Mannheim zeigt Schillers „Räuber“ als verkalkten Klamauk
Christian Weise inszeniert den Klassiker im Schauspiel des Nationaltheaters. Der ewig junge Autor ist hier ein Fall fürs Pflegeheim.
Von Stefan Benz
Kulturredaktion Darmstadt
Nicht totzukriegen: Franz (Christoph Bornmüller) will den Vater (Almut Henkel) ersticken.
(Foto: Michel)
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MANNHEIM - Es ist ein scheinbar ewig junges Stück. Und so provozieren Schillers „Räuber“ in jeder Regie-Generation neue Versuche, zu zeigen, was Sturm und Drang heute sein kann. Vor 236 Jahren in Mannheim uraufgeführt, steht der Klassiker nun auch am Anfang der ersten Spielzeit des neuen Schauspielintendanten Christian Holtzhauer, doch Christian Weises Inszenierung betreibt enormen Aufwand, um Schiller dabei uralt aussehen zu lassen.
Die Ausstatterinnen Joki Tewes und Jana Findeklee haben ein breites Dschungelpanorama mit einem Bürgerhäuschen darin entworfen. Das Stück spielt nun ausweislich des Programmhefts in der 1850 gegründeten Kolonie „Blumenau“ in Brasilien, wo völlig vergreiste Exildeutsche das, was sie für ihre Leitkultur halten, kultivieren. Da schwenkt man Papierflaggen und singt auch mal die zweite Strophe des Deutschlandliedes über Frauen, Treue, Wein und Sang. Vom Grammofon schallt es am Anfang noch von Brandt über Merkel zu Helmut Rahn, „Rammstein“ und Rio Reiser, doch vor allem haben sie in ihrer tropischen Seniorenresidenz eine rauschende „Räuber“-Aufnahme, in der das Pathos knisternd knarzt.
Entsprechend ist das Haus bevölkert von alten Knastern, die auf dem Sofa hocken, als hätte man es mit einem mumifizierten Loriotsketch zu tun. Franz, der zweitgeborene Sohn des Grafen, der gegen seinen Bruder intrigiert, ist bei Christoph Bornmüller ein buckliger Humpler, der bisweilen doch mal den Klamauk kräftig klappern lässt. Bornmüller, als komödiantischer Spielmacher aus Darmstadt gekommen, wo er 2015 als Regisseur erfrischend trashige „Räuber“ toben ließ, weiß ja auch eigentlich, wie es geht. Nur scheint das hier nun gar nicht gefragt.
Der Graf Moor, den Franz beerben will, ist eine demente Dame (Almut Henkel), die nur noch mümmeln und sabbern kann. Franz versucht mehrfach, sie mit dem Kissen zu ersticken, doch die Alte ist nicht totzukriegen. Schiller ist leider nicht so robust. Über mit Pause zweieinhalb Stunden schickt Hausregisseur Christian Weise das Ensemble als gerontologische Knatterchargentruppe durch den Dschungel seines Regietheaters, wo sich die Inszenierung angemessen hüftsteif schon auf den ersten Metern verläuft. Das aus Brasilien und dem 19. Jahrhundert denkbar weit hergeholte Konzept, den rückwärtsgewandten Umgang mit deutschem Kulturerbe zu kritisieren, hängt dem Spiel auf Schritt und Tritt wie eine angeschmiedete Eisenkugel am Fuß. Man weiß nicht, wo es hingehen soll, vorwärts geht es jedenfalls nicht. Nicolas Fethi Türksever, dessen Karl Moor ein alter Hipster ist, der eher an Karl Marx erinnert, muss ständig im hohen Ton tremolieren und dabei tüttelig tattern. Seine geliebte Amalia von Edelreich (Sarah Zastrau) markiert ihre Rolle ohnehin am liebsten zum Playback von der zerkratzten Pathos-Platte. Arash Nayebbandi spielt den Räuber-Schurken Schweizer als ergraute Meckertante in Pantoffeln. Beim „Dinner for one“ wären sie alle gern gesehene Gäste. Aber beim ewigen Silvestersketch ist auch viel mehr los.
In Mannheim hingegen quälen sie sich mit der selbst verschuldeten Altersschwäche dieses Spiels. Mit satirischer Geste führt Christian Weise eine völlig verkalkte Klassikerpflege vor, die er erst opulent herbeifantasieren muss. Wahrscheinlich soll das ja sogar eine Art Schillerschutzprogramm gegen reaktionäre Vereinnahmung sein. Funktioniert aber nicht.
Wer „Die Räuber“ bislang für unsterblich gehalten hat, erlebt hier dramaturgische Siechenpflege in einem Theaterhospiz. Zur Beerdigung kommt es nur deshalb nicht, weil die senile Spielgemeinschaft am Ende wieder auf dem Sofa Platz nimmt und wahrscheinlich ewig so weitermachen wird.