„Oskar und die Dame in Rosa“ kreist um Kindheit, Vergänglichkeit und Tod. Schauspielerin Angélique Verdel bringt das Stück von Éric-Emmanuel Schmitt sehr bewegend auf die Bühne.
WIESBADEN - Ein Abend, an dem Grenzen zerfließen, ein Abend, der einschlägt: Schauspielerin Angélique Verdel bringt im Kuenstlerhaus 43 Éric-Emmanuel Schmitts Erzählung „Oskar und die Dame in Rosa“ auf die Bühne. Verdel spielt Oskar, den unheilbar an Krebs erkrankten Jungen, wie auch Oma Rosa, die den Knaben immer wieder besucht und zu seiner Sterbebegleiterin wird. Es gibt kaum eine tragischere Ausgangssituation: Ein Kind steht am Anfang seines Lebens – und doch soll alles vorbei sein. Ist das nicht sehr dick aufgetragen?
Fragen der menschlichen Existenz
Ja! Es gehört freilich zur Arbeitsweise Éric-Emmanuel Schmitts, Themen zur Grundlage seiner Bücher zu machen, die Fragen der menschlichen Existenz erörtern. In „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ versucht er, Christentum, Judentum und Islam in ein Gespräch treten zu lassen. „Das Kind von Noah“ handelt von einem von den Nationalsozialisten verfolgten jüdischen Jungen. Das Buch schildert Entsetzliches und birgt dabei dennoch versöhnliche Gedanken in sich.
Der kleine Oskar wird sterben
„Oskar und die Dame in Rosa“ kreist nun um Kindheit, Vergänglichkeit und Tod. „Ich habe Angst gehabt, bevor ich das Stück zum ersten Mal gesehen habe“, bekennt Wolfgang Vielsack, Leiter des Künstlerhauses, in seiner Begrüßung – und doch habe er sich während der gesamten Aufführung geborgen gefühlt. Dieser Satz fasst viel zusammen. Die Inszenierung Angélique Verdels ist bewegend und pendelt zwischen Zuspruch und Realismus. Härte (die ob des Sujets unvermeidlich ist) und große Sanftmut kommen zum Zuge. Schmitt ist, wie jeder Bestsellerautor, auch beißender Kritik ausgesetzt, Verdel gewinnt der literarischen Vorlage indes das Beste ab.
Atheistische Eltern kommen mit Prognose nicht zurecht
Klar ist von Anfang an: Der kleine Oskar wird sterben. Mit Oma Rosa, die ihm zur Seite steht, entspinnt sich eine vielschichtige Beziehung. Der Protagonist Oskar weiß um die Unumkehrbarkeit seiner aussichtslosen Prognose – die atheistischen Eltern kommen nicht mit ihr zurecht.
Schmitts Erzählung ist eine Annäherung an das Christentum. Oskar hat dem „Lieben Gott“ gegenüber eine gewisse Skepsis, sucht dennoch einen Weg zu ihm. Verdels Performance ist fesselnd: Die Schauspielerin verkörpert Oskar und Rosa in einem fließenden Zwiegespräch.
Später kommen weitere Figuren zu ihrem Recht: etwa Peggy Blue, ein Mädchen, welches Patientin auf Oskars Station ist. Eine zarte Liebesgeschichte entspinnt sich. Oskar schreibt an Gott, findet immer stärker zum Glauben. Verdels Vortrag vereint Tiefgang und Kindlichkeit. Oskars Gedanken gewinnen umso größere Klarheit, je näher sein Tod rückt.
Birgt der Text kitschige Elemente in sich? Natürlich! Das ist einer tiefgreifenden Wirkung auf das Publikum nicht abträglich. Rosa führt Oskar an die christliche Religion heran, zwölf Briefe schreibt er an Gott, in jedem einzelnen durchstreift er ein imaginäres Jahrzehnt, lebt ein ganzes Leben – den letzten Brief schreibt Rosa: Sie muss den Tod Oskars verarbeiten.