Seit über siebzig Jahren spielt er Theater – und ist stolz darauf, ein echter Watzevierteler zu sein: Hans Weicker in seiner Darmstädter Wohnung. Foto: Karl-Heinz Bärtl
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DARMSTADT - Die Sache liegt bald siebzig Jahre zurück. Aber wenn Hans Weicker davon erzählt, spürt man noch heute die Aufregung des jungen Mannes. Der hatte gehört, dass Gustav Rudolf Sellner die Intendanz des Darmstädter Landestheaters übernehmen sollte. Und der frisch ausgebildete Schauspieler wollte unbedingt mit diesem großen Theatermann arbeiten. Als Sellner anreiste, drückte sich Weicker so lange in der Hotellobby herum, bis er den Regisseur ansprechen konnte. Der ließ sich immerhin bewegen, den jungen Mann zum Vorsprechen einzuladen. Abends um zehn dann kam die Nachricht. Weicker war engagiert, für zwei Jahre. „Das“, sagt er, macht eine Pause und wird ungewohnt leise, „das war der glücklichste Augenblick in meinem Leben.“
Dabei hat es auch viele andere glückliche Situationen gegeben. „Dann kam wieder das Glücksmännchen vorbei:“ Dieser Satz fällt mehrmals, wenn Weicker, der am 15. Dezember seinen neunzigsten Geburtstag feiert, aus seinem Schauspielerleben erzählt. Zum Beispiel war es Glück, als junger Bub aus der Mauerstraße eine Oma zu haben, die über ein Abonnement im Landestheater verfügte, Hauptmiete K, Parterre links, erste Reihe. Sie konnte ja nicht ahnen, dass sich der Enkel so heftig mit dem Theaterbazillus infizieren würde, dass er seiner Mutter hartnäckig in den Ohren lag mit dem Wunsch, Schauspieler zu werden. Das nächste Glück wollte es, dass die Mutter ein paar Straßen weiter den Haushalt des Opernsängers Eduard Göbel versah, der bei der Hessischen Spielgemeinschaft den Datterich spielte. Der verschaffte Weicker erste Rollen, den Wirtsjungen im „Datterich“, das Karlchen im „Tollen Hund“. Das Theaterfieber stieg weiter. Und als gleich nach dem Krieg in Frankfurt die erste staatliche Schauspielschule wieder öffnete, bekam Hans Weicker einen Studienplatz. Noch während der Ausbildung folgte das erste Angebot, die Städtischen Bühnen in Frankfurt suchten einen Anfänger, 240 Reichsmark gab es als Monatsgage. Lange hat Weicker sie nicht genossen. Seine erste Rolle war der Page der Königin in Schillers „Don Karlos“. Weicker trat so schwungvoll auf, dass er ausglitt, einen Paravent umriss und mitsamt der Requisite auf Prinzessin Eboli stürzte. Beim Abgang sah Weicker den finsteren Blick des Intendanten und wusste: Das Frankfurter Engagement war beendet.
In den achtziger Jahren sollte er wieder an dieser Bühne spielen, und unter vielen Rollen war auch der „Datterich“. Die Darmstädter waren skeptisch, ob das gelingen könnte. In Frankfurt! Robert Stromberger, damals der amtierende Datterich der Spielgemeinschaft, mochte seinen Freund Weicker in dieser Rolle lieber nicht sehen. Erst für die allerletzte der fast fünfzig Vorstellungen besorgte er sich eine Karte. Aber die Aufführung fiel aus. Es war der Abend, an dem nebenan das Opernhaus abbrannte.
