski mit verschiedenen Mitteln versuchen, zu den Schülern durchzudringen. Sie machen etwa einen Ausflug in den Botanischen Garten in Berlin-Dahlem, um ihnen zu zeigen, dass es in Deutschland noch etwas anderes als Neukölln gibt. Die Mehrheit der Jugendlichen verlässt den Bezirk praktisch nie, sagt Obuch-Benkstein. Als Erfolg wird sie es später werten, dass zur Klassenfahrt nach Potsdam immerhin zehn Schüler mitgefahren sind. Auch, weil sie damit zeigen, dass sie sich an gewisse Regeln halten. Denn das zeigt sich immer wieder als das größte Problem. Auch bei einem Berufspraktikum, bei dem zwei Schülerinnen ihren Platz in einer Edeka-Filiale schon am ersten Tag verlieren, weil sie nach der Mittagspause nicht zurückkommen. Wenn Obuch-Benkstein dann in einem eindringlichen Gespräch mit den beiden sagt, dass sie sich manchmal hilflos fühlt, kann man das nur zu gut verstehen. Gleichzeitig ist das natürlich auch als Appell an die zwei gedacht. „Erziehung geht hier vor Bildung“ – so bringt Obuch-Benkstein ihr Prinzip auf den Punkt. Sie versucht aufzufangen, was den Kindern daheim größtenteils nicht mitgegeben werden kann.
Was dabei in der Doku fehlt, ist die Frage, wieso das so ist. Welche Erfahrungen die Eltern etwa gemacht haben, mit Behörden, oder in ihrer Schulzeit; wo ihnen vielleicht Wissen fehlt. Wichtig wäre das nicht, um die Eltern zu entschulden. Wichtig wäre es, weil es zeigen könnte, wie systemische Probleme über Jahrzehnte gewachsen sind, und wo angesetzt werden müsste, damit sie sich nicht fortsetzen. Was der neue Schulleiter der Kepler-Schule versucht – in einem Interview auf der ZDF-Homepage spricht er darüber, wie die Zahl der Schulschwänzer bereits reduziert werden konnte, in dem Eltern durch direkte Gespräche als Verbündete gewonnen werden konnten.
Dass diese breitere Perspektive in der Doku fehlt, macht sie leider anfällig für Deutungen á la „die sind halt so“ – es dürfte kein Zufall sein, dass das rechte Blog „Politically Incorrect“ bereits auf den Film verweist. Natürlich ist diese Lesart nicht die Intention der Autoren – aber im Endeffekt wäre ihr Material im Rahmen einer längeren, tiefer gehenden Doku wohl besser eingesetzt.