Österreichischer Außenminister, dann UN-Generalsekretär schließlich Bundespräsident Österreichs: Ruth Beckermann Filmporträt über Kurt Waldheim läuft im Caligari.
Von Shirin Sojitrawalla
Mann der großen Gesten: Kurt Waldheim in dem Filmporträt „Waldheims Walzer“ der renommierten Filmemacherin Ruth Beckermann.
(Foto: Caligari)
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WIESBADEN - Wie anders doch die Welt damals war – und wie gleich. Die Rede ist vom Jahr 1986, dem Jahr als sich Kurt Waldheim um das Amt des österreichischen Bundespräsidenten bewarb. Ein Skandal, schließlich war Waldheim im Zweiten Weltkrieg Wehrmachtsoffizier und über Gräueltaten der Nazis zumindest informiert. Das hinderte ihn nicht daran, erst österreichischer Außenminister, dann Generalsekretär der Vereinten Nationen in New York und schließlich Bundespräsident Österreichs zu werden. Letzteres wurde von erheblichen Tumulten begleitet und firmierte schon damals als „Waldheim-Affäre“.
Bester Dokumentarfilm auf der Berlinale
Die renommierte Filmemacherin Ruth Beckermann, 1952 in Wien geboren, war zu jener Zeit zwar noch keine Regisseurin, fing aber gerade mit dem Filmen an. Ihr neuer Dokumentarfilm „Waldheims Walzer“, der auf der Berlinale vollkommen folgerichtig als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde, blickt zurück auf den Skandal um Waldheims Kandidatur um das höchste Amt im Staate Österreich. „Man kann alle Leute eine Zeit lang an der Nase herumführen und einige Leute die ganze Zeit, aber nicht alle Leute die ganze Zeit.“ Dieses immer aktuelle Zitat von Abraham Lincoln dient dem Film als Motto und als Einstieg. Ruth Beckermann selbst fungiert als Sprecherin, sie erzählt ebenso persönlich wie nüchtern ihre Geschichte und die Geschichte ihres Landes. Einem Land, das sich damals immer noch als Opfer der Nazibarbarei gesehen hat und dessen Menschen sich mit ihrer Mittäterschaft schwergetan haben und sich teilweise immer noch damit schwertun.
Beckermann dröselt die „Waldheim-Affäre“ Faden für Faden auf, wobei ihr ein ebenso aufregendes Politiker-Porträt gelingt wie eine gespenstische Innenaufnahme einer um Wahrheit ringenden Welt. Zuerst nimmt sie Waldheim selbst in den Blick, verfolgt das Ballett seiner langgliedrigen Finger beim Redenschwingen, seinen Habitus, seinen zackigen Stil. Unmengen von Bildmaterial ruft sie auf, das ihn bei Wahlkämpfen, als UN-Generalsekretär und beim Händeschütteln rund um die Welt zeigt. Ein Weltmann: schlank, elegant, polyglott. Wann immer die Kamera nah an sein Gesicht zoomt, ändert sich der Eindruck, dann umgibt ihn ein mephistophelischer Zug: blitzende Augen, gerötete Haut, verkniffener Mund.
Kurt Waldheim trat an, sich für christliche Werte, Familie und Moral einzusetzen. Enthüllungen über sein Mittun während der Naziherrschaft vereitelten seinen glatten Durchmarsch. Der jüdische Weltkongress bezog Stellung gegen ihn, und in Österreich selbst stritten die Menschen um seinen Rang und Namen, bis der Antisemitismus offen zutage trat wie eine nicht zu schließende Wunde. Die herausragende Güte des Films zeigt sich auch darin, dass man zuweilen nicht mehr weiß, was und wem man eigentlich glauben soll. Alle kommen zu Wort, Waldheims Anhänger und seine Gegner. Dazu montiert Beckermann aufschlussreiche Interviews, Aufzeichnungen von Demonstrationen und Wahlkampfauftritten und spannende Aussagen von Zeitzeugen. Sie selbst kommentiert das höchstens indirekt, dokumentiert judenfeindliche Zwischentöne, bewertet sie nicht. Manch eine Äußerung ist imstande, einem den Atem zu rauben.
Akkurat gearbeitet und aufklärerisch
Der Film erschüttert auch, weil er so akkurat gearbeitet ist und so durchdacht und aufklärerisch vorgeht. Schockhafte Momente beendet er mit Schwarzblenden, die den Zuschauern kurze Verschnaufpausen gönnen. In einer Zeit, in der die rechtsextreme FPÖ in Österreich in der Regierung sitzt und ein Lügenbold als amerikanischer Präsident amtiert, wirkt dieser unbedingt sehenswerte Film wie ein zu spät gekommener Weckruf. Kurz: ein Muss.