Gekauft oder geraubt? Frankfurter Weltkulturen-Museum thematisiert Weg der Dinge in die Sammlung
Das Weltkulturen-Museum schließt sich dem Frankfurter Kooperationsprojekt zum Thema Raubkunst an und zeigt Fallbeispiele aus kolonialem und nationalsozialistischen Kontext.
Von Volker Milch
Redakteur Kultur/Politik/Wirtschaft Wiesbaden
Ganesha-Figur aus Java, Indonesien. Die Figur wurde im April 1941 in Amsterdam in der Kunsthandlung von Carel van Lier erworben.
(Foto: Wolfgang Günzel)
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FRANKFURT - Zum Beispiel die Tasche des „Zauberpriesters“. Ist der Forschungsreisende Johannes Elbert bei der Sunda-Expedition des Frankfurter Vereins für Geografie und Statistik im Februar 1910 rechtmäßig in ihren Besitz gelangt? Elbert hatte in Indonesien, auf der Sundainsel Flores, Einheimische zusammengetrommelt, um von ihnen Objekte zu erstehen. Sein Griff nach der Tasche könnte aber auch ein Übergriff gewesen sein. Der Besitzer jedenfalls wurde „einen Ton blasser“ und zuckte zusammen, registrierte Elbert in seinem Forschungsbericht.
Himmelssteine im Bambusdöschen
Die Tasche selbst ist im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen. Ihr Inhalt ist Bestandteil der Ausstellung „Gesammelt. Gekauft. Geraubt?“ des Frankfurter Weltkulturen-Museums. In einem unscheinbaren Bambusdöschen befinden sich wohl die heiligen Steine, die vom Himmel gefallen sein sollen. Das Fragezeichen im Ausstellungstitel steht auch hinter dem Erwerb dieser Zaubertasche. War es ein „Kauf unter Nötigung“, wie Kuratorin Vanessa von Gliszczynski fragt? Man darf davon ausgehen, dass die Tasche ein „Beispiel für die vielen Nuancen von Unrecht“ auf dem „Weg der Dinge ins Museum“ ist.
Diesen Weg thematisiert ein Frankfurter Kooperationsprojekt mit dem Historischem Museum, dem Museum Angewandte Kunst und dem Museum Judengasse. Während es in diesen drei Museen, wie berichtet, vor allem um Objekte aus jüdischem Besitz geht, die als „legalisierter Raub“ in der Zeit des Nationalsozialismus in die Museen gekommen sind, können die Unrechtsgeschichten im Museum Weltkulturen noch komplexer werden. Die „Fallbeispiele aus kolonialem und nationalsozialistischem Kontext“, so der Untertitel der von Vanessa von Gliszczynski und ihrer für den afrikanischen Bereich zuständigen Kollegin Julia Friedel kuratierten Ausstellung, können doppelte Last tragen: koloniale Herkunft und Erwerb während des Nationalsozialismus. Museumsmitarbeiter waren Anfang der 40er Jahre zum Beispiel in den besetzten Niederlanden auf Schnäppchenjagd. Im Fall des Amsterdamer Kunsthändlers Carel van Lier, der aus einer jüdischen Familie stammte und kurz vor Kriegsende im KZ-Außenlager Hannover-Mühlenberg umgekommen ist, lässt sich aber offenbar nicht nachweisen, dass er 1941 die 61 Objekte dem Frankfurter „Völkermuseum“ für 4215 Gulden unter Druck und unter Wert verkaufen musste.
Ganesha-Figur aus Java, Indonesien. Die Figur wurde im April 1941 in Amsterdam in der Kunsthandlung von Carel van Lier erworben. Foto: Wolfgang Günzel
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Die US-Militärregierung forderte nach dem Krieg die Rückgabe. Im März 1947 gingen 18 Objekte an den Wiesbadener „Central Collecting Point“, der im Museum auch die berühmte Büste der Nofretete beherbergt hat. Vom „Collecting Point“ aus, an dem ausgelagerte Museumsbestände und Raubkunst zur Restitution gesammelt wurden, gingen die 18 Objekte an die Niederlande. Heute findet sich ein Jagdhorn aus Elfenbein im Besitz von Carels Enkel Bas van Lier. Der Journalist hat das prachtvolle Instrument als Leihgabe zur Verfügung gestellt und wird am 12. September (19 Uhr) einen Vortrag zum Thema Raubkunst halten.
Ein Wehrgehänge aus Südafrika ist eins von rund 67000 Objekten des 1904 gegründeten Museums, an dem wahrscheinlich nicht nur metaphorisches Blut klebt. Es stammt aus der Sammlung von Carl Immanuel Müller. Der Mannheimer wanderte 1876 nach Südafrika aus und kämpfte im neunten Grenzkrieg gegen aufständische „Kaffern“, wie er formuliert. In seinem Tagebuch beschreibt er, wie er zwei Männer erschießt. Womöglich stammt das Wehrgehänge der Ngqika von einem dieser Kämpfer.
BELASTETE KUNST
Exponate aus Zeiten des Kolonialismus, NS-Raubkunst, fragwürdige Sammlerstücke oder Museen mit dunkler Geschichte – in einer Artikelserie widmen wir uns „belasteter Kunst“.
Leicht hatten es die Kuratorinnen nicht mit der Rekonstruktion der Objektbiografien. „Die Quellenlage ist nicht optimal“, sagt Julia Friedel. Mit dem Palais Thurn und Taxis, in dem das „Völkermuseum“ seit 1908 untergebracht war, wurde 1944 auch das Archiv des Museums zerstört. Das Ziel der Ausstellung, „ein kritisches Nachdenken über den Weg der Dinge ins Museum anzuregen“, wird mit diesem kleinen, feinen Einblick in die Sammlung und ihre Geschichte freilich erreicht.