Seit über siebzig Jahren spielt er Theater – und ist stolz darauf, ein echter Watzevierteler zu sein: Hans Weicker in seiner Darmstädter Wohnung. Foto: Karl-Heinz Bärtl Foto: Karl-Heinz Bärtl
Lottogewinner Erwin Lindemann: Eine Glanzrolle für Hans Weicker in „Loriots gesammelte Werke“. Im Februar kommt Iris Strombergers Inszenierung wieder auf den Spielplan. Foto: Michael Hudler Foto: Michael Hudler
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Mainz, Darmstadt, Münster waren die ersten Stationen der Karriere. Dann kam ein Angebot aus Wien, und Weicker staunte. Ein Haus mit 1600 Plätzen, und im Ensemble dreißig festangestellte Herren! Und ein Publikum, das seine Meinung nicht versteckte. Gleich die erste Premiere am Volkstheater, Ionescos „Mörder ohne Bezahlung“, wurde zum Skandal, das Publikum tobte, und in der Wiener Presse gab es ausgerechnet für den Debütanten Weicker böse Verrisse. Aber Intendant Leon Epp stand zu seinem Schauspieler – nach zwei Jahren erst ließ die Häme nach, und Weicker wurde zum Liebling des Publikums. Als er sich nach sieben Jahren verändern wollte, machte ihm das Volkstheater ein seltenes Angebot: auf Lebenszeit unkündbar, steigende Gagen, dazu Urlaub für Fernseh-Dreharbeiten.
==DIE NÄCHSTEN AUFTRITTE== „Zum Lachen in die Kammer“ heißt der von Iris Stromberger inszenierte Duo-Abend mit Hans Weicker und Margit Schulte-Tigges. Die nächsten Vorstellungen in den Kammerspielen des Darmstädter Staatstheaters: 23. und 31. Dezember, 25. Januar, 22. Februar. „Loriots gesammelte Werke“ mit Hans Weicker und vielen anderen, ebenfalls von Iris Stromberger inszeniert, kehren am 14. Februar zurück auf die Bühne des Kleinen Hauses, vier weitere Vorstellungen folgen bis Anfang Juni.
==Karten==
Theaterkasse des Staatstheaters Darmstadt: 06151-2811600.
Online unter www.staatstheater-darmstadt.de.
Weicker hätte wahrscheinlich angenommen, aber seine Frau riet ihm ab. „Zum Glück“, ruft der Schauspieler, „denn jetzt ging es erst richtig los!“ Auch mit vielen großen Fernsehrollen. Aber während er noch genau aufzählen kann, wie oft er den Puck gespielt hat und wo den Valerio, erinnert er sich an sie nur am Rande.
Aus Wien kam Weicker ans Schauspiel Köln, spielte den Peachum in der „Dreigroschenoper“, die zum Skandal wurde, weil der Regisseur Hansgünther Heyme diese Rolle angeblich antisemitisch gezeichnet habe. Als Heyme Chef in Stuttgart wurde, nahm er Weicker mit, ließ sich von ihm sogar überreden, ihm den Geßler in seiner „Tell“-Inszenierung zu geben. Der Lohn war eine Einladung zum Berliner Theatertreffen, der weitere folgten. Später war Heyme sauer, weil Weicker ihm nicht nach Essen folgen wollte. Es sollte Jahre dauern, bis sich die beiden wieder versöhnten.
Ja, auch ein von Glück begleitetes Schauspielerleben bietet Enttäuschungen und Verletzungen. Und Weicker kann beim Erzählen gar nicht anders, als sie nachzuspüren und im Tonfall anschaulich zu machen. Wie er in Stuttgart einmal die Nerven verlor und einen pöbelnden Zuschauer handgreiflich vor die Tür setzte. Wie er große Kollegen erlebte, die auf der Bühne ganz unkollegial wurden und anderen die Pointe vermasselten, um selbst gut auszusehen. Wie er nach seinem zweiten Frankfurter Engagement das zweite in Darmstadt wagte, weil er den Ehrgeiz hatte, sich unter dem neuen Stil des Schauspieldirektors Klaus Weise noch einmal neu zu beweisen.
Das vorerst letzte Glücksmännchen war für Weicker eine Glücksfrau. Iris Stromberger überredete ihn, in ihrem Loriot-Abend mitzuspielen – auch nach zwei Jahren noch ein Dauererfolg im Spielplan, und Weicker ist glücklich darüber. Auch über den Erfolg des Duo-Abends mit Margit Schulte-Tigges. Wenn die beiden sich die Pointen zuspielen, erkennt man zwar Erfahrung und Routine. Aber auch das, was für Weicker die wichtigste Botschaft an die nächste Schauspielergeneration ist: „Für diesen Beruf musst du brennen.